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Pakistans blutiger Seiltanz

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Nach dem blutigen Gemetzel der letzten Wochen, bei dem der entfesselte Mob mitunter wehrlosen Menschen den Kopf abschnitt und ganze Straßenzüge in Flammen aufgehen ließ, finden sich jetzt die meisten Pakistanis gerne damit ab, daß der Nachfolger Ayub Khans mit eiserner Hand die Ordnung wiederherstellt. Trotzdem sind die chinesischen Machthaber und ihre Agenten mit dieser Entwicklung nicht unzufrieden. Sie wissen, daß man mit Gewalt allein auf die Dauer nicht regieren kann und hoffen, daß ihre Saat trotzdem später aufgeht, obwohl der Nachfolger Ayubs klug vorgeht, die politischen Parteien nicht ostentativ auflöst, eine künftige Demokratisierung verspricht und das Militär nicht allzu sichtbar in Erscheinung treten läßt.

Als wichtigster Anhänger Pekings gilt der frühere Außenminister Bhutto, den Ayub Khan lange einkerkern ließ. Er hatte u. a. erklärt, das Chaos in Pakistan sei „eine Folge der Ausbeutung des Volkes durch die Kapitalisten“. Auch Maulana Bhashani, der Führer der Awami-Partei, der sich dm Gegensatz zu anderen Parteien weigerte, überhaupt mit Ayub Khan zu verhandeln, hatte schon in der ersten Märzhälfte den „Feudalherren und Kapitalisten“ geraten, „freiwillig zu verschwinden“, um ein Blutbad zu vermeiden. Ein Überfall von vier jungen Männern auf diesen 86jähri-gen Politiker, bei dem er verletzt wurde, hat die Volksmassen ganz besonders verbittert und zum Ausbruch der blutigsten Unruhen beigetragen.

Offenbar wird Bhutto, auf den Peking große Hoffnungen setzt, zu einem gewiegten Seiltänzer auf dem Parkett der Weltpolitik. So erklärte er in einem privaten Gespräch, daß sein „sozialistisches Konzept“ eher jenem der skandinavischen Länder gleiche als dem rotchdnesischen. In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Er hat öffentlich erklärt, daß er sich für eine rücksichtslose Verstaatlichung aller großen Industriebetriebe und Banken in Pakistan einsetzen werde.

Ayub Khan, dessen Hände mehr gebunden waren als im Ausland angenommen wurde, liebäugelte zwar mit den kommunistischen Ländern, konnte aber im Inneren des Landes die Duldung ungeheurer sozialer Mißstände nicht verhindern. Noch immer gibt es in den Städten mehr als eine Million Familien, die in menschenunwürdigen Behausungen dahinvegetieren. In vielen Ortschaften kommt ein Arzt auf siebentausend Einwohner. Der an sich eindrucksvolle industrielle und landwirtschaftliche Aufschwung Pakistans kommt nur ganz wenigen zugute. Ein Regierungsexperte schätzt, daß sage und schreibe zwanzig Familien in Pakistan mehr als zwei Drittel der Industrie und des Bankkapitals besitzen und es verstanden haben, ihr Vermögen von Jahr zu Jahr um ein Drittel zu vermehren.Chaotische Zustände bieten bekanntlich der Einflußgewinnung fremder Macbbsphären große Möglichkeiten. Jedenfalls gilt heute Rotchina als die Macht, die die pakistanischen Entwicklungstendenzen am meisten zu zusäitzlichier Einflußgewirnnung zu benützen versteht. Begreiflicherweise betrachten die Sowjetunion diesen großteils hinter den Kulissen vor sich gehenden Einflußgewinn mit Besorgnis. In Nordvndien ansässige Gewährsmänner, die trotz aller Grenzkontrollen über gute Querverbindungen zu verschiedenen innerasiatischen Gebieten verfügen, berichten über eine erbitterte Rivalität zwischen Pekinger und Moskauer Agenten in Pakistan wie im gesamten innerasiatischen Bereich. Als Sowjetrußland und Rotchina noch nicht verfeindet waren, hätte Bulga-nin beinahe den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Pakistan und Moskau verursacht, als er sich im erbitterten indisch-pakistanischen Streit um Kaschmir hundertprozentig hinter Indien stellte und kurz und bündig erklärte: „Kaschmir ist indisch.“ Bis zum März 1969 hat sich das Blatt völlig gewendet. Offenbar ist heute Moskau bereit, als Gegengewicht gegen Pekinger Einflüsse auf Pakistan die Sympathien dieses Landes sogar auf Kosten der sowjetisch-indischen Beziehungen zu gewinnen. In der Vorwoche protestierte Indien offiziell gegen die Lieferung weiterer sowjetischer Großpanzerwagen an Pakistan. Auch die Vereinigten Staaten sind am Geschehen in Pakistan brennend interessiert. Schon vor geraumer Zeit hat zum Beispiel der USA-Botschafter in Neu-Delhi unumwunden erklärt, daß es wünschenswert sei, daß Pakistan gemeinsam mit Japan, Indones'en und Indien einen kraftvollen antimaoti-schen Block bilde.

Nach einer kürzlichen Bekanntgabe des indischen Verteidigungsministeriums hat Rotchina Pakistan seit 1965 zweihundertfünfzig Panzerwagen, hundertzwanzig Mig-Flug-zeuge und zwei Staffeln Kampfbomber geliefert. Trotzdem liegt nach der Meinung guter Asienkenner, deren Voraussagungen sich wiederholt als stichhaltig erwiesen haben, der Hauptakzent der Pekinger Planungen nach wie vor mehr auf der politisch-weltanschaulichen als auf der militärischen Ebene. Sie erinnern sich in diesem Zusammenhang unter anderem auch einer seinerzeitigen Äußerung Mao Tse-tungs in einem seiner Gespräche mit japanischen Besuchern: „Wir führen mit Vorliebe Kriege auf dem Papier, bei denen nicht allzu viele Menschen umkom-men. Und wir sind bereit, solche .Kriege' auch fünfundzwanzig Jahre lang rücksichtslos fortzusetzen.“

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