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Baukostensenkung — eine sittliche Aufgabe

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Mit ziemlich viel Recht kann man die heutige Baukunst 'mit der Schauspielerei von 1930 vergleichen, als diese vom rollenden, singenden, stoßenden, hauchenden Expressionismus zum „natürlidien“ Bühnenton, zum „Nebenbei-Spredien“ überging. Die architektonischen Heldenväter wie die ekstatischen, innendekorativen Moissis — die hamletisdien Städtebauer mit hohlen Fensteraugen und Fassadenmantelschwung — sahen und sehen ungern, daß die vorlauten Jungen nunmehr mit „Gar nichts“ Kunst machen wollen. Und doch sind jene Baumeister, die heute noch Theaterdonner mit geballter oder zerrissener Form, oder allersanftesten Lyrismus — auf der Bühne, im Stadtbild — machen wollten, gleichermaßen komisch. Wir vertragen nicht einmal die Theatraiik der neuen Sachlichkeit. Als den wirklich modernen Stil wollen wir nur das ansehen, was selbstverständlich ist. Zum mindesten fordern wir dies im sozialen Wohnbau, wo wir gegen individuellen Aufputz oder Materialpathetik sehr empfindlich geworden sind.

Die Sparsamkeit mit Gestik jeder Art ist heutiges Stilmerkmal oder — was dasselbe ist — die harmonische Inbeziehungsetzung selbstverständlicher Motive. Wir haben an den zerstobenen Konsolgesimsen der Zinshäuser aus Blech und Stuck gelernt, wie hohl der ganze Zauber war. Wir wollen dies nicht mehr, nicht mehr die Jeßner-Treppen und auch nicht mehr die „Entfesselten“, denen nichts mehr einfällt, als das Gerade schief zu madien. Wir sind längst wieder beim Rechtwinkelsystem angelangt. Es enthält die Majestät der Schwerkraft und des vernünftigen Handelns, welches den Mutwillen mit nationaler Arbeit als etwas Liederliches betrachtet.

Sage nierrund, die Architektur sei Kunst, und sie brauche die Freiheit, und die Geometrie töte die Phantasie! Solche Worte, nun fünfzig Jahre gehört, durch die oberflächlichste Kenntnis des antiken, des gotischen, eigentlich jeden Stils als Viertelwahrheiten entlarvt, sind Zwecklügen wie die Forderung nach „Schönsein und genau so wie früher“. Die erste, macht der Eitelkeit, die zweite dem Geschäft den Weg frei. Mit dem einen ermuntert man den Exzeß, mit dem andern die Denkfaulheit. Wie einfach ist es, zu sagen, wie grundsätzlich wahr und im Resultat unweigerlich falsch: Stil einer Zeit muß etwas Mittleres sein, etwas Einfaches, das die Leute verstehen. Es kann ein sehr alter, jedoch nicht der „neue Stil“ das Merkmal hoher Kompliziertheit aufweisen. Hitler war in dieser Hinsicht ein bemerkenswerter Psychologe: er mutete nichts zu, verwendete Altbekanntes. Er gab dem nationalen Instinkt das Schilfdach und den Holzbalken, dem geistigen Mittelstand die Arkadenbrücke und den Portikus, dem verdienenden Bürger die schmiedeeiserne vergoldete Laterne, das Bronzegitter und den Marmorkamin. Auch Mussolini war — von Journalistik angekränkelt — unsicher in der Herbeischaffung geistiger Massennahrung: die Klassik, die die Römer an den gedoppelten Kehrseiten der Stadiongiganten abzahlten, war esoterisch.

Wenn wir ernst sein wollen, wenn wir dies alles als Ausdruck einer uns verbotenen Gesinnung nicht mehr machen und wir die Baufibel nur in der Tasche blättern dürfen, auf welchem andern, von den Massen verstandenen Prinzip als dem der Sparsamkeit sollen wir denn unseren Stil aufbauen? Sollen wir wirklich die stukkierten Eierstäbe aus dem Grabe zerren? Oder sollen wir uns gar dem „ewig heiteren Barock“ zuwenden? Uns ist nicht heiter zumute.

Sollen wir in die finstere Bauerngotik hinein, in welche der österreichische Expressionismus mündete, oder in die Wiener Werkstätte eintreten, wo man Stuckschürzen mit allerfeinstem Ornament versieht? Uns ist nicht „gotisch“ zumute und keiner von uns ist eigentlich mehr „fein“. Wir wissen, daß die Masse, die dem schauspielerischen Treiben des architektonischen Individuell-und Originellseins geduldig — oder vielleicht schon feindselig? — zusieht, von uns das Wesentliche erwartet. Dieses aber heißt klipp und klar: Wohnungen bauen! Die Wohnungen sollen praktisch und sie sollen zahlreich, das heißt billig sein. Ob sie schön für avantgardistische Zeitungen zu photographieren sind, ob ein landschafts-verbundener Erker oder ein hausteinernes Türgewände, eine Fassadenschwingung oder gar ein Blumenfenster den ästhetischen Bezirk kitzelt, dA sehen weder die „Massen“ noch die Kollegen als das Wesentliche an. Sie zucken die Achseln, wenn die Fensterlöcher allzu grob und gefühllos in den glatten Kubus geschnitten sind. Aber sogar dieser Kunstfehler, der in jedem Stil von jedem die Durcharbeitung scheuenden Architekten begangen wird und der viel gröber ist als etwa eine ungefühlte Gesimslinie, wird als sekundär empfunden. Käme man allerdings dann in die Wohnung und fände sie eng, verwinkelt, mit schlechten Stellflächen, wäre sie ohne technische Behelfe, schwer zu reinigen, unsolide in Wand und Decke, so wäre jeder empört, weil hier öffentliche Arbeit vergeudet wurde. In der Notzeit vergeudet.

Billig bauen, zweckmäßig bauen, geräumig bauen — was sind das anderes als Utilitäten, als Sparsamkeitskriterien? Die primären Motive zum neuen Stil nehmen die Kraft aus der Besdiränkung, genau wie die heutigen Kömödienschauspieler. Mag sein, daß die Dramatik auch heute noch den Schrei oder das gellende Lachen kennt. Der soziale Wohnbau ist nicht mehr dramatisch. Er war es noch bei den expressionistischen Wohnburgen von 1925. Zu einer Zeit, als Dichter und Schauspieler „aufrüttelten“. Heute ist das Aufwühlen schlechter Ton, höchst sparsam bei den allerseltensten Gelegenheiten anzuwenden. Heute macht man Haus und Dach, Zimmer und Fenster, den Grundriß der Siedlung und der Wohnung so vernünftig ak möglich, so unauffällig, so sparsam als möglich. Die Gewalt des Rechtwinkeldenkens, die herkömmliche Führung des Haushalts und ihren Ausdruck im Grundriß nimmt man hin, so wie man den Eigentumsbegriff als eine Grundlage des Seins hinnimmt. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen. Aber die, welche Ausnahmen zur Regel machen wollen, die nicht anerkennen, daß einzig in der Nuance und niemals in der Übertreibung die Möglichkeit zur Meisterhaftigkeit liegt, die sind schlechte Schauspieler, schlechte Baumeister.

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