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Des Teufels Detektiv

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Überall auf der Welf stecken sie in Koffern und Taschen, liegen auf den Nachtfischen und stehen in den Regalen: role, gelbe, schwarze oder knallbunle Bücher, vollgeschrieben mit Mordgeschichten. Blutrünstige Schmöker alsol Nur oberflächlich gesehen. Diese Geschichten zählen zu den moralischsten der Welt und sind längst gesellschaftsfähig geworden. Sie bringen die uralte Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse auf den Nenner „Detektiv gegen Verbrecher". Sie lassen zumeist am Ende das Gute siegen. Moderne Märchen, seit Märchen nicht mehr erzählt werden, weil man sie nicht recht glaubt. In ihren besten Beispielen hochinfelligenfe Rätselspiele, die in der Spannung Entspannung und eine Menge Spalj vermitteln. Die Bibel ist das am weitesten verbreitete Buch der Welt, dann folgen die Werke Lenins. An dritter Stelle kommen die Kriminalromane der freundlichen, unlängst geadelten Dame Agatha Christie: ihre Werke sind in 109 Sprachen übersetzt Sherlock Holmes, der Gentleman- Detektiv mit Shagpieife, fing die Verbrecher, denen er auf der Spur war, ohne sich die Handschuhe auszuziehen. Er residierte hoch über den Abgründen des Lebens im Reiche das Intellekts, ein Analytiker menschlicher Gefühle, deren Berechnung ihm unliebsame Zusammenstöße mit der Wirklichkeit ersparte. Er, der im Laufe seiner Detektivtätigkeit kein einziges Mal verprügelt und nur einmal zu Boden geschlagen wurde, verkörperte das Idol der bürgerlichen Gesellschaft, deren Gesetz und Ordnung er verteidigte. Politiker, Börsenmakler, Professoren, Geistliche brachten Sherlock Holmes, dem mathematischen Wunderhirn, dem utopischen Romanhelden, ihre Sympathien dar. Und Conan Doyle, der Autor, erreichte mit seinen Detektivgeschichten eine Millionenauflage.

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Überall auf der Welf stecken sie in Koffern und Taschen, liegen auf den Nachtfischen und stehen in den Regalen: role, gelbe, schwarze oder knallbunle Bücher, vollgeschrieben mit Mordgeschichten. Blutrünstige Schmöker alsol Nur oberflächlich gesehen. Diese Geschichten zählen zu den moralischsten der Welt und sind längst gesellschaftsfähig geworden. Sie bringen die uralte Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse auf den Nenner „Detektiv gegen Verbrecher". Sie lassen zumeist am Ende das Gute siegen. Moderne Märchen, seit Märchen nicht mehr erzählt werden, weil man sie nicht recht glaubt. In ihren besten Beispielen hochinfelligenfe Rätselspiele, die in der Spannung Entspannung und eine Menge Spalj vermitteln. Die Bibel ist das am weitesten verbreitete Buch der Welt, dann folgen die Werke Lenins. An dritter Stelle kommen die Kriminalromane der freundlichen, unlängst geadelten Dame Agatha Christie: ihre Werke sind in 109 Sprachen übersetzt Sherlock Holmes, der Gentleman- Detektiv mit Shagpieife, fing die Verbrecher, denen er auf der Spur war, ohne sich die Handschuhe auszuziehen. Er residierte hoch über den Abgründen des Lebens im Reiche das Intellekts, ein Analytiker menschlicher Gefühle, deren Berechnung ihm unliebsame Zusammenstöße mit der Wirklichkeit ersparte. Er, der im Laufe seiner Detektivtätigkeit kein einziges Mal verprügelt und nur einmal zu Boden geschlagen wurde, verkörperte das Idol der bürgerlichen Gesellschaft, deren Gesetz und Ordnung er verteidigte. Politiker, Börsenmakler, Professoren, Geistliche brachten Sherlock Holmes, dem mathematischen Wunderhirn, dem utopischen Romanhelden, ihre Sympathien dar. Und Conan Doyle, der Autor, erreichte mit seinen Detektivgeschichten eine Millionenauflage.

