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JACOBSEN UND WIR

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Arne Jacobsen ist heute der profilierteste Repräsentant dänischer Architektur. Seine Werke sind zur Zeit in einer umfassenden Schau in der Akademie am Schillerplatz zu sehen. Solche großen, informationsreichen und guten Architekturausstellungen sind bei uns so selten, daß man jede dieser Gelegenheiten benützen sollte, grundsätzliche Fragen aufzuwerfen, die nicht nur über das ausgestellte Werk Antworten versprechen, sondern auch zur Bestimmung unserer eigenen Position beitragen.

Österreichs Architektur ist in einem Umbruch und Aufbruch begriffen. Wenn auch viele Zustände noch als jämmerlich zu bezeichnen sind, so gehen doch gerade von der jüngeren Architektengeneration Impulse aus, die bei einer vernünftigen Verteilung der Chancen durch die öffentlichen Bauherren zu beachtlichen Ergebnissen fuhren können. Es sind auch die besten unserer Architekten damit beschäftigt, wieder die Quellen freizulegen, aus denen eine wirksame Belebung unserer Baukunst zu erwarten ist.

Wir treten also von einer Phase, in der wir genötigt waren, in aller Welt herumzuschauen, um wieder den Anschluß an die internationalen Maßstäbe des Bauens zu gewinnen (wir haben auch ausgiebig nach Dänemark geschaut), in eine Phase der Selbstbesinnung. Es geht nicht um eine traditionalistische oder lokalpatriotische Wiederbelebung, sondern um die Klärung der Position, in die unser Land durch die Geschichte gestellt wurde. Der Abstieg Wiens von einer europäischen Metropole zu einer provinziellen Hauptstadt eines kleinen Landes wurde schon oft beklagt. Vielleicht sollten wir aber die Tatsache, daß es in Wien noch echte Widerstände zu überwinden gilt, nicht ausschließlich negativ betrachten. Auch dafür gibt es eine reiche und lehrreiche Vergangenheit.

Was kann uns aber dabei das Werk Arne Jacobsens bedeuten? Dazu ist es zunächst notwendig, dieses Werk genauer zu betrachten. Vielleicht werden dabei verschiedene Probleme von selbst verständlich. Es können sich aber auch für uns Konsequenzen ergeben.

Arne Jacobsen, geboren 1902 in Kopenhagen, empfing dort an der Kunstakademie die ersten Eindrücke unter dem Einfluß Abildgaards, eines romantizistischen Malers und Architekten, gleichzeitig aber auch von Gunnar Asplund, dem überragenden schwedischen Architekten der dreißiger Jahre,- der die Architekturen seines Landes durch seinen modernen Klassizismus zu einem neuen Höhepunkt führte. Gleichzeitig erreichten auch die ersten funktionalistischen Wellen Dänemark, und Jacobsen wurde der hervorragendste Vertreter der neuen Bewegung. 1929 baute er zusammen mit Flemming Lassen das „Haus der Zukunft“, ein Rundhaus, das ein entschiedenes Talent, aber auch schon die starke Betonung formaler Und ästhetischer Momente zeigte. Damit verließ Jacobsen vorläufig die romantische Schule. Es folgten viele Wonnbauten, darunter überzeugende Demonstrationen modernen Bauens, die bis heute nichts an Frische und Elan eingebüßt haben. Während der deutschen Besetzung lebt Jacobsen in Schweden. Dort widmet er sich vorwiegend den Entwürfen von Textilien. 1945 beginnt er wieder in Dänemark zu arbeiten und wird zur zentralen Persönlichkeit der neuen dänischen Architektur, die heute großes Ansehen genießt.

Tacobsen schafft im folgenden Bauwerke, die ihn auf der ganzen Welt bekannt machen. Die Reihenhäuser von Söholm gelten als Musterbeispiel lebendigen, individuellen und phantasievollen Bauens. Die Rückkehr zu natürlichen Materialien, wie schwarzen Schindeln, Holz und gelbem Backstein, sind charakteristisch für eine Art Besinnung auf die romantische Schule in verwandelter und geklärter Form.

Aber es entstehen auch seine Rathäuser und Fabriken, denen man eher einen kalten, akademischen Formalismus zusprechen möchte, dessen Ästhetik in glatten, subtilst ausgewogenen geometrischen Formen einen nicht zu steigernden Ausdruck findet. Diese Gegensätze (von Romantik und Klassizismus), die sich auffallend mit der privaten und öffentlichen Sphäre in Skandinavien decken, erhielten eine glückliche Verbindung in der Munkegaard-Schule von Kopenhagen, die ein strenges Grundkonzept mit einem großen individuellen Reichtum in den geschlossenen Klassenhöfen verbindet.

