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Katanga

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Als der deutsche Forscher Dr. Paul Reichard im Frühjahr 1884 unweit des Dorfes Katanga die Kupferminen von Djola (dem heutigen Luishia) und Kamare (heute Kamwali) besuchte und damit als erster Europäer mit eigenen Augen die seit urdenklichen Zeiten von der einheimischen Bevölkerung betriebenen Kupferbergwerke des Landes sah, ahnte er wohl kaum, welche Bedeutung sich mit dem Namen jenes Negerdorfes innerhalb eines halben Jahrhunderts verbinden sollte.

Als am 26. Februar 1885 die Vertreter von 14 Mächten die Generalakte der Berliner Konferenz unterzeichnen, ist das spätere Katanga juridisch bereits Territorium des neuen „Unabhängigen Kongostaates“ geworden. Am 1. August 1885 werden den Signatarmächten, anläßlich der Erklärung der immerwährenden Neutralität des Kongostaates, auf einer der Erklärung beiliegenden Karte auch dessen Grenzen notifiziert. Diese „Besitzergreifung“ durch den Kongostaat hat freilich mehr als einen Schönheitsfehler. Zunächst sind die Südostgrenzen des neuen Staates in vorangegangenen Konventionen zwar von Frankreich und Portugal, nicht aber von Deutschland anerkannt worden, das sich auf Grund der Expeditionen von Wißman und Pogge, die das Kasaigebiet, sowie Reichard und Böhm, die im Auftrag der „Afrikanischen' Gesellschaft“ Katanga bereist haben, seine Interessen in diesen Gebieten Zentralafrikas vorbehalten hat. Und ist Deutschland auch dann bereit, Leopold II. diese gegen die Anerkennung der deutschen Interessen in Ostafrika zu überlassen, so besteht doch keinerlei Konvention mit Großbritannien. Zudem bestimmen die Generalakte, daß nur die effektive Okkupation echte Besitzrechte schafft. Aber noch fünf Jahre nach der Berliner Konferenz hat kein Vertreter des „unabhängigen Kongostaates“ Katanga überhaupt gesehen noch betreten.

Die britische Presse beginnt die Aufmerksamkeit auf dieses, dem Kongostaat nur auf dem Papier angehörende Land zu leiiken, das nach den von Cecil Rhodes vertretenen Auffassungen ohne weiteres faktisch annektiert werden kann.

Im Spätherbst 1890 sind zwei britische Expeditionen im Anmarsch auf Bunkeya. Nur die Kolonne des britischen Vizekonsuls Alfred Sharpe erreicht, stark dezimiert, Bunkeya. In höchstem Maße alarmiert, entsendet der Kongostaat seinerseits starke Expeditionen nach Garenganze. Unter furchtbaren Verlusten durch Hungersnot und Krankheit gelingt es, in den darauffolgenden Jahren das umdrohte Gebiet für den Kongo zu sichern. Am 12. Mai 1894 anerkennt auch Großbritannien die Grenzen des Kongostaates. 1906 wird, mit beträchtlicher englischer Beteiligung, die „Union Miniere de Haut-Katanga“ begründet und am 2. September 1910 erreicht vom Süden her der Schienenstrang der Benguelabahn Elisabethville. Die Industrialisierung beginnt.

50 Jahre später liefert Katanga, dessen 1,6 Millionen Einwohner knapp zwölf Prozent des gesamten Kongo ausmachen, zwei Drittel der Staatseinnahmen. Auf einem Teil seines Territoriums, das mit 497.000 Quadratkilometern 21 Prozent des Kongogebietes bedeckt, finden sich die Hälfte aller Bergbaubetriebe des Staates konzentriert. Mehr als ein Drittel aller im Kongo ansässigen Europäer leben in Katanga, seine Hauptstadt Elisabethville, die seit 1956 auch eine staatliche Universität beherbergt, ist die zweitgrößte Stadt Zentralafrikas. Mit ihr sind Jadotville mit 80.000 Einwohnern und eine Reihe weiterer größerer Städte zu Zentren eines Evolutionsprozesses der afrikanischen Bevölkerung geworden, von der bereits 36 Prozent im „stammesfremden“ Milieu leben und deren jüngere Generation kaum mehr Analphabetentum kennt. In der Kupferproduktion, die 1959 280.000 Tonnen überschreitet und allein mehr als ein Drittel der gesamten Exporte des Kongos bildet, steht Katanga an vierter Stelle der Welterzeugung, aber es steht auch an erster Stelle der Kobaltproduk^ tion und an sechster Stelle der Zinkproduktion der Erde, fördert Uran, Diamanten und andere wertvolle Minerale. Die Sozialwerke der „Union Miniere“ haben nicht ihresgleichen anderswo iri Afrika und umfassen neben Schulen auch Spitäler, Sportplätze, werkseigene Siedlungen und solche, in denen der Afrikaner innerhalb einiger Jahre sein Eigenheim erwerben kann, denn die Löhne in den Minen erreichen nicht selten 6000, für qualifizierte Arbeiter auch 9000 belgische Franken monatlich — ein Standard, der in vielen Teilen Europas nicht erreicht wird. Es gibt Familienlöhne, Unfallsversicherung, Pensionen, und so überrascht es nicht, daß der Arbeitsfriede in den Kupferminen Katangas, ungleich denen der anderen kupferproduzierenden Länder — Amerikas wie auch des benachbarten Rhodesien —, schon seit mehreren Jahren nicht gestört worden ist. Die katholische Arbeiterjugend plante, ihren diesjährigen allafrikanischen Kongreß in Elisabethville abzuhalten, wozu es infolge der jüngsten Ereignisse jedoch zunächst nicht kommen sollte.