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Bis in die Mitte unseres Jahrhunderts hinein entwickelte sich in bunten Variationen diese Art von Detektivliteratur für die Leser der höheren, der wohlhabenden Gesellschaftsschicht, während die sogenannte Kleinbürger- und Arbeiterklasse mehr für Romangestalten ä la Robin Hood schwärmte, für Wildwestgangster und tollkühne Nachfahren des Raubrittertums, die sich um die Obrigkeit einen Pfifferling scherten. Diese Vorliebe war eine verständliche Reaktion: der Detektiv, der die starre Bürgerordnung schützte, konnte von denen, die. im Zeichen dieser Ordnung unterdrückt und ausgenutzt wurden, niemals als Held betrachtet werden. Im Gegenteil. Man hielt sich lieber an die romantischen Abenteurer, die von den Reichen nahmen und es den Armen gaben, Romangestalten, die in der Phantasie des Autors taten, was die wirkliche Welt zu tun versäumte.

Unterdessen ist Sherlock Holmes für die einen, Robin Hood für die anderen zum blaßen Abziehbildchen geworden. Die Wirklichkeit bedroht ah allen Ecken und Enden jene bürgerliche Scheinordnung, die der Held der Detektivromane aufrechtzuerhalten sucht, die Gesellschaftsschichten durchdringen sich allmählich, und der anarchistische Traum der Arbeiterklasse macht realen Forderungen Platz. Damit zerbrach selbst in der Phantasie die Romantik des Abenteuers.

Ein gewisser Zweig der Detektivliteratur, die amerikanische Schule der „hard-boiled“, der „Hartgesottenen“, begann schon Ende der zwanziger Jahre das Rezept der bisher nur in billigen Pulpmagazinen erschienenen Kriminalstories auf den Kriminalroman auszudehnen. Jetzt werden die Grausamkeiten des Lebens unerbittlich gespiegelt, die Ideale einer ins Wanken geratenen Welt zynisch durchlöchert und der Schauplatz des Geschehens aus dem bürgerlichen Milieu in die übervölkerten Großstadtviertel verlegt. Der Leser dieser „hard-boiled“-Literatur vermag nicht mehr im geistvollen Spiel mit dem Detektiv zu kombinieren, denn der Detektiv steckt selbst im Dunkel.

Die Ereignisse überwältigen Detektiv und Leser gleichermaßen. Während Sherlock Holmes mit eleganten Schritten von Kriminalfall zu Kriminalfall spazierte, holt sich der Detektiv der „Hartgesottenen“ blaue Augen, wird gefesselt, gedemütigt und in schlüpfrige Liebesabenteuer verstrickt, wenn er auch am Ende aller Detektivgeschichten siegt. Mit einem resignierten Achselzucken kämpft er für eine Ordnung, ohne sich mit dieser Ordnung identifizieren zu können, zieht in die Schlacht wie irgendein Soldat heute, der im Grunde nicht weiß, wofür er eigentlich kämpfen und sterben soll. Das macht die „hard-boiled“-Detektiv- literatur zu einem Massenkonsumartikel, denn schließlich erlebte jeder (ob Bürger oder Arbeiter) diese Wirklichkeit ohne Sinn, diese Abenteuerlust aus Verzweiflung, diesen Einsatz für eine Ordnung, an die man selber nicht mehr glaubt. Wir kennen „Des Teufels General“ — hier lernen wir „Des Teufels Detektiv“

kennen. Und alle paar Seiten greift der Detektiv nach der Schnapsflasche, um den Überdruß einer ganzen Epoche hinunterzuspülen.

Dieser Typ des Kriminalromans konnte in den Vereinigten Staaten alle Gesellschaftsschichten erobern. Dashiell Hammett, ein Klassiker der „hard-boiled“-Detektivliteratur (er arbeitete selbst jahrelang im Detektivbüro der berühmten Agentur Pinkertön), schuf mit seinem blonden Detektiv Spade eine Gestalt, die heute beinahe jedes amerikanische Kind kennt. Erle Stanley Gardner erreichte allein mit den Pocket- Books-Ausgaben seiner Kriminalromane eine Auflage von über zehn Millionen. Und von Mickey Spillanes Kriminalromanen wurden gar 23 Millionen Exemplare abgesetzt.

Freilich findet gerade der Erfolg der Spillane-Bücher, die überall In Drugstores mit Zahnpasta und Schnürsenkeln vom braven amerikanischen Bürger gekauft werden, eine tiefer liegende, bisher viel zuwenig beachtete Erklärung. Mickey Spillanes Held, der Detektiv Mike Hammer, liebt die brutale Methode, schlägt die