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Das Gedicht

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ATEM

Ergriffnes Dasein, ohne Riß und Rand: nicht Kelter mehr, nicht Wein! Zum Atem überwand das immer Ungefügte den Widerstand, Es fällt, weil ihm der Hauch genügte, als Wolke in die Welt.

Auch hier verzichtet noch auf das Bild der Wille. Ins Innere verdichtet, wird alles Daseins Stille, wie sie in einem Tropfen ruht: in seiner Wange scheint der große Mond, es brennt die Flut von allen Sternen drin vereint.

Du Hauch, der Leben haucht: als hätte dich nun Traum, der keinen Tod mehr braucht, entrissen seiner kaum erwirkten Trunkenheit: wie sie sich schweigt im Tropfen, hör ich die Ewigkeit in stetem Stoße klopfen!

ODE AN DIE VERLASSENHEIT

Tiefhin Stein: ein Gebirg der Jahre, Doch es zeigt jedes Währe viel zu hart, viel zu groß sich nur grenzenlos.

Wahr war hier: die Verlassenheit Wahr war hier; ihr das Herz zu sein, das für sie schweigt und schreit vor dem Ohr aus Stein.

Was du sagst, leis und laut, kommt zurück in dich und ist fremd — und entwich dir so traut!

Bist zum Schweigen gewillt, weil du meinst, daß du mußt. Doch das Stumme, statt stillt, zerreißt es die Brust.

Du verlierst das Gesicht im Entfliehn aus der Schlacht..s Das Allein und das Nicht wächst die Distel der Nacht um die eiskalte Stirn.

Sie wird Stein. Dann der Mund.

Nur das Licht im Gehirn brennt den Stein innen rund.

DIE LIEBENDE

Waj es der Duft der Akazie? Er war ja der Atem der Welt.

Aber es roch schon die Fäulnis, die jede Blume zerschellt!

Oder geht der Duft durch die Zeiten? War es der Mond?

Weil er Erinnern hat, bis er gelb wie die Blume wohnt im Oktober, voll Honig, satt. Nein. Der Mond war zu weit.

Die Akazie duftet. Sie hat ja noch Zeit!

In der bebenden Frage kommt der Duft wie die Sage schöner als je noch der Mond, und er wohnt nun als Atem im Haus: Der Geliebte kam. Und ich sah: dieser Riese siebte durch seine Finger Sterne. Und Duft war da …

DIE SEELE

Aufwärts treibt es die Seele, fort vom Staub.

Zuerst Laub um Lende und Haupt, noch zwischen Schatten und Helle, horcht sie lang und breit in das Klirren der Zeit;

löst sich vom steinernen Schoß, welchen der Weinstock säumt, wie ein Erinnern los, bis sie nun träumt, wenn durch sie Regen fallen; und schon in diesem Zug wartet dem Schmerz in allėn Orten nicht mehr ihr Krug. Er ist längst schon leer. Es trinkt ihn das Meer als endlicher Mund,

Jeder Tropfen ist Perle der Muschel und schimmernd der Himmel gespannt um sie: weil die Seele ihn fand. Von oben her strahlt sie als Licht in der Perle uralt.

Hans Leb, geboren 1909, Kärnten, Studium der Architektur bei Clemens Holzmeister an der Wiener Akademie, seit 1935 Mitarbeiter vieler Tageszeitungen, 1936 Jullus-Reich- Preis, später Adalbert-Stifter.Preis, Stiftung ■ der Stadt Wien, Leopqld-Llegler-Stlftung und Förderung im Großen österreichischen Staatspreis. Es erschien: 1939: ..Die Anrufung“, 1942: „Ein Duft von Brot zieht durch das Haus“, .1947: ..Der unsterbliche Tag“, 1948: ..Die Enthüllung“; sämtliche Lyrik. 1943 erschien die Kriegsnovelle ..Die Mutter" und erreichte das 100. Tausend. Der Autor lebt als freier Schriftsteller in Villach.

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