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Alte Bilder — neue Gestalten

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Eine eigenartige Idee hat in diesem schönen Buche ihren anmutigen Ausdruck gefunden. Der Verfasser knüpft an die Bilder großer Meister, die er seinen Kindern zeigt, Geschichten, die irgendwie durch das Gemälde eines van Eyck, eines Fragonard, eines Memling, Dirk Bouts oder der Tintoretto angeregt werden, Geschichten, die nicht Interpretation des Darstellers sind, vielmehr eigenständige Schöpfungen der Feder, die sich den Schöpfungen großer Meister des Pinsels anschmiegen, etwa wie die duftigen weißen Kapernblüten an den Mauerrissin eines alten edlen Bauwerkes der süditalienischen Campagna. Der Autor macht seine dichterischen Erfindungen im Kreise seiner Kinder, der dreizehnjährigen Beatrice und der jüngeren Marie Ciaire, aufmerksamer Zuhörerinnen, die mit Neugier oder auch Skepsis der erfinderischen Bildlegende des Vaters folgen, kritisches Mitglied des jugendlichen Auditoriums ist der siebenjährige Francois, der die Farbreproduktion eines Engels mit großen glänzenden Flügeln in Blau und Gold energisch ablehnt. „Dieses Bild ist lächerlich“, denn „Engel haben viel kürzere Flügel und jedem ist bekannt, daß sie weiß sind.“ — Gerne gesellt sich der Leser zu diesem Zuhörerkreis, lauschend einem Erzähler, der Form und Esprit französischer literarischer Kunst so sehr diesem Buche zu eigen gemacht hat, daß diese Arteigenheit auch die elegante Ubersetzung von Pauly Baldaß überströmt. Die Erzählungen, die sich um die zwölf gezeigten Bildtafeln schlingen, durchmessen esne harmonische Stufenleiter psychologischer Motive und ersteigen wiederholt klassische Höhe, zum Beispiel wenn man der Geschichte von dem armen Hündchen Juan folgt, die zu dem Gemälde „Die Hofdamen“ von Velazquez gehört, oder die pathetische Deutung zu dem tränenbenetzten Antlitz der „Schmerzensmutter Maria“ von Dirk Bouts, oder der rührenden Liebesgeschichte, die der Madonna im Rosenhag des unbekannten Meisters der Lucia-Legende einen Maler andichtet. Eines der zwölf behandelten Bilder gehört dem Wiener Kunstbesitz an, das jedem Kunstfreunde wohlbekannte kleine Gemälde: „Die Königin von Saba vor König Salomo“, eines jener sieben seltsamen breiten Gemälde Tintorettos, die, heute eine Kostbarkeit der Wiener Gemäldegalerie, um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden, offenbar bestimmt waren, in ein kostbares Möbelstück eingelassen zu werden. Auch hier der Kranz, den der Erzähler zu dem Bildthema flicht, so frisch und duftig wie je.

In einem sei der verlegerischen Ein-begleitung des Buches widersprochen: wenn sie von einem Werk der „Jugendliteratur“ spricht. Der Ausdruck trifft nicht den Charakter dieser literarischen Darbietung. Es genügt, daß der Verfasser selbst seinem aus der sonst eingehaltenen Linie herausfallenden Text zu Hans Memlings „Bild eines Mannes“ beigefügt hat: Eine Geschichte für „Erwachsene“. — Jo van der Eist, der weltmännische Diplomat, der zum Poeten geworden ist und nicht umsonst mit den ersten in englischer und französischer Sprache erschienenen Ausgaben seines Buches in der Kritik und auf dem Büchermarkt eine sehr gute Aufnahme erfuhr, lehrt nicht nur Schönheit sehen — er lehrt, den einfühlenden Geist aus der Gedankenwelt des geschauten Meisterwerkes die Betrachtung sinnvoll zu vertiefen und kunstschöpferisch mitzugenießen. Das macht den besonderen Typus dieses Kunstbuches, dessen technisch und geschmacklich erstklassige Ausstattung der Wiener Budipro-duktion vor dem internationalen Markte alle Ehre macht.

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