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Der Donauraum: gestern, heute — morgen?

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Emil Franzel führt als Tagesjournalist eine scharfe Klinge! Der ehemalige sudetendeutsche Sozialdemokrat und Gefolgsmann Wenzel Jakschs zählt heute zu den markantesten Vertretern eines deutschen Konservativismus und treuesten publizistischen Vorkämpfern der Politik des deutschen Bundeskanzler Adenauer. Mitunter hat Franzeis Klinge freilich auch Scharten. Das haben wir in Oesterreich zu spüren bekommen, als Franzel anläßlich des österreichischen Staatsvertrages einen Leitartikel in der „Deutschen Tagespost“ veröffentlichte, der den vielsagenden Titel „Dreimal Oesterreich — und nimmermehr“ trug, in dem der Verfasser, zum Entsetzen nicht zuletzt österreichischer Gesinnungsfreunde, sich zu dem apodiktischen Urteil hinreißen ließ, Oester-Teich habe vor der Weltgeschichte abgedankt, es sei ein für allemal „erledigt“ und als Staat keines Interesses mehr wert.

Heute wissen wir, daß nicht Bösartigkeit diese zornigen Zeilen diktierte, sondern daß sie vielmehr einem in seiner Liebe sich' hintergangen glaubenden Herzen entsprangen. Emil Franzel hat trotz seines neuen Wirkungsfeldes an der Isar und am Rhein die Donau nicht aus dem Blick verloren: die Donau, die noch immer nach Osten fließt. . .

In dem vorliegenden kleinen Buch, das — warum es noch länger verhehlen? — zu dem Treffendsten gehört, was über den Donauraum des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde, bekennt sich Emil Franzel als überzeugter „Großösterreicher“. Präzise Sachkenntnis paart sich mit kämpferischem Temperament. Letzteres bekommen die Nationalisten aller Völker zu spüren. Hart geht der Autor mit ihnen ins Gericht. Auch seine engeren Landsleute, die Sudetendeutschen, nimmt Franzel ins Gebet. Von einem, der ihr Schicksal mit allen seinen Bitternissen teilte, müssen sie sich unangenehme Wahrheiten sagen lassen. Der heimatvertriebene Sudetendeutsche, der ungezählte Male in der Heimat und im Exil die Klinge mit den Anhängern Beneschs gekreuzt hat, bewahrt dem tschechischen Volk gegenüber Objektivität. Wie wird es manchen in den deutschnationalen Traditionen Aufgewachsenen wundern, sich gerade von einem heimatvertriebenen Sudetendeutschen belehren zu lassen, daß die über Jahrzehnte sorgsam weitergereichte Meinung vom Ueberlaüfen slawischer, vor allem -tschechischer Truppen im ersten Weltkrieg zu einem guten Teil Legende ist (S. 158).

Franzeis volle Sympathien gehören allen Plänen, die in dieser oder jener Form den Vielvölkerstaat im Donauraum zu einer Föderation umbauen, aber um jeden Preis erhalten wollten. Den Bemühungen des Belvederekreises und der Christlichsozialen Luegers zollt Franzel Beifall. (Eine Zwischenbemerkung: Lueger kam nicht, wie der Autor an einer Stelle behauptet [S. 126], aus der „deutschnationalen Bewegung“, mit der er in seiner politischen Frühzeit wohl einige Zeit Schritt hielt; seine Ausgangsposition war jene sich „demokratisch“ nennende jungliberale Wiener Richtung, die zuerst im Schoß der Liberalen Partei, dann getrennt gegen die großbürgerliche Oligarchie rebellierte.)

Das alles ist Vergangenheit. Franzel weiß dies sehr wohl. Sein -Blick geht aber voraus, wenn er in der Einleitung schreibt: „Seit der heroischen Erhebung des ungarischen Volkes wissen wir, daß Donauraum und Intermare das Schachbrett sind, auf dem sich größere Geschicke entscheiden werden.“ Ohne österreichischen Staatsvertrag aber kein polnischer und ungarischer Oktober 1956. „Dreimal Oesterreich — und nimmermehr?“ Wir glauben, daß auch der Großösterreicher Franzel inzwischen erkannt hat, daß die österreichische Neutralität keinen Abgesang an die Geschichte darstellt, sondern einen Ausgangspunkt dafür bilden kann, die alte Mission in ganz neuen Formen zu erfüllen.

Wo Franzel aufhört, beginnt Joachim Kühl seine Untersuchung. Dort das leidenschaftlich schlagende Herz, hier der kühle wissenschaftliche Verstand. Die Völker des Vielvölkerstaats im Donauraum sind auseinandergelaufen. Aber nicht länge, da versuchen sie, von wirtschaftlichen Krisen geschüttelt vund von politischen Drohungen erschreckt, wieder ins Gespräch zu kommen. Kreuz und quer laufen die Fäden, vielfach sich verwirrend und störend. Pläne, Hilfskonstruktionen, denen letzthin eines zur Vollendung mangelt: die Macht. Das Ergebnis: Zuerst Hitler, dann Stalin .. . Aber auch im Exil geht die Diskussion weiter. Nicht weniger als 18 verschiedene Föderationspläne der Emigrantengruppen kann Kühl aufzählen und, wie seine ganze Untersuchung, mit einem interessanten wissenschaftlichen Apparat belegen. Es handelt sich um Reißbrettentwürfe, an denen vielleicht nur ein Umstand von geschichtlicher Bedeutung ist: daß nämlich die Idee der Föderation schlechthin eine so starke Anziehungskraft ausübt, nachdem die betroffenen Völker durch die fatalen Erfahrungen der nationalstaatlichen Zersplitterung und durch zwei Fegefeuer hindurchgehen mußten.

Ideen eilen ihrer Zeit voraus — träge folgen wir Menschen.

Uebrigens: den Namen Joachim Kühl sollte man sich bei der auf schöne Anfangserfolge bereits zurückblickenden Wiener „Arbeitsgemeinschaft Ost“ vormerken. ,

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