Die Sezession Katangas am 11. Juli, zwölf Tage nach der Unabhängigkeitserklärung des Kongo, bildete keine Überraschung. Ihre ersten Schatten warf sie schon Anfang März voraus, als der Premierminister der Föderation von Rhodesien und Njassaland, Sir Roy Welensky, in einem sensationell empfundenen Interview mit dem „Daily Express“ erklärte, die Föderation würde einen eventuellen Anschluß Katangas begrüßen, und diese Feststellung mit „sondierenden Schritten“ begründete, die bei ihm „aus Furcht vor einem Massaker nach dem Unabhängigkeitstag des Kongo“ unternommen worden seien.

Anfang Juli standen rhodesische Truppen an der Südgrenze Katangas bereit. Beim Übergreifen der Meuterei auf die in Katanga stationierten Einheiten der kongolesischen „Force Publique“ erbat Premierminister Tshombe deren Eingreifen, das London aber offiziell ablehnte, eine Entscheidung, die in Salisbury als „unverständlich“ bezeichnet wurde. Mit der Unabhängigkeitserklärung und der Niederwerfung der Meuterei in Katanga, an der sich übrigens nur ein Teil der dortigen „Force Publique“ beteiligte, hat dieses Zwischenspiel ein vorläufiges Ende gefunden. Eine für Rhodesien unangenehme Nebenwirkung ist, daß Dr. Hastings Banda auf der bevorstehenden Njassalandkonferenz in London im Namen seiner „Malawi Congress Party“, die für das Ausscheiden Njassalands aus der Föderation mit Rhodesien eintritt, die Sezession Katangas als willkommenen Präzedenzfall interpretieren kann.

Die innere Triebkraft zur Eigenstaatlichkeit Katangas ist der Nationalkongreß von Katanga (Conakat), dessen Führer, der 41jährige Moise Kapenda Tshombe, erster Premierminister des Landes wurde. Diese autonomistische Partei war seit jeher nur bereit, mit Leopoldville auf föderalistischer Basis zusammenzuarbeiten, hat aber auf belgischer Seite zu einer Zeit, als die gesamtstaatliche Struktur des künftigen Kongostaates noch der Planung und Einflußnahme der Kolonialmacht unterlag, nur wenig Gegenliebe gefunden. Die einheimische Bevölkerung des südlichen Katanga bilden nämlich Lunda- und Bembavölker, deren Hauptsiedlungsgebiete nicht in anderen Teilen des Kongo, sondern in Angola und Rhodesien liegen. Tshombe selbst ist Abkömmling einer Lunda-Dynastie. deren Reiche noch bis in das 19, Jahrhundert bestanden, und der Conakat wird von den Angehörigen dieser Völker unterstützt, während die Mehrheit der heimischen Bevölkerung Katangas den Luba-völkern angehört, die auch in der benachbarten Kassaiprovinz die stärkste Gruppe bilden und in Katanga das Parteienkartell der Balubakat unter der Führung von Iason Sendwe unterstützen: In den Minengebieten sind die Baluba allerdings'; 'zumindest unter der Arbeiterschaft, in der Minderheit.

Noch im März Waren einer Wahlrede Lu-mumbas in Elisabethville blutige Zusammenstöße zwischen Balubakat- und Conakatanhän-gern gefolgt. Im Juni drohte sich in einem Teil Katangas gleichfalls eine selbsternannte Nebenregierung zu etablieren. Dann gelang es Lu-mumba vorübergehend, den Conakat zur Teilnahme an der Zentralregierung und zum Verzicht auf die bereits ausgesprochene Sezessionsdrohung zu bewegen, aber noch am Vortag des 30. Juni hatte Tshombe sich erneut zum Abfall vom Kongo entschlossen und konnte vom belgischen Gouverneur Guy Schöller daran nur mit der Drohung der Festnahme gehindert werden. *

Der belgische Versuch, die in der Kolonialzeit als Wirtschaftseinheit begründete Kongokolonie mit ihren 112 verschiedensprachigen Völkern in eine wesentlich zentralistisch gelenkte, politische Einheit umzuwandeln, ist gescheitert. Ein echtes föderalistisches Konzept hätte Belgien den Verlust dessen, was es vom Kongo heute nur noch in Katanga vielleicht noch zu retten hofft, möglicherweise zur Gänze ersparen können. Tshombe hat die Hoffnung ausgesprochen, ein selbständiges Katanga mit dem heute noch unter belgischem Mandat stehenden Ruanda-Urundi jenseits des Tanganjikasees föderieren zu können. Dieses dichtestbevölkerte Land Afrikas, auf dessen 54.000 Quadratkilometer großer Fläche 4,7 Millionen Menschen leben, stellt bereits heute einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Arbeiter in den Minen Katangas. Der von ihm vorausgesagte Abfall des Kassai und von Teilen Kivus vom restlichen Kongo, die sich gleichfalls mit Katanga föderieren könnten, dürfte sich weniger wahrscheinlich realisieren.

Der afrikanische Politiker Tshombe, dessen föderalistisches Konzept Belgien noch auf der Brüsseler Konferenz im Jänner des Jahres zurückwies, hat stets — auch in seiner zeitweiligen Hinwendung nach Rhodesien — eine Föderation gesucht, die ihm Leopoldville verweigerte. Seine Hoffnungen kennzeichnen deutlicher als vieles andere die tragischen Unterlassungen einer Kolonialpolitik, die in ihren, vom Geiste des wirtschaftlichen Materialismus bestimmten Planungen die Menschen vergaß, für die zu planen war.

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