6710914-1964_20_07.jpg
Digital In Arbeit

Wieder Cäsar am Nil

Werbung
Werbung
Werbung

Chruschtschows Ägyptenreise ist weitaus mehr als der beachtenswerte Staatsbesuch des Führers der ersten kommunistischen Großmacht in einem Schlüsselland der bündnisfreien Welt zu werten. Er kennzeichnet die Spannweite des sowjetischen Vormarsches und des westlichen Rückzuges an einem wichtigen weltpolitischen Kreuzungsweg und markiert die engen Grenzen politischer und ideologischer Neutralität im Ost-West-Konflikt.

Erstaunlicherweise wurde die kommunistische Ideologie für die Bündnisfreien noch anziehender, seit der kommunistische Monolith Auflösungserscheinungen zeitigt. Die sowjetische Strategie läuft nicht mehr in erster Linie darauf hinaus, Satelliten zu gewinnen. Daher fällt es den selbstbewußten farbigen Nationalisten leichter, sich mit ihr einzulassen. Ägypten ist dafür das denkwürdigste Beispiel.

Seit Friedensapostel Nehru zu höchst unfriedfertiger Außenpolitik gezwungen ist und sich Indonesiens Diktator Sukarno durch innere Mißwirtschaft disqualifizierte, Wird Ägyptens Präsident Abdel

Wasser auch westlicherseits als neutraler Machtfaktor anerkannt. Während die USA noch 1956 ablehnten, den Assuandamm zu finanzieren, flössen der ägyptischen Volkswirtschaft seither 629 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe zu. Jahr für Jahr wurden mindestens eineinhalb Millionen Tonnen Lebensmittel in das Nilland verschifft, ohne die Hungersnöte ausgebrochen wären. Chruschtschows Aufenthalt drängt die Frage auf, ob diese Hilfsbereitschaft gerechtfertigt ist.

Amerikanische Diplomaten begründen sie gewöhnlich mit der Behauptung, Abdel Nasser repräsentiere das einzige stabile arabische Regime und verhindere eine kommunistische Machtergreifung. Der sowjetische Ministerpräsident wird sich indes unschwer davon überzeugen können, wie weit die nas-seristische Innen- und Wirtschaftspolitik Ägyptens jener „Machtergreifung“ schon entgegengetrieben hat, die die westliche Politik voraussetzungsloser wirtschaftlicher Hilfsmaßnahmen zu verhindern trachtet. In Wirklichkeit unterscheidet es sich in seinen Regierungsmethoden nur noch graduell und in seiner Regierungsform nur dadurch, daß es scheinbar unabhängiger operieren kann, von einem kommunistischen Land.

Der Assuandamm, dessen Fortschritte Chruschtschow besichtigen will, ist das sichtbarste Zeugnis ägyptisch-sowjetischer Eintracht. Fast 2000 sowjetische Techniker arbeiten an dieser gigantischen Pyramide des Weltkommunismus. Internationale Experten sind sich darüber einig, daß nur ein Bruchteil der großen wirtschaftlichen, energietechnischen, siedlungspolitischen und agrarextensiven Pläne erfüllbar ist, die mit dem Hochdamm verknüpft werden. Noch ehe er fertig ist, steht fest, daß der Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ergebnis stehen wird. Es ist kaum anzunehmen, daß sich nicht auch die Sowjetunion darüber klar ist. Mit dem Dammbau verfolgt sie nur den Zweck, in ganz Afrika die kommunistische Überlegenheit zu demonstrieren. Der ganze Schwarze Kontinent starrt denn auch auf das Zyklopenschauspiel in dem nubi-schen Flecken.

Für die ägyptische Unabhängigkeit, die der Neutralismus angeblich gewährleisten soll, weitaus folgenschwerer ist die militärische Zusammenarbeit. Die Armee ist fast ausschließlich von sowjetischem Nachschub abhängig. Sie ist unter anderem mit sowjetischen Panzern vom (veralteten) Typ T 34/85, BTR 40 und BTR 152 ausgerüstet. Die Luftwaffe besitzt die Düsenjäger MIG 17, MIG 19 und MIG 21, leichte Bomber vom Typ JI 28 und schwere vom Typ TU 16. Außerdem verfügt sie über verschiedene sowjetische Raketentypen. Hinzu kommt die Tätigkeit sowjetischer Armeeinstrukteure und die Ausbildung ägyptischer Offiziere auf sowjetischen Militärakademien.

Auf wirtschaftspolitischem Gebiet ist die Sozialisierung beinahe abgeschlossen. Rund 80 Prozent von Industrie und Großhandel sind verstaatlicht. Nur der Einzelhandel besitzt vorläufig noch eine begrenzte Privatinitiative innerhalb staatlich kontrollierter Konsumgenossenschaften. In der Landwirtschaft wird auf die Kollektivierung hingearbeitet. Im Dezember vorigen Jahres wurden die Eigentumsrechte der Fellachen an dem ihnen teilweise erst durch die Bodenreform zugefallenen Grund und Boden stark eingeschränkt. Ackerbestellung, Fruchtfolge, Saat- und Erntezeit können vorgeschrieben und die Bauern gezwungen werden, staatlich geleitete Genossenschaften zu bilden.

Innerpolitisch unterschied sich das Regime ohnedies nie von kommunistischen Methoden. Die Geheimpolizei ist allmächtig. Politische Gegner sind, teilweise ohne Gerichtsverfahren, in Lagern interniert. Mißliebige Bürger dürfen nicht ausreisen. Telephongespräche werden abgehört, Postsendungen und ausländische Zeitungen, Bücher und Filme zensiert. Der fiktive Devisenkurs ist künstlich festgelegt, die Ein- und Ausfuhr ägyptischer Banknoten verboten und Devisenschmuggel strafbar. Die „Arabische Sozialistische Union“ kontrolliert als einzige Partei die Nationalversammlung. Im Zeichen „sozialistischer Gesetzlichkeit“ wurden schon im verflossenen Jahr zahlreiche inhaftierte Kommunisten freigelassen. Sie durften teilweise ihre Stellungen in der staatlich gelenkten Presse wieder, einnehmen. Mitte März wurden weitere 150 KP-Mitglieder frei. Es ist logisch, daß ihre geschulten ideologischen Vorstellungen das noch verschwommene Konzept der Staatspartei beeinflussen werden. Abdel Nassers einstiger marxistischer Mitkämpfer, Khaled Mo-hieddin, der längere Zeit isoliert war, gehört heute dem Parlament an, das zur Hälfte aus „Arbeitern und Bauern“ besteht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung