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Yael Hedayas Roman "Zusammenstöße" ist eine unspektakulär und unaufgeregt erzählte Liebes- und Lebensgeschichte aus Israel.

In Israel herrscht seit Jahren Krieg, kein traditioneller Krieg, denn die Front führt unvermittelt durch Kaufhäuser, Kaffees und Busse. Wie lebt es sich in so einem Krieg? Wie lebt es sich für jene, die mit dem Krieg geboren und die Bedrohung in unterschiedlichen Ausmaßen als ständigen Begleiter wissen?

Auch im Krieg gibt es Normalität und natürlich auch Liebe. Die israelische Autorin Yael Hedaya hat mit ihrem Roman "Zusammenstöße" eine Liebesgeschichte geschrieben, wie es auch im Untertitel heißt. Der Krieg und die Bedrohung sind nur in einigen Nebensätzen präsent, wenn die zehnjährige Tochter Dana des Schriftstellers Jonathan sich etwa der Mahnung des Vater erinnert, angesichts der Bombenanschläge die Märkte zu meiden. So normal ist dieser Krieg, dass er nur in einem Nebensatz wiederkehrt.

Liebe in Zeiten des Krieges

Die Ausblendung gelingt, ohne dass der Eindruck entsteht, als würde hier jemand mit Scheuklappen durchs Leben gehen, und das ist - um es wertfrei zu sagen - das Faszinierende an diesem Roman. Einerseits rückt der Text unsere durch Nachrichten entstandene Perspektive zurecht, als wäre der Krieg in Israel tatsächlich immer und überall allgegenwärtig, andererseits muss dieses Buch auch als Synonym für die geglückte Ausblendung von Realität gelten. Oder aber wir entscheiden uns in der Bewertung für die Variante: Die Liebe ist stärker als alles andere.

Welche Perspektive der Leser auch wählt, die Beziehungsgeschichte eines Schriftstellers mit einer Schriftstellerin entfaltet sich auf immerhin 750 Seiten, Platz genug auch für die Pubertät einer Zehnjährigen, für das Älterwerden und das Sterben eines Vaters, ein Eintauchen in ein Lebensgeflecht des Alltags.

Die Autorin erzählt unaufgeregt und unspektakulär und verpackt komplexe Bewertungen in knappe Sätze, wenn zum Beispiel der verwitwete Jonathan, dessen Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, mit dem Schwager einen small talk führt und sich nicht klar wird, wen dieser mehr hasst: den typischen israelischen Autofahrer oder die Linke.

So lapidar

Jonathans erstes Buch war ein Erfolg, an einem neuen schreibt er mit so wenig Begeisterung, wie er bereit ist, neue Frauen in seinem Leben zu akzeptieren, sie nur überhaupt zu denken. Dies ändert sich, als die Mutter einer Schulfreundin ihn bei einem Essen mit Schira bekannt macht und seine Tochter sie als weibliches Vorbild zu entdecken beginnt. Schira ist ebenfalls Schriftstellerin, hat einige Beziehungen hinter sich: Ihr letzter Lebensgefährte ist gerade weg, ihr Vater todkrank und ihr Buch ein Erfolg. So lapidar sind Hedayas Aufzählungen. Die fast beiläufigen Kommentare und Bewertungen des Alltags sind es, die den Reiz des Buches ausmachen, so zum Beispiel wenn die Tochter und ihre Abneigung gegen Familienessen zu einem System gefasst werden, "denn gerade dieser Widerstand ist Bestandteil desselben, denn erst der Widerwille macht dieses Ereignis überhaupt zu einer Institution."

Keine richtige Gegenwart

Schira ist an dem Punkt angelangt, dass sie keine richtige Gegenwart hat und "jedes neue Fitzelchen Wissen über sich selbst ihr nicht Weisheit brachte, sondern Kraftlosigkeit". Die geschilderte Einstellung Schiras zum Älterwerden und der nahen Zukunft des Sterbens ihres Vaters stellt eine treffende Charakterisierung menschlichter Hilflosigkeit dar. "Das ganze Gerede über Zähneputzen und Rasieren und den Telefonanschluss am Bett war nichts als ein Versuch, das riesengroße Ungeheuer - den bevorstehenden Tod, schlimmer noch: die Tage, die blieben, bis er käme - in mehrere artige und zahme Haustiere zu verwandeln."

Das Buch endet nicht, es verliert sich im Alltag, wie es begonnen hat, der Vater stirbt ("Nichts an der eleganten Schlichtheit mit der sein Leben kollabierte, erinnerte an die Vielschichtigkeit und Differenziertheit, die es gehabt hatte, keine Spur. So reibungslos und leicht also verlief der Prozess des Abschaltens einer Maschine.")

Schira und Jonathan ziehen zusammen, sie schreibt weiterhin, während er sich auf das Unterrichten von Literatur an der Universität in Jerusalem verlegt, und die Tochter wird erwachsen. Alltag eben.

Zusammenstösse

Eine Liebesgeschichte

Roman von Yael Hedaya. Aus d. Hebr. v. Ruth Melcer. Diogenes Verlag, Zürich 2003. 751 Seiten, geb., e 25,60

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