Es ist wichtig, auf die Voraussetzungen Jacobsens hinzuweisen, die einerseits in einem sehr kultivierten historischen Klassizismus liegen (Frankreich und Deutschland), anderseits in einem ausgeprägten Sinn für eine natürliche Lebensweise (England?). Zudem gibt es in Skandinavien eine fast bis zur Gegenwart reichende, starke bäuerliche Tradition des Bauens, das auch sicher für die Entwicklung der vorbildlichen Holzindustrien die Basis bildete. Man hat durch Jahrhunderte nur mit einem Stoff gebaut, gedacht und gelebt. Schon die frühen, elastischen und ganz „modernen“ Schiffe der Wikinger und später die Stabkirchen zeigen eine hochentwickelte Technik der Beherrschung des Holzes. Für Dänemark ist sicher dieser Hintergrund bedeutend, wenn es auch schon lange zu den Ländern gehört, die Holz importieren.

In Dänemark und in Österreich hat der Klassizismus eine bestimmte Rolle gespielt. Obwohl in der späteren Phase in Kopenhagen Christian F. Hansen und in Wien sein Bruder Theophil gebaut hat, wodurch man eine gewisse Parallelität feststellen kann, bestehen bedeutende Unterschiede, die heute noch ihre Auswirkungen haben. Während der deutsche Klassizismus, besonders aber der skandinavische kühl, streng und akademisch war, blieb der wienerische heiter, subjektivistisch und wandlungsfähig. Dazu kommt im Norden noch ein eigenartiger Umstand: Man hat die klassizistischen Formelemente wieder teilweise in den heimischen Holzbau übernommen, das heißt, ein Formenduktus, der sich vor mehr als 2000 Jahren aus dem Holzbau entwickelt hat und der in Stein die verschiedensten Wandlungen mitmachte, wurde hier wieder in die alte Bauweise zurückgenommen. Dadurch entstand ein gestalterischer Konflikt, der gerade bei der Begegnung mit einem funktionalistischen Denken stark in den Vordergrund treten mußte.

Heute versteht man unter Klassizismus eine spekulative, auf Wirkung bedachte Baukunst mit dem geistigen (nicht formalen) Hintergrund des historischen Klassizismus. Er ist immer nahe dem Akademismus, besonders in seinen Auswirkungen, ist lehr-und lernbar, objektiviert und abgekühlt. Dazu ist es heute nicht mehr notwendig, daß die Elemente der Klassik oder ihre abgewandelten Formen verwendet werden. Es „genügt“ der Geist. Für den Klassizisten hat das Material weder Ausdrucks- noch Formwert. Es besitzt nur Oberfläche, interessant sind seine ästhetischen Reize. Die Form kommt aus der Vorstellung, aus der Tradition oder aus der beabsichtigten Wirkung.

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Bei Arne Jacobsen taucht aber auch der Begriff der Romantik auf. Und wie es scheint, in einer Art gegensätzlichen Beziehung. Der Unterschied zu den klassizistischen Elementen dürfte aber nur in der Erscheinung liegen, nicht im Geist. Während sich der historische Klassizismus durch die objektiven Maßstäbe der Klassik ein beständiges Reich der Kunst versprach (wodurch er besonders zur Repräsentation von abstrakten Inhalten, wie Staat, Gerechtigkeit, Wissenschaft usw., Verwendung fand), stürzte sich die Romantik in die Entdeckung und Neubelebung der nationalen Vergangenheit. Dabei wurden Gesetze entdeckt, die sich einer herkömmlichen akademischen Kontrolle entzogen.

So ist es nicht besonders merkwürdig, wenn wir bei einem Künstler wie Arne Jacobsen, der aus einem Lande kommt, in dem beide Richtungen stark ausgeprägt wurden, beide Welten in einer neuen, angenäherten Form wiederfinden. Es wäre interessant, wie weit der Funktionalismus der dreißiger Jahre bei Jacobsen ein echtes Anliegen war. Es scheint eher, daß er als Vehikel für eine neue, jedoch den Geist der Tradition nicht verlassende Formensprache verwendet wurde. Denn Jacobsen ist auch heute nur so weit „Funktionalist“, als es die neuen Aufgaben von ihm nur unbedingt verlangen. Seine Ordnungen sind letzten Endes — im Grundriß gedeihen sie am wenigsten — auf ästhetische Prinzipien und Überlegungen zurückzuführen. Dadurch ist es vielleicht auch möglich, daß er so „leicht“ zu einem universellen Gestalter wurde, der vom Eßlöffel, von der Tapete bis zur Fabrik, aber auch vom Garten bis zum Beleuchtungskörper alles entwirft. Jacobsen ist kein Pionier; er stiftet nicht Unruhe, wirft keine Fragen auf, ist kein Programmatiker; er bringt eher in eine angenehme Ordnung, was die anderen umgeworfen oder liegengelassen haben. Er entwickelt nicht Neues, sondern benützt das Vorhandene mit einer glücklichen Hand, auf eine persönliche Art. P. E. Skriver charakterisiert ihn am besten; er schreibt:

