7088950-1994_23_04.jpg
Digital In Arbeit

Unauffällige Geschäfte in kleinen Beiseln

19451960198020002020

Die nun abtretende christlich-nationale Koalition in Ungarn hat sich bis zuletzt gegen den Vorwurf gewehrt, in der internationalen Jugoslawien-Politik einen Sonderkurs eingeschlagen zu haben.

19451960198020002020

Die nun abtretende christlich-nationale Koalition in Ungarn hat sich bis zuletzt gegen den Vorwurf gewehrt, in der internationalen Jugoslawien-Politik einen Sonderkurs eingeschlagen zu haben.

Werbung
Werbung
Werbung

Es treffe allerdings zu, daß die Sorge um die Sicherheit der rund 500.000 Menschen umfassenden ungarischen Minderheit in der von Serbien verwalteten Viel-völkerprovinz Wojwodina stets von entscheidender Bedeutung gewesen sei. Angefangen hatte es mit der Verletzung des ungarischen Luftraumes durch die Maschinen der jugoslawischen Luftwaffe zur Zeit des Kroatenkrieges. Ihre von aller Welt belächelte Ohnmacht - in den mit mächtiger Verspätung überreichten Protestnoten bat man die Aggressoren fast noch um Entschuldigung -erklärte die Budapester Regierung mit Mangel an Ausrüstung: die Russen hätten bei ihrem Abzug die gesamte Luftabwehr mitgenommen.

Als dann die kroatischen Flüchtlinge ins Land zu strömen begannen und grenznahe Siedlungen von den Serben in aller Seelenruhe systematisch beschossen wurden, hieß es, die Gegenwart der Vertriebenen böte Anlaß zu einer Politik der äußersten Vorsicht und Nachsicht; so sehr sogar, daß Monate nach dem Inkrafttreten des UN-Embargos restjugoslawische LKW-Kolonnen mit dubiosen. Ladungen ungestört die damalige CSFR-Grenze passieren konnten. Zugegeben: Es war eine Zeit, da serbische Freischärler die Bevölkerung der Wojwodina frei terrorisierten.

Besänftigung des Nachbarn

Seit Oktober 1992, seitdem die Awacs-Aufklärer der NATO aus dem ungarischen Luftraum das Kriegsgeschehen in den südslawischen Krisengebieten beobachten, ist auch Belgrad gegenüber den Ungarn im In- und Ausland auf einen konzilianteren Kurs gegangen, der in Budapest selbstverständlich bejaht wird. Der verstorbene Regierungschef An-tall entwarf noch die „spezifische Jugoslawien-Politik”, die sich auf die ständige Besänftigung des „unberechenbaren Nachbarn' richtet.

Es gilt nach wie vor, am Kurs des Westens festzuhalten - für den Best können dann jederzeit die Schwierigkeiten beim Übergang zu den Marktwirtschaftsstrukturen verantwortlich gemacht werden. Im Klartext: Die aus dem wohl bewußt ohne jedwede gesetzliche Kontrolle vorangetriebenen Privatisierungsprozeß hervorgegangenen „Neuunternehmer”, die sich zum größten Teil aus der noch von den Kommunisten gezüchteten Schicht der korrupten Technokraten rekrutieren und mittlerweile über hervorragende internationale Beziehungen zu ihresgleichen verfügen, haben die sogenannte „Jugo-Chance” recht früh entr deckt und sie auch vorzüglich zu nutzen gewußt.

Rohstoff- und Waffenkäufe

So ist in Budapest seit Jahren das erste „westliche” Zentrum für serbisch-montenegrinische Geschäftsleute, die sich offiziell als Privatunternehmer oder aber schlicht nur als Handlungsreisende ausgeben: wenn es gerade darum geht, weisen sie halt entsprechend fingierte Personalpapiere vor; ob sie nun tatsächlich in Sarajewo oder in Split ansässig sind, wird von keiner Bank mehr kontrolliert. Und da Geldwäsche in Ungarn nach wie vor zu den weitgehend tolerierten Tätigkeiten zählt, ist es mit entsprechenden Kenntnissen und Beziehungen wahrhaftig ein Leichtes, Transaktionen zwecks Rohstoff- und Waffenkäufen zu tätigen. Behilflich bei der konkreten Ausführung ist dann die russische oder ukrainische Mafia, die ihre wohl auch mit staatlichen Stellen verfilzten Netzwerke auch in Bulgarien (siehe nebenstehenden Beitrag) und in Rumänien unterhält.

Vorgegangen wird dabei nach der goldenen Regel „unauffällig und bescheiden”. Man trifft seine Partner in Beiseln oder in Privatwohnungen. Als besonders wertvoll gelten da zum Beispiel unscheinbare Importeure. Oft als harmlose Familienunternehmen oder als Einmannbetriebe getarnt, dem Finanzamt als tüchtige Steuerzahler bekannt, verfügen solche Musterfirmen, die Videogeräte, Waschmittel, Gummibärchen verhökern, über weit in den dunkelsten Bereich der Kriminalität hineinreichende Beziehungen, sodaß die Beamten der Wirtschaftspolizei behaupten, über „Netzwerke wie diese” nicht einmal im Ausbildungskurs der Interpol gehört zu haben.

Da aber fast nie oder nur äußerst selten „gesungen” wird und auch vorzügliche Anwälte das Gesetz viel zu gut kennen, kommt man an die „Klienten” höchst selten heran. Zahlen und Fakten bleiben geheim, nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen, die die Presse aus gesundem Selbsterhaltungstrieb wohl zu schätzen weiß. Jetzt kommt es darauf an, wie weit die neue Regierung an der „spezifischen Jugoslawien-Politik” ihrer viel geschmähten Vorgängerin festhalten will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung