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Fernöstlicher Kanonendonner

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Als sich der nationalchinesische Generalissimus im Spätherbst 1949 gezwungen sah, seine letzten Festlandpositionen aufzugeben und mit den Resten seiner Armee Zuflucht auf Formosa zu suchen, schien es strategisch unbedenklich, daß er auf mehreren der Inseln, die der Küste von Fukien nahe vorgelagert sind, seine Nachhuten als ständige Besatzung zurückließ. Die Flotte Mao Tse-tungs war damals noch nicht der Rede wert, seine Luftwaffe erst in Entwicklung begriffen, und überdies durfte man annehmen, daß er für geraume Zeit zu sehr mit der inneren Festigung seines Imperiums beschäftigt sein würde, um ernstlich an einen Angriff auf jene Inseln zu denken, mochten sie auch im optimistischen Kalkül Tschiang Kai-scheks als Ausgangspunkte für die erhoffte nationale Invasion Rotchinas figurieren. Bald darauf zeigte sich freilich — mit der rotchinesischen Intervention im koreanischen Krieg —, daß Peking bereits über ein sehr bedeutendes militärisches Potential verfügte. Aber daß dieses gegen Stellungen der Nationalisten Tschiang Kai-scheks zum Einsatz kommen würde, hielt man seit der Erklärung Präsident Trumans vom 27. Juni 1950, die amerikanische Flotte habe Befehl, jeden Angriff auf Formosa abzuwehren, allgemein für sehr unwahrscheinlich. Tatsächlieh kam es in der Folge wiederholt zum Feuerwechsel zwischen kommunistischen und nationalen Küstenbatterien, zu vereinzelten Luftkämpfen, zu gelegentlichen Zusammenstößen leichter Seestreitkräfte; aber mit Ausnahme einer gelungenen amphibischen Operation gegen ein Eiland der weit im Nordwesten von Formosa liegenden Tachen-Gruppe, die daraufhin von den Nationalisten gänzlich geräumt wurde, erfolgte nirgends ein rotchinesischer Landungsversuch.

Jetzt aber hat es den Anschein, als ob das kommunistische China mit dem seit langem angedrohten Sturm auf die Stellungen der Nationalisten Ernst machen wollte. Seit Tagen liegt die Insel Quemoy, eines der größten und wichtigsten Außenwerke der nationalchinesischen Verteidigung, unter dem fast pausenlosen Feuer schwerer Küstenartillerie, und in den tiefeingeschnittenen Buchten des „roten“ Festlandes sind, wie es heißt, tausende von motorisierten Dschunken und anderen Fahrzeugen versammelt, die für eine Landungsoperation großen Umfangs verwendet werden könnten. Ob die angeblich 50.000 Mann starke Besatzung von Quemoy, für die der Nachschub jetzt schon schwierig ist, einer energisch vorgetriebenen Invasion standhalten könnte, muß dahingestellt bleiben, ebenso wie es ja zur Stunde noch ungewiß ist, ob ein Landungsversuch dort oder vielleicht gegen andere isolierte Stützpunkte der Nationalchinesen, tatsächlich bevorsteht. Sicher ist nur, daß sich schon aus der gegenwärtigen Lage in der Pescadores-Straße für die Schutzmacht Nationalchinas, für die Vereinigten-Staaten, sehr dringende Fragen von weitreichender Bedeutung ergeben.

Es ist nie ausdrücklich erklärt worden — wohlweislich, kann man sagen —, daß die amerikanische Schutzgarantie für Formosa auch Quemoy, Matsu und die übrigen, sozusagen unter den Kanonen Maos liegenden Inseln, die von den Nationalisten okkupiert sind, umfaßt. Man wollte sich in Washington nicht darauf festlegen, die 7. Flotte, die dazu bestimmt und sicherlich imstande war, die Ueberquerung der Formosa-Straße durch eine kommunistische Invasionsarmada zu verhindern, gegebenenfalls auch in den engen und vom potentiellen Gegner kontrollierten Gewässern an der Küste von Fukien operieren zu lassen. Aus den marinetaktisch durchaus richtigen Bedenken gegen eine solche Verwendung der Flotte hätte man freilich auch die richtige Folgerung ziehen und Tschiang Kai-schek veranlassen müssen, jene Inseln, deren Besitz für eine effektive Verteidigung Formosas keine notwendige. 'Voraussetzung*; ist, in einer Zeit relativer Ruhe, wie sie nach Abschluß der Kämpfe in Korea und auch später noch wiederholt zu verzeichnen war, zu evakuieren. Was damals ohne großes Aufsehen möglich gewesen wäre, würde in der gegenwärtigen Lage, wenn überhaupt durchführbar, einen Triumph für Peking bedeuten und von der kommunistischen Propaganda in aller Welt als ein Beweis amerikanischer Schwäche ausgeschrotet werden; mit Auswirkung natürlich vor allem unter den asiatischen Völkern. Durch diese Betrachtung wird das Problem, dem die Regierung der USA sich jetzt gegenübergestellt sieht, der Lösung allerdings nicht nähergebracht.

Rein militärisch gesehen, würde die Weg nähme von Quemoy oder auch sämtlicher ' nationalistisch besetzter Inseln an der Festlandküste für Rotchina keinen sehr großen Vorteil bedeuten. Vor dem letzten Ziel läge dann immer noch ein kaum überschreitbarer „Festungsgraben“, die rund 100 Seemeilen breite Straße von Formosa. Anders aber wäre es mit den politischen Folgen einer geglückten Invasion auf jene Inseln. Sie könnte, ganz abgesehen von einem enormen Prestigeverlust der Vereinigten Staaten, dem an sich schon wenig populären nationalchinesischen Regime den letzten Rest von Ansehen und Autorität nicht nur bei der Bevölkerung, sondern selbst bei den Truppen auf Formosa entziehen und die USA damit zwingen, die Last der Verteidigung dieser Insel, die die Mehrzahl ihrer Bewohner vielleicht gar nicht mehr verteidigt sehen will, ganz allein zu übernehmen oder aber ihre gesamte Chinapolitik zu revidieren und dabei sogar die Preisgabe einer Bastion ins Auge zu fassen, die bisher für die Friedenssicherung im pazifischen Raum als unentbehrlich gegolten hat.

Wie immer sich die Dinge nun weitergestalten, man wird mit der Annahme nicht fehlgehen, daß die erneute Spannung im Fernen Osten nicht rein zufällig dem Abklingen der nahöstlichen Krise unmittelbar gefolgt ist. Den Führern des „Friedenslagers“ ist es eben darum zu tun, die Welt nicht zur Ruhe kommen xu lassen und vor allem die. Regierung der Vereinigten Staaten immer wieder vor Situationen zu stellen, aus denen ihr mJglichrt große innen-und außenpolitische Schwierigkeiten erwachsen.

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