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„Kolonisation” durch Serben

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Serbische Flüchtlinge überschwemmen die Wojwodina, die ungarische Minderheit ist bedroht.

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Serbische Flüchtlinge überschwemmen die Wojwodina, die ungarische Minderheit ist bedroht.

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DieZahl der Flüchtlinge aus der Krajina dürfte die 100.000 bereits überschritten haben. Ein Teil der Mittellosen ist allerdings bewaffnet. Zusammen mit den in der Region stationierten Freischärlern von Belgrader Bandenführern haben mehrere Hundert von ihnen eine eigene „Bürgerwehr” gegründet, die die Flüchtlinge beschützen und den Behörden bei ihren „Integrationsbemühungen” beistehen soll. Als vorrangige Aufgabe gilt im Bahmen dieser Zusammenarbeit die Unterbringung der Geflohenen.

So ist es in den vergangenen Tagen in unzähligen Fällen zu gewaltsamen Besetzungen der Häuser der rund 400.000 Seelen starken ungarischen Minderheit gekommen. Anfangs begnügte man sich noch damit, die Häuser der Gastarbeiter aufzubrechen und zu beziehen: Seit dem Beschluß des Belgrader Flüchtlingsamtes, mindestens die Hälfte der rund 180.000 Vertriebenen in der Wojwodina anzusiedeln, wird aber, wie es im Fachjargon heißt, „im Schnellverfahren” gehandelt.

Hunderte ältere, darunter auch kranke Menschen sind bereits mit Waffengewalt gezwungen worden, ihr Hab und Gut den Vertriebenen zu überlassen. Inmitten der chronischen Arbeitslosigkeit sind Hunderte von Ungarn in verschiedenen Betrieben zwangsbeurlaubt worden, ihre Arbeitsplätze erhalten die Flüchtlinge.

Proteste der politischen Parteien der Volksgruppe werden von den Behörden schlicht ignoriert. Polizei und Gerichte berufen sich auf den im Lande herrschenden Notstand, „dessen Folgen von jedem Staatsbürger getragen werden müßten”.

Hinzu kommt noch die höchst alarmierende Aktivität sogenannter „fliegender Administration”, die die Aufgabe hat, die Eigentums- und Besitzverhältnisse der Bürger ungarischer Herkunft „neu zu registrieren”. In Weigerungsfällen wird mit Anzeigen, beziehungsweise mit Polizeigewalt gedroht. „Staatsfeinde” müßten sich in acht nehmen.

Die Betroffenen finden mit Recht, daß Gesetz und Verfassungsmäßigkeit in der Region außer Kraft gesetzt worden sind. Ihre politischen Führer sprechen sogar auch noch von einem „auf höchster Ebene” erstellten Plan, der eine „serbische Kolonisation” der Wojwodina bezwecke. Der Bürgermeister der im Norden der Wojwodina gelegenen mehrheitlich von Ungarn bewohnten Stadt Subotica/Sza-badka sandte einen Brief an den Staatspräsidenten des Mutterlandes.

Arpad Göncz wird darin um Intervention gebeten, da die „ungarische Diplomatie es unterlassen hat, wirksame Schritte zur Abwendung der Gefahr zu unternehmen”.

Die aus Sozialisten und Liberalen bestehende Begierungskoalition in Budapest hat bislang tatsächlich nur eine Stellungnahme „gegen die Hausbesetzungen” herausgegeben. Ministerpräsident Gyula Horn ist der Ansicht, daß mit Restjugoslawien Direktverhandlungen in Angriff genommen werden sollten. Indes hat aber Belgrad bereits einen Abgrenzungskurs eingeschlagen, der Ungarn wieder einmal vor vollendete Tatsachen stellt. Die äußerst vorsichtig und eher nichtssagend formulierte Stellungnahme des Horn-Kabinetts reichte schon aus, um in einer von den gleichgeschalteten Medien verbreiteten Erklärung Ungarn vorzuwerfen, noch immer nicht darauf verzichtet zu haben, seine territorialen Forderungen Serbien gegenüber zu erneuern.

Horns Kabinett ist nicht einmal geneigt, die Vertreter der ungarischen Minderheit in die mit der Belgrader Führung geplanten Gespräche mit-einzubeziehen. Die inständige Bitte des Vorsitzenden des Demokratischen Verbandes der Wojwodina-Ungarn, bei der Behandlung der „Schicksalsfragen” der Nationalität sie nicht zu übergehen, ist vom Außenminister nur zur Kenntnis genommen worden.

Der Spielraum ist außerordentlich eng und läßt im Grunde nur noch wei -tere Konzessionen an Belgrad zu. So sind vergangene Woche weitere fünf Hundertschaften des Grenzschutzes an die Grenzstrecke verlegt worden, die Ungarn im Süden von den serbisch besetzten Teilen Kroatiens trennt. Offiziell sollen die zu Kriegseinsätzen ausgebildeten Spezialtrup-pen mit ihrer Anwesenheit die Entschlossenheit der Regierung demonstrieren, die territoriale Integrität des Landes zu beschützen. In Wirklichkeit dient der Schutz den Serben, die in ihrer „Krajina” befürchten, daß ihnen die kroatischen Truppen - wie schon einmal im November 1991 — über ungarisches Gebiet in den Rücken fallen könnten.

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