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Was Wähler mobil macht

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Seit dem 13. Oktober ist in Österreichs Parteienlandschaft jeder Erdrutsch denkbar geworden.

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Seit dem 13. Oktober ist in Österreichs Parteienlandschaft jeder Erdrutsch denkbar geworden.

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Wer hätte das vor ein paar Jahren in Österreich für möglich gehalten? Bei einem bundesweiten Urnengang erreicht keine Partei mehr als 30 Prozent, aber drei Parteien liegen nahezu gleichauf. Die regierenden Sozialdemokraten schaffen nur noch in zwei Bundesländern (Wien, Burgenland) die relative Mehrheit, Jörg Haiders Freiheitliche dagegen in drei (Kärnten, Tirol, Salzburg), während die Volkspartei erstmals seit 30 Jahren auf Bundesebene die Nase vorn hat. Was ist da passiert?

Natürlich ist der Einwand, Wahlen zum Europaparlament seien nicht>Nationalrats-wahlen, berechtigt. Natürlich hat es einiges für sich, daß viele, die sonst zähneknirschend SPÖ gewählt hätten, meinten, hier Dampf ablassen zu können, ohne Gefahr zu laufen, Jörg Haider zum Bundeskanzler zu machen. Nur: Wer wie Franz Vranitzky die Bedeutung dieser Wahl für die Innenpolitik herunterspielt (obwohl der Kanzler sich wieder, diesmal offenbar mit dem gegenteiligen Effekt, mit einem „Pensionistenbrief” exponiert hat), bei wem angesichts so vieler frustrierter Wähler nicht sämtliche Alarmglocken läuten, der muß in Bälde mit weiteren Wahlschlappen rechnen.

Wie sehr die SPO an diesem 13. Oktober abgebaut hat, zeigen nicht nur die EU-Wahlen, sondern auch die Nationalratsnachwahlen in Beutte und Donnerskirchen und die Landtags- und Bezirksvertretungswahlen in Wien. Die unter Verlusten gehaltene Gemeinderatsmehrheit in St. Pölten ist ein äußerst schwacher Trost.

Der Vranitzky-Hinweis, die geringe Wahlbeteiligung (für EU-Wahlen aber durchaus respektabel) sei eine Hauptursache der Niederlage, die SPÖ habe viele ihrer Wähler nicht mobilisieren können, greift zu kurz. Warum konnten es andere? Und warum blieb in Wien, wo die Wahlbeteiligung normal war, das SPÖ-Europa-Er-gebnis (34,0 Prozent) noch deutlich hinter dem bereits sehr schwachen Landtags-Ergebnis (39,2 Prozent) zurück? Meint die Vranitzky-SPÖ wirklich, sie könne so weitermachen wie bisher?

Daß d*e ÖVP bei der Europa-Wahl nicht nur mit einem blauen Auge davonkommen, sondern sogar die SPÖ mit ihrem farblosen Listenführer Hannes Swoboda überrunden konnte, hat sie allen Demoskopen zufolge ihrer kompetent und sympathisch wirkenden Spitzenkandidatin Ursula Stenzel zu verdanken. Während (noch ohne Wahlkartenwähler) der SPÖ über 740.000 ihrer Wähler vom Vorjahr abhanden kamen, waren es bei der ÖVP nur 250.000. Zusätzliche Wähler, etwa 20.000, konnten offenbar nur die von Johannes Voggenhu-ber angeführten Grünen gewinnen, während sogar die anteilsmäßig gewaltig zulegenden Freiheitlichen rund 20.000 Wähler einbüßten. Die nur mit Zittern ein Europamandat für Friedhelm Frischenschlager schaffenden Liberalen verloren sogar 100.000 Stimmen gegenüber der Nationalratswahl 1995.

Die im Vorfeld der Wahl von voreiligen (oder Zweckpessimismus verbreitenden) Kommentatoren für möglich gehaltenen raschen Abtritte von Spitzenpolitikern fanden jedenfalls, wie erwartet, bis zur Stunde nicht statt. Weder Kanzler Vranitzky noch Bürgermeister Michael Häupl noch dessen nun wahrscheinlichster Koalitionspartner in Wien, Bernhard Görg, zeigten Bereitschaft, aus ihren mageren Wahlergebnissen Konsequenzen zu ziehen. Görg und dem Grünen Peter Pilz gingen auch sicher viele Stimmen Bichtung Liberales Forum verloren, das mit Gabriele Hecht vermutlich besser als mit Wolfgang Bachmayer abschnitt, denn (siehe Stenzel) kluge Frauen kommen an.

Hatte die Polarisierungswahl 1995 die Auflösung der traditionellen politischen Lager noch einmal gebremst, so hat dieser Wahlsonntag gezeigt, daß auf Stammwähler immer weniger Verlaß ist, wenn ein überzeugendes Programm und glaubwürdige Kandidaten fehlen. Was Wähler mobil macht, sind Persönlichkeiten, aber auch nicht eingelöste Versprechen seitens der bisherigen und Vertrauen erweckende Aussagen seitens der neuen Partei.

Der Weg vom von der Stammpartei nicht mehr mobilisierbaren Traditionswähler zum Wechselwähler ist kürzer geworden (wer diesmal Vranitzky die Gefolgschaft verweigert hat, steht vielleicht schon im Vorzimmer einer anderen Partei). Und das Wahl-verhalten der Unter-30-Jährigen würde, so Demoskopen, keine Großparteien mehr, sondern bestenfalls Mittelparteien ergeben. Österreichs Parteienlandschaft ist so in Bewegung geraten, daß kein weiterer Erdrutsch auszuschließen ist.

War an diesem Wahlsonntag die SPÖ der eindeutige Verlierer, so ist die FPÖ unbestreitbarer Sieger. Das anerkennen auch die Politikforscher Fritz Plasser und Peter Ulram in ihrer Wahlanalyse: „Die FPÖ ist spätestens seit den Europawahlen 1996 nicht nur die mit Abstand wahlpolitisch erfolgreichste radikal-rechtspopulistische Partei AVesteuropas, sondern repräsentiert auch den Typus einer ,neuen, protestorientierten Arbeiterpartei'.” Wenn laut Umfragen 50 Prozent der Arbeiter für Jörg Haiders Freiheitliche votieren, so hat die FPÖ der SPÖ tatsächlich den Bang der Arbeiterpartei abgelaufen.

Was bleibt nun von diesem Wahlsonntag?

Daß die „Pro-EU-Parteien” ÖVP, SPÖ und LIF nun in Straßburg nur noch 14 statt 15 Mandatare stellen, gegenüber nun sieben (bisher sechs) „EU-Kritikern” von FPÖ und Grünen, spielt kaum eine Bolle. Aus der Wahl eine zweite EU-Abstimmung herauszulesen, die erneut rund zwei Drittel EU-Zustimmung gebracht habe, ist äußerst fragwürdig.

AVichtiger wäre, daß der „Denkzettel” der Protestwähler verstanden wird, der Frust über eine konzeptlos erscheinende Politik mit vielen hausgemachten „Pannen” und Versäumnissen (Politikerbezüge, Werksverträge, Gewerbeordnung, Sozialversicherung, Bildungssystem).

Eine Frage sollte man nicht als Spekulation abtun, sondern im Hinblick auf die mögliche Wiederkehr einer ähnlichen Situation durchaus ernsthaft bedenken: Was wäre passiert, hätte es bei den Nationalrats-wählen im Dezember 1995 das von ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel angestrebte Besultat, also ein ähnliches Ergebnis wie jetzt, gegeben?

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