6601098-1953_39_08.jpg
Digital In Arbeit

Der Untergang eines Staates

Werbung
Werbung
Werbung

Die Frauen von Ragusa. Roman von Eberhard Wolfgang Möller. Pilgram Verlag, Salzburg. 524 Seiten. Preis S 96.—.

Noch Montesquieu hatte in Ragusa das einzigartige, nur einmal auf der Welt vorhandene kostbare Gefäß erblickt, in dem die idealen Vorstellungen der Philosophie von einer Republik vollkommene Wirklichkeit geworden waren. Das Verlöschen dieses Staatsgebildes, eines der bewunderungswürdigsten in Europa, stellt das tragische Substrat eines Romanes dar, mit dem sich der Dramatiker Eberhard Wolfgang Möller zum zweitenmal als Epiker ernstlich bewährt. Uns in Oesterreich liegt die Historie um Ragusas staatlichen Untergang räumlich und im Grunde auch thematisch näher als dem norddeutschen Autor und wir sehen es gerne, daß sich ein österreichischer Verlag des Werkes angenommen hat. Wir erinnern uns, daß Ragusa, das jugoslawische Dubrovnik, unter venezianischem und dann unter türkischem Protektorat eine weitgehende Selbständigkeit genoß, 1806 von den Franzosen besetzt und von den Russen belagert wurde, 1808 machte Frankreich der ragusäischen Republik ein Ende, seit 1814 gehörte die Stadt mit Dalmatien mehr als hundert Jahre lang zu Oesterreich. Es leben heute noch genug Zeugen dieser für Ragu-Sa erfreulichen Epoche.

Möllers Historie berichtet von dem Zusammenstoß der Adelsrepublik Ragusa mit dem aus der Revolution aufgestiegenen napoleonischen Kaisertum. Baron Woynovitsch ist der zu männlichen Opfern bereite Repräsentant des kleinen Freistaates. Seine LTnterredung mit dem Erzbischof, ein Gespräch an den Wurzeln des christlichen Glaubens, zählt zum Schönsten des Buches. Die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Franzosen und Russen um das nur mit seinen Rechtstiteln bewaffnete Ragusa wird bloß in ihren Auswirkungen und Begleitumständen sichtbar (es ist kein Kriegsbuch). Möller läßt eben dieses Akzessorische zum Wesentlichen werden: Hier die Franzosen, entflammt von den scheinbar europäischen Ideen ihres Kaisers, bewußt mißverstanden vom ragusäischen Pöbel, der mit dem (veralteten) Rufe „Freiheit, Gleichheit. Brüderlichkeit!“ unter Raub und Mord das edle Gefäß der Verfassung zerschlägt, — dort die Russen, ohne Ahnung dessen, was sie zerstören, ihr General die aufhellend heitere, köstliche Figur eines pfiffigen östlichen Grandseigneurs — als Passive und Wehrlose Rektor und Signoria, die Regierung des Freistaates, die in hieratischet Würde die tragische Wende verneint und an ihr zugrunde geht.

Spät, erstaunlich spät vom Standpunkt der

epischen Technik, treten dann noch in vollstem Sinne als Akteure die Frauen von Ragusa auf. Woynovitsch hat von dem italienischen Dichter Alfieri den Torso einer Tragödie „Die Achaierin-nen“ geerbt. Im Chaos des Untergangs unterfangen sich die Frauen, dieses unvollendete Werk aufzuführen (das der Roman in extenso enthält), worin die Gattinnen der geschlagenen Krieger von Patras den Eid leisten, sich ihren Männern zu verweigern, bis die Stadt wieder befreit wäre. „Von jetzt ab sei der Tod Regent in Patras...“ Allein die Natur siegt in einem übermächtigen lebensbejahenden Fortissimo.

Das Fragment nach Alfieri mit seiner Introduktion und mit dem billigen Ausklang mutet uns doch wie ein allzu fremdes Pfropfreis auf dem starken Stamm des Romans um Woynovitsch und Ragusa an, ein Pfropfreis, zu spät und ohne rechten Erfolg eingesetzt. Ein klaffender Bruch bleibt sichtbar, den der Leser, der die Vorzüge des Buches ehrlich bejaht, nur mit Bedauern wahrnimmt. Es muß noch auf gelegentliche Anachronismen hingewiesen werden — das politische Schlagwort vom Sacro egoismo war 1806 unbekannt, es wurde erst 1914 von Salandra geprägt — und schließlich auf kleine Stilmängel; das Wort „klamm“, das ja an der Grenze des Mundartlichen steht, wiederholt sich unzähligemal.

Genug der Einwände — sie können das große Bild nicht verdunkeln, das Möller zu unserer Freude geschaffen hat. Es ist, mit anderen Worten gesagt, der Traum des Dichters um die Wirklichkeit der Geschichte, der Roman trägt das untrügliche Kennzeichen der rechten historischen Dichtung: Hinter den Zeilen aufleuchtend, das Memento einer endlosen Wiederkehr der großen Probleme unserer Welt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung