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Das Geheimnis des Gründonnerstags

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Als Franęois Mauriac, der seit 1933 Mitglied der Acadėmie Franęaise ist, den literarischen Nobelpreis erhielt, wurde in ihm ein Dichter und Schriftsteller gefeiert, der zu einem großen Teil dazu beigetragen hat, das seltsam verbogene Bild der katholischen Literatur wieder geradezurücken. Dabei vertritt Mauriac fast repräsentativ jene Richtung, die die Welt und ihre Mächte ernst nimmt und die Gestalten erst durch die Welt und ihre Hölle gehen läßt, ehe sie den Weg der Gnade und den Zugang zur Erlösung finden. Mauriac kann so schreiben, weil er „in der tiefsten Verborgeifheit" die Liebe zu entdecken vermag, oder, objektiv, das heißt von oben her gesehen, weil er weiß, daß „die lebendige Liebe“ nicht aufhört, bei den Menschen Wohnung zu nehmen, „jene Liebe, deren wirkliches Antlitz die Welt nicht sieht“. Dennoch steht Mauriac in vielen Werken so im Extrem dieser Haltung, daß er nicht selten auf katholischer Seite höchsten Vorwürfen und auf der Gegenseite Mißverständnissen ausgesetzt war. Wie sehr aber dieser Mauriac, gleichzeitig Meister des Romans, des Essays und des Dramas, aus der Mitte einer katholischen Ueberzeugung lebt und schreibt, zeigt seine Schrift „Der Große Abend“. Ein B e k e n n t n i s (Verlag Styria, 2. Auflage, 128 Seiten). Scheinbar zunächst eine einfache und schlichte Deutung der Gründonnerstaggeheimnisse, entwickelt sie sich mit jedem Satz zu einer großen bekennerhaften Apologie des Allerheiligsten Sakraments als des Mittelpunktes der Welt und der zentralen Kraft der menschlichen Seele auf ihrem Wege mit und zu Gott. Eine einzigartige Klarheit des Ausdrucks verbietet jedes Mißverständnis, und ein heiliger Stolz auf das, was er im schlichten Glauben den großen und kleinen Apostaten der Weltgeschichte und der Gegenwart aus der Teilnahme an diesem Brot des Lebens voraus hat, durchzieht diese Betrachtungen, in denen ein in Wahrheit und von der Wahrheit Ergriffener Zeugnis gibt.

Es ist wirklich ein Zeugnis, ein Bekenntnis. Das gibt der Verfasser selbst zu erkennen, wenn er sich von Anfang an „an die Außenstehenden" wendet, „an den ablehnenden und indifferenten Unbekannten, der einzig und allein deshalb zu diesem Bändchen greifen wird, weil es meinen Namen trägt“, wie er offen und in berechtigtem Stolz sagt. Aber das Bekenntnis des Dichters hat nicht zuletzt auch den Gläubigen viele und tiefe Wahrheiten zu sagen, denn wie vertraut ihnen das Geheimnis des Gründonnerstags auch sein mag — so daß „eigentlich nichts in dem Büchlein steht, mit dem ein katholisches Schulkind nicht schon vertraut wäre“ —, es wird hier eingehüllt in die feurige, liebende, manchmal mystischtiefe, glühende, aber immer reine Sprache des begnadeten Christusjüngers, in dessen Worten das bekannte und unbekannte Geheimnis die Grenzen mehr oder weniger teilnahmsloser Gewöhnung sprengt und das ganze Leben der Natur und der Gnade in seinen Mittelpunkt hineinnimmt.

Man hat schon viel Kluges über Mauriac geschrieben und gesagt, und die Clique der Literaten hat sich seiner bemächtigt, obwohl sie an das Geheimnis der Gnade, das stets im Mittelpunkt des Mauriac- schen Werkes steht, von ihrem Standpunkt aus gar nicht heranreichen können. Die Christen und Gläubigen wiederum haben sich von ihm zurückgezogen, weil sie Angst hatten vor dem „purpurnen Leben" (Nietzsche) und vor der „göttlichen Freiheit des Menschen", selbst noch „an der allergrößten Liebe Verrat üben zu können". Man muß den Mauriac dieses Büchleins hinzunehmen, um zu begreifen, weshalb er es wagen konnte, „sein Haus mitten im Feuer- .brand der Liebe aufzubauen", und zugleich „den Mut und die Kühnheit des reuigen Sünders" zu begreifen. Denn das Geheimnis des Gründonnerstags, „das liebeglühende Schweigen der Eucharistie“, das hinüberleitet in die Todesangst und in die Passion des Gottmenschen, ist so groß und tief, daß es nicht nur die „eitlen Ansprüche der Welt“, sondern auch die Angst und die Verzweiflung aufzunehmen vermag..

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