„Arne jacobsen ist ein rezeptiver Künstler, dessen Arbeiten auch die internationalen Strömungen widerspiegeln. Seine Ausdrucksform wird daher auch von jenen verstanden, die außerhalb der kleinen nordische» Region leben,.. Sein künstlerisches'Talent steht in einem guten Einklang mit dem dänischen Alltagsleben. Jacobsens Arbeiten sind exklusiv. Kunst, für den Alltag entworfen.“

\ rne Jacobsen ist aber nicht nur der Repräsentant eines Lan-des, in dem die allgemeinen Erkenntnisse des Bauens in eine gute, harmonische und sanfte Ordnung gebracht wurden, sondern überhaupt eine zentrale Figur einer humanistischen Architekturbewegung, wie sie auch in den übrigen skandinavischen Ländern, aber auch in der Schweiz und in Holland besonders hervortritt. Von hier aber führen unzählige Grenzübergänge in den großen, konformistischen Bereich des Modernismus.

Es war sehr interessant, wie Jacobsen selbst in der Ausstellung am Schillerplatz führte. Man konnte immer wieder hörent „Das habe ich so gemacht.“ Oder „Das mußte so gemacht werden.“ Das ist aber das Charakteristikum eines „Stildenkens“, das heißt, die Bewältigung der Aufgaben geschieht mit vorhandenen, akzeptierten Mitteln. Das Neue liegt nur in der Art der Verwendung, der Kombination. Damit steht man aber wieder an der Quelle vieler Mißverständnisse. Einerseits ist das Werk Jacobsens dadurch so faszinierend, weil es nicht in den Wolken schwebt, sondern, ganz genau gesagt: das muß man so machen, und das kann nicht anders sein. Sein Werk ist fähig, weitergegeben zu werden, nicht nur in den Schulen, auch in den Büros und Werkstätten. Es ist ein gutes Vorbild für die Hebung des allgemeinen Niveaus des Bauens. Es besitzt eine ordnende Macht, die wenigstens den nächsten Schritt als einen guten erkennen läßt.

Wir müssen das Ganze aber auch noch anders betrachten. Man ist hier noch ausgehungerter nach „guter Form“. Wer aber längere Zeit in Skandinavien war, wer die sogenannte Wohlstandästhetik genauer kennengelernt und mit ihr gelebt hat, der kennt den Horror vor der ästhetischen Perfektion, den Horror vor der keimfreien Welt und die Überdrüssigkeit an der Kunst für den Alltag.

Es ist vielleicht kein Zufall, daß gerade im Norden dieser Zustand am frühesten erreicht wurde. Zur kühleren, überlegte-ren Anwendung der Moderne kommt ihre vernünftige und allgemeine Verbreitung. So wird man für die nächste Zeit eine schöpferische Stagnation erwarten müssen, wenn nicht kräftige Ausbrüche entweder in den Bereich des Kitsches oder in eine alogische, antiperfektionistische, subjektive und wilde Architektur gemacht werden.

Tn Österreich sind die Kräfte des Kitsches, der Geschmacks-und Charakterlosigkeit in einem so hohen Maße vorhanden, daß wir kaum diese Sorgen in der nächsten Zeit haben werden. Wir sollten aber auch nicht den skandinavischen Zustand als den alleinseligmachenden anstreben. Abgesehen davon, daß wir nur ein Surrogat fragwürdigster Art erreichen würden, liegen unsere Fähigkeiten nur zum Teil in einem genügsamen, gewinnenden und perfektionierten Klassizismus modernster Prägung, Wir leben nicht in einer stabilen, relativ unbewegten kulturellen Region. Wir haben die heterogensten Kräfte zu bändigen. So müssen wir auch bei einem Apostel der Schönheit, des Wohlklanges und der Behaglichkeit, wie uns Arne jacobsen hier erscheint, unsere Zweifel anmelden. Das kann ein Verhängnis sein, aber vielleicht auch eine Chance.

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