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Ost-Ost-Gespräch

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Am 5. Juli treffen sich die Vertreter der beiden größten kommunistischen Parteien, beileibe nicht die der Sowjetunion und der Chinesischen Volksrepublik. An den Beratungen werden hochangesehene Sachkenner teilnehmen, auf deren Wort die eigentlichen Machthaber hören; so auf sowjetischer Seite der Chefideologe Suslow, Mitglied des Parteipräsidiunis und des Parteisekretariats, und drei andere Mitglieder des Parteisekretariats, nämlich ein zweiter Theoretiker Iljitschow, dann Andropow, der sich als Diplomat in den Satellitenstaaten bewährte und dem die Kontrolle der Beziehungen zu den dortigen Bruderparteien anvertraut ist, und Ponomarow, dessen Ressort der Verkehr mit den westlichen Kommunistenparteien, vor allem in Frankreich, in Italien und in den angelsäch-sischenLändern, ist. Es fehlen jedoch die Männer der Spitzengarnitur — die, wie jede Spitzengarnitur, nur zu den höchsten Anlässen ausgepackt wird —; Chruschtschow glänzt durch Abwesenheit, Breschnew, Mikojan tun ein Gleiches. Sehr begreiflich, denn auch Mao Tse-tung, Liu Schao-Schi, Tschu En-Lai, sind zu Hause geblieben.

Ursprünglich hätte die Zusammenkunft ganz anders aussehen sollen. Sie war als Gipfeltreffen gedacht. Wenn daraus vorerst nichts geworden ist, so liegt das weniger an protokollarischen und anderen zcreriioniellen Rücksichten, die im Nahen und Fernen Osten auch heute eine nur für den Ortsunkundigen erstaunliche Rolle spielen, als an einer politischen Lage, die Klärung einer Menge von Streitfragen erheischt, ehe die ganz Großen einander ins Antlitz sehen. Von Chruschtschow kann man zwar, geht es um wichtige reale Entscheide, eher ein kleines Opfer an Selbstgefühl erwarten, Mao dagegen schwebt in einer olympischen Entrücktheit, die nicht nur in dem ihm, gleich den einstigen Kaisern, vorbehaltenen Zuruf der Massen „Zehntausend Jahre“ sich ausdrückt. Er empfängt Staatspräsidenten in Audienz, den Chinas, aber auch jüngst den Nordkoreas und zuvor den Nordvietnams. Im allgemeinen ist er unzugänglich und unsichtbar; illustre Fremde müssen sich eben mit dem Präsidenten der Republik und andern Koryphäen begnügen . ..

Diesem weisen Lehrer, der in Chinas St.iatshymne als Bringer alles Guten gefeiert wird, als im Osten aufgegangene Sonne, hat Chruschtschow zugemutet, nach Moskau zu einem freundschaftlichen Gespräch über sehr unfreundliche Dinge zu reisen. Als Argument dafür führte man im Kreml an, Ntkita Sergejewitsch sei zweimal in China gewesen; nun sei die Reihe an Mao, sich in die UdSSR zu bemühen.

Über zwei Fragenkomplexe sind nun Moskau und Peking in schier unüberbrückbaren Gegensatz geraten: einen ideologischen und einen rein prakti-

sehen, den man kurz und ehrlich als das Aufeinanderstoßen zweier miteinander unvereinbarer Ansprüche auf Alleinherrschaft — oder mindestens: Vorherrschaft — im kommunistischen Lager (und, im Endeffekt, über den Erdkreis) bezeichnen kann. Verschärft werden diese Widersprüche durch die von der kommunistischen Lehre geleugneten unauslöschbaren Kontraste zwischen Rassen und Völkern, Reichen, deren jedes seine eigenen historischen und biologischen Voraussetzungen hat. Demgemäß gebrauchen Moskau und Peking, sogar angesichts gleichgearteter weltanschaulicher Endziele, voneinander abweichende Taktik und Strategie im Kampf ums Führungsdasein, um den Sieg der eigenen, und seien es scheinbar derselben, Prinzipien.

Dazu ist noch ein wichtiger Sachverhalt zu unterstreichen. Während China einer einheitlichen Wesensart verpflichtet ist, macht sich in der Sowjetunion, der Erbin des alten Rußland, ein unausrottbarer Zwiespalt geltend: der einer europäischwestlichen und, trotz allem, von christlichem Erbe geprägten Komponente und der einer zweiten asiatischen, der chinesischen Seinsart näherstehenden, die sich seit der Mongolenzeit über den russischen Raum verbreitet hat. Dieser Zwiespalt bildet den tiefsten Grund für das Widereinander der beiden Richtungen, all deren Exponenten heute Chruschtschow und die von ihm mühsam Niedergehaltenen — man beiße sie Dogmatiker, Stalinisten oder wie immer — erscheinen.

Im Lichte der eben geschilderten Fakten sollte man die, mit tragischer Notwendigkeit erfolgte, Entwicklung betrachten, die sich seit etwa 1959 vollzogen hat.

