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Aus der Zeit des Bruderzwistes in Habsburg

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Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Von Hans Stur Biberg er. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns mit Illustrationen und Faksimilen (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs, 3). Hermann Böhlaus Nachfolger Graz-Köln, 1953. XI, 420 Seiten. Preis 98 S

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Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Von Hans Stur Biberg er. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns mit Illustrationen und Faksimilen (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs, 3). Hermann Böhlaus Nachfolger Graz-Köln, 1953. XI, 420 Seiten. Preis 98 S

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Auf Grund eines weithin verstreuten Urkunden-und Aktenmaterials zeichnet der Verfasser weit über den Rahmen einer Biographie die Gestalt eines Mannes, der im Zeitalter des „konfessionellen Absolutismus“ (Eder) nicht nur das Haupt der ständischen Libertät Oberösterreichs, vielmehr der führende Steuermann des politischen Protestantismus in Europa war. Das Geschlecht der von Tschernembl stammte aus dem Städtchen gleichen Namens im südöstlichen Teil von Krain, in der ehemaligen Windischen Mark. Schon Georg Erasmus Tschernembls Großvater erwarb die Scherffen-bergsche Herrschaft Windeck im Machland und sein Vater Hans Schloß und Herrschaft Schwertberg 1563. Leben und Wirken Georg Erasmus (1567—1626) spielt sich mitten in der ungeheuren Spannung zwischen Ständen und Landesfürstentum ab und umfaßt die Zeit, die sich zwischen der Religionskonzession Kaiser Maximilians II. (1568) und den Reformationspatenten Kaiser Ferdinands II. (1624/25) erstreckt beziehungsweise die Entwicklungsgeschichte des erblän-dischen Protestantismus kennzeichnet. Seine Erziehung erfolgte in Schwertberg und Windeck im Geiste des Evangeliums und war ganz erfüllt von den Traditionen des obderennsischen Herrenstandes. Von 1580—1584 besuchte er mit seinem Bruder Hans Christoph die fränkische Akademie zu Altdorf. Nach dem Abgange von Altdorf wurde sein Hofmeister, der Dichter Paulus Melisse (Schede), Kalviner und Humanist, auf der Cavalierstour von ausschlaggebender Bedeutung. Wen der Kalvinismus nach Graf Hermann Keyserling die „Religion der Tat par excellence, die größte An-spornerin der Initiative, des Fortschritts, der selbstherrlichen Lebensgestaltung, welche es }e gegeben“, ist, so sollte das kalvinische Bekenntnis, das er annahm, in ihm die natürlichen Voraussetzungen finden. Freilich galt ihm als oberstes Gebot in seinem religiös-politischen Handeln: Vermeidung aller Zersplitterung der Kräfte im Protestantismus im Kampfe gegen das Haus Oesterreich.

Das 16. Jahrhundert ist die klassische Zeit der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen unrechtmäßige Fürstengewalt, das vom Kalvinismus stärksten Impuls erhielt. In der ganzen Oppositionspolitik der österreichischen Stände während des Spieles im habsburgischen Bruderzwist zwischen Kaiser Rudolf und Erzherzog Matthias sehen wir Erasmus Georg Tschernembl auf dem Höhepunkt seiner Politik, der zugleich der kritische Wendepunkt sein sollte.

In den kritischen Wiener Verhandlungen mit König Matthias, März 1609, spielte Tschernembl nicht nur als eigentlicher Repräsentant der Stände, vielmehr der ständisch-protestantischen Idee schlechthin, eine führende aktive Rolle, in der er sich als eine geschlossene, ausgeprägte Persönlichkeit vor dem späteren Betrachter abhebt, bedeutungsvoll als Mensch, Politiker und Staatsmann bei all der Zeitbedingtheit seiner Prinzipien und Handlungen (Seite 191). Wenn nach Leopold v. Ranke die Grundsätze religiöser Freiheit und ständischer Autorität nie stärker als damals ausgesprochen wurden, so hatte zweifelsohne Tschernembl den entscheidendsten Anteil daran. Seine Religionspolitik war keineswegs nur im feudalständischen Sinn ausgerichtet, er zeigte sich auch als eifriger Kämpfer für die religiöse Gleichberechtigung der Städte und Märkte, ja der breiten Schichten der Bevölkerung Oberösterreichs.

In der Entwicklung der österreichischen Politik 1606—1612 hatte Tschemembl als treibende Kraft der gesamtösterreichischen Ständebewegung und des österreichischen Protestantismus seine politischen und konfessionellen Ziele auf weiter Basis erreicht und war in seinem rücksichtslosen Auftreten für Matthias und die katholische Partei das führende und gefährliche Haupt der ganzen Konspiration geworden. Nur sieben Jahre stand er gleichsam im Schatten, bis er in den entscheidungsvollen Jahren österreichischer Gesamtgeschichte 1618—1620 das Land in die große Katastrophe des mitteleuropäischen Protestantismus mit hineinführte (Seite 226).

Dem Verfasser gelingt es ferner aufzuzeigen, daß der fanatische politische Kämpfer eine Bibliothek besaß, die an Umfang und Auswahl die Norm einer zeitgenössischen Adelsbibliothek weit überschritt, sich da ein geistiges Zeughaus seines Kampfes schuf und im Besitze der gesamten Bildung seiner Zeit war. Mitte 1617 trat er zum zweiten Mal das Amt eines Verordneten des Herrenstandes an. 1619 hatte Ferdinand II. durch seine Wahl zum Kaiser eine ideelle Stärkung seiner Position erreicht; die Ereignisse überstürzen sich. Die Schlacht am Weißen Berg vor Prag am 8. November 1620 brachte die Katastrophe des Protestantismus in Mitteleuropa, das Ende der ständischen Staatspläne, und das besiegelte auch das Schicksal Tscher-nembls, der, flüchtig, im kalvinischen Genf ein Asyl fand und dort 1626 starb. In seinen „C o n s u 1-tationes“ (Gedanken, Pläne und Ratschläge) tritt sein Radikalismus noch stärker hervor, und man hat einen Revolutionär vor sich, der wohl den Religionsfrieden wollte, aber auf Kosten seiner Gegner. Unzweifelhaft ist er trotzdem zu einem Vorkämpfer des Gedankens der Volkssouveränität, der religiösen Toleranz und damit zum Künder einer neuen politischen Welt geworden.

Dem Verfasser, der sich nach jahrelanger Forschung mit dem schwierigen Stoff vertraut gemacht hat und sich durch sein gerechtes Urteil als würdigen Schüler Heinrich von Srbiks erweist, gebührt für diesen wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation großer Dank.

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