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Das Phantom geht um

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In der arabischen Presse fällt seit einigen Monaten auf, daß keine Erscheinung der unmittelbaren Vergangenheit so oft behandelt wird wie — Adolf Hitler. Die größte ägyptische illustrierte Zeitschrift, „al-Musawwa r”, weiß auf zwölf Spalten haargenau zu berichten, daß Hitler am Südpol lebe, wohin er sich mittels einer ganzen Flottille von Spezialunterseebooten, versehen mit Lebensmitteln für viele Jahre und Geräten für die Herstellung von Geheimwaffen, flüchten konnte. In der Zeitschrift „A k h e r S a a” vertritt der für sehr bedeutend gehaltene ägyptische Journalist Mohammed at-Tabii, der sogar als einer der besten Kenner Europas gilt, die Meinung, daß Hitler in Argentinien oder in Spanien lebe. Ein sicherer Said Abduhu will auf einer Berliner Reis herausgefunden haben, daß in den Apriltagen 1945 nicht Hitler, sondern sein Doppelgänger zugrunde gegangen sei. Alle Stimmen, die irgendwie darauf hindeuten, daß Hitler nicht gestorben sei, werden mit sichtlichem Wohlgefallen von der arabischen Publizistik verzeichnet. Zahllos sind die bloß der Sensationslust dienenden Artikel aus dem Leben Hitlers, ja sogar das Tagebuch der Eva Braun kann man in arabischer Sprache lesen („Akhbar al-yom”).

Um den Tenor solcher Artikel zu charakterisieren, sei eine typisch arabische Stelle aus einem redaktionellen Aufsatz der größ-ten Zeitung der syrischen Hauptstadt Damaskus, „A 1 i f - B a”, herausgegriffen („Alif-Ba”, 4. Mai 1948, Seite 3, Spalte 6):

„In der Nacht der Finsternis sehnt man sich nach dem Mond. Und hier ist der Mond der Führer (dieses deutsche Wort, das sich als Fremdwort itn Arabischen recht eigenartig ausnimmt, wird hier wie oft in solchen Artikeln in bezug auf Hitler gebraucht), den die Alliierten ebenso wie die Araber jetzt vermissen, denn wenn er noch am Himmel glänzte, so gäbe es keinen Gro- myko, kein Veto, keine Irgun und keine Haganah. Aber einem bösen Schicksal gefiel es, dieses Gestirn zu verdunkeln und den roten Stern, die Sterne der Juden und der Zionisten, aufleuehten zu lassen, die ganz klein waren, solange die Sporen an Rommels Stiefeln bei el-Alamein klirrten.”

Man muß die Stellung der Araber im zweiten Weltkriege zu Hitler ins Auge fassen, um das Paradoxe solcher Äußerungen so recht zu ermessen. Hitler hat die arabische Welt durch seine Geringschätzung des orientalischen Menschen schwer beleidigt, mit dem Worte „Libanesen” bezeichnete er gern „Untermenschen” überhaupt. Tiefer hätte er die Araber nicht treffen können. Die Politik der arabischen Staaten war denn auch durchaus alliiertenfreundlich, antideutsch und antiitalienisch und stellte dann einen wesentlichen Beitrag zur Erringung des Sieges über die Achse dar. In den Tagen von el-Alamein, da eine geänderte Stellung der Ägypter einen wesentlichen Einfluß auf die Kriegsoperationen hätte nehmen können, waren sie durchaus loyal auf Seite der Alliierten, der gesamte Nachschub für die Montgomery - Truppe funktionierte klaglos, und alles Liebeswerben aus Berlin und Rom blieb völlig vergeblich. Die Araber hatten zu Kriegsbeginn die diplomatischen Beziehungen zur Achse abgebrochen und später sogar den Krieg erklärt.

Und nun, da Deutschland besiegt und Hitler nicht mehr am Leben ist, da die zivilisierte Welt jenen Mann und das durch ihn verkörperte System verabscheut, treten in der Presse eines Volkes, das, als Hitlers Truppen das Gebiet zwischen den Pyrenäen und dem Kaukasus besetzt hatten und seine Propaganda ständig auf die Araber einhämmerte, ihn doch ablehnte, nicht bloß vereinzelte Stimmen auf, die ihn verherrlichen! Und dies in einer Weise, die man, wenn nicht als Unsinn, so doch als Phantastik bezeichnen kann. Was geht hier vor? Wie tief muß ein Volk, das immerhin an die 60 Millionen zählt, enttäuscht und verbittert worden sein, wenn eine solche Wandlung Platz greifen konnte.

Hier ist in einem großen Volke aus Verzweiflung an einer politischen Weltordnung, die es selbst aufbauen half, eine Nervenkrise ausgebrochen. Nicht ungefährlich.

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