Nach zwei Besuchen in China, von denen der eine, im August 1958, noch im Zeichen ungetrübter Harmonie verlief, der andere jedoch, auf der Rückreise Chruschtschows aus den USA, bereits ein deutliches Auseinanderstreben der Ansichten der Machthaber im Kreml und in Peking zeigte, brachte das Jahr 1960 nochmals eine Annäherung der kommunistischen Weltmächte: die gemeinsame Erklärung der 81 kommunistischen Parteien vom 18. Dezember 1960.

Allein schon bald darauf drang Kritik am Verhalten der albanischen Partei an die Öffentlichkeit. Zuerst aus dem Mund Ulbrichts, dessen spitzbärtiger Januskopf nach Westen hin als Teufelsfratze über die „Schandmauer“ die Zähne fletscht, nach Osten hin aber als Maske eines Versöhnlers, Scheinkommunisten und, im Grunde, wie die seines Meisters Chruschtschow als die eines Revisionisten verhaßt ist.

Durch zwei Jahre ging das Spiel in der Weise fort, daß man — haust du meinen NichtJuden, haue ich deinen NichtJuden — hier, unter sowjetischer Obödienz, die schlimmen Albaner abkanzelte, dort die Schleusen des Zornes über den Verräter und Wallstreetsöldling Tito ergoß, dabei jedoch Mao oder Chruschtschow, China oder die Sowjetunion, meinte.

Nach dem Jahresbeginn 1963 schaltete Chruschtschow eine Atempause ein, um zu versuchen, mit den Chinesen einen Waffenstillstand zu schließen. Daß dieser brüchig gewesen wäre, daß der jetzige Herr im Kreml von den Pekinger Machthabern, Mao voran, als Todfeind angesehen wurde, der unbedingt zu stürzen war: daran hegte Nikita Sergejewitsch kaum den leisesten Zweifel. Um die machtpolitische Auseinandersetzung zweier Rivalen zu verschleiern und um sie zu vertagen, vielleicht auch, um sie zu entschärfen, wünschte er also ein Gespräch.

Auf dem kommunistischen Parteikongreß der DDR, wo die chinesischen Delegierten niedergeschrien wurden, regte Chruschtschow, der in Ost-Berlin war, eine Begegnung mit den chinesischen Genossen an, mit dem Ziel, sich miteinander gründlich und freundschaftlich auszusprechen. Am 23. Februar wurde der Sowjetbotschafter Tscherwonenko von Mao in Audienz empfangen. Am 9. März überreichte der Generalsekretär der chine-

sischen KP, Teng Hsiao-Ping, eben-diesem Diplomaten die Antwort seiner Partei auf die Anregung der sowjetischen Genossen, die am 21. Februar Chruschtschows Einladung in regelrechte offizielle Form gebracht hatten. In diesem Dokument wurde dem sowjetischen Parteiführer vorgeschlagen, zum Gespräch nach Peking zu fahren.

Moskau erwiderte darauf durch ein Schreiben, worin die Einladung Maos höflich abgelehnt, doch durch eine Gegeneinladung nach der UdSSR beantwortet wurde. Die chinesischen Zeitungen druckten am 3. und 4. April die sowjetische Einladung ab, zugleich die beim Besuch einer albanischen Handelsdelegation gewechselten schwungvollen Reden über die unzertrennbare Freundschaft Pekings und Tiranas.

Inzwischen lenkte ein bedeutsames Intermezzo die internationale Aufmerksamkeit auf einen der wichtigsten Hintergründe des chinesischsowjetischen Zwists. Der chinesische Staatspräsident Liu Schao-Schi begab sich, vom Vizepremier und Außenminister Marschall Tschen-Ji be-

gleitet, nach Indonesien und Burma — im April — und sofort darauf — im Mai — nach Kambodscha und Vietnam. Überall, auch im formell neutralen Königreich, in dem der wendige Ex-monarch Prinz Sihanuk als Ministerpräsident uneingeschränkt waltet, stellten sich die Machthaber auf die chinesische Seite. Was nicht ausschloß, daß sich auf Java und Sumatra der durch keine politischen Subtilitäten entwaffnete Volkszorn in blutigen Ausschreitungen gegen die chinesischen Kaufleute wandte, die stramm zu Peking halten. Ergänzt wurde diese Tournee durch einen Chinabesuch des nordkoreanischen Staatspräsidenten, der wie der eigentliche Gebieter im Lande der Morgenröte, Kim Ir-Sen,

brav und fest den Pekinger Standpunkt verteidigt.

Gegenüber diesen geglückten Werbungen im ost- und südasiatischen Raum hatte Chruschtschow über zwei Gegenatouts zu verfügen: die bittere Feindschaft, die nun zwischen dem kommunistischen China und dem Indien Nehrus besteht und vor allem: die pompös aufgemachte Rußlandreise Fidel Castros, die in ganz Lateinamerika größten Eindruck hervorgerufen hat. Dagegen ist' in Europa einer der Vasallen Chruschtschows in bedenkliches Schwanken geraten: Rumänien, das vordringlich, doch nicht einzig, aus wirtschaftlichen Gründen mit Moskau unzufrieden ist und das auf dem beste Wege scheint, dem Beispiel... Jugoslawiens zu folgen, indem es eine Sonderposition aufzubauen trachtet.

Inzwischen flammte die sowjetischchinesische Polemik wieder auf. Chruschtschow wurde nunmehr offen atta-kiert und verspottet. Seine Bemühungen um den Vatikan hatten in China zum Echo, daß man Chruschtschow anriet, schleunigst zum Katholizismus

überzutreten. Eine Pekinger Karikatur trieb es so weit, daß sie Chruschtschow vor einem Spiegel abbildete, wie er die Tiara probiert, um festzustellen, ob sie ihm als neuem Papst gut zu Gesicht stünde. Als Tito am 18. Mai eine seiner Monatsreden hielt, und dabei Punkt für Punkt mit den chinesischen Parteigewaltigen als mit Kriegshetzern und Schädlingen abrechnete, wurde dieser Text, entgegen sonst gebräuchlicher Sitte, im „Zen-Min-Zi-Pao“ veröffentlicht, samt den Antworten, die aus vietnamesischen und koreanischen Parteikreisen erfolgten und worin es von Ekelausdrücken über den Erzketzer wimmelte. Drei Tage später, am 14. Juni, schickte die chinesische KP ihre Antwort an die sowjetischen Genossen ab. In 25 Punkten wurden die sowjetischen Thesen zerpflückt. Inhalt und Ton dieser Entgegnung ließen kaum noch Hoffnung auf eine gütliche Beilegung des Konflikts zwischen den beiden mächtigsten kommunistischen Parteien. Begleitmusik in Presse und Rundfunk, danu sich mehrende sonstige Zwischenfälle bestärkten derlei negative Ansicht. Vor der Weltöffentlichkeit wurde der Inzident auf den Moskauer Frauenkongreß — vom 24. bis 27. Juni — speziell herausgestellt, auf dem die chinesische Delegierte — applaudiert von ihren Genossinnen aus Nordvietnam, Nordkorea und Albanien, heftig angegriffen durch Inderinnen, Italienerinnen, Britinnen und Ostdeutsche, voran die Gattin Ulbrichts — durch wüste Beschimpfungen der USA und ähnliche Scherze einen Skandal auslöste.

Schwerer wiegt der vom Parteimäßigen aufs Zwischenstaatliche hinüberspielende Konflikt, den die chinesische Botschaft verursachte, als sie den durch die sowjetische Zensur unterdrückten vollen Text des Pekinger Schreibens vom 14. Juni in russischer Übersetzung verbreiten ließ. Die Sowjetregierung hat daraufhin kurzer Hand fünf chinesische Botschaftsan gehörige ausgewiesen, die in Peking triumphal gefeiert wurden, als sie in den letzten Junitagen dorthin zurückkehrten. Protest aus Peking war das sofortige Ergebnis. Ungeachtet der „sehr getrübten“ Atmosphäre hat China dennoch, um seine kommunistische Seelengröße zu beweisen und so nebenbei um weltweite Propaganda zu machen, seine Delegierten nach Moskau entsandt. Suslow und seine Equipe werden auf die Genossen Teng Hsiao-Ping und auf dessen mit allen Salben geschmierte Mitarbeiter, darunter den ebenfalls schon erwähnten Wu Hsiu-Tschuan, stoßen. Schimpfkanonaden sind diesem brüderlichem Gespräch vorangegangen.

Einem neuen chinesisch-sowjetischen Honigmond bäumen sich die ernstesten Hemmnisse entgegen. Hier die störend-sten in knappsten Schlagworten: entgegengesetzte Ansichten über Vermeidbarkeit oder gar Nützlichkeit eines neuen Weltkriegs, über Symbiose, friedlichen Wettbewerb, umgrenzte Zusammenarbeit mit nichtkommunistischen Ländern und Regierungen, nach Innen aber über Vorrang der Bedarfsgüter oder der Rüstung, über Rechte des Individuums inmitten einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, über die Anerkennung privater Daseinssphären. Ferner auf weltpolitischem Gebiet: Streitpunkte USA, Afrika, muselmanischer Staatenkreis, Indien, Malaya, Laos, Vietnam, Kuba, das gesamte Südamerika, Verhältnis zum Vatikan.

Was nützt es, wenn Chruschtschow auf einem Gebiete, dem der Gedankenfreiheit und deren künstlerischem, dichterischem Ausdruck, Konzessionen zugestanden hat? Wenig. Denn jenseits des ideologischen Disputs enthüllt sich der wahre Kern der chinesisch-sowjetischen Unstimmigkeiten: der Kampf zweier Riesenreiche um die Vorherrschaft, um die Alleinherrschaft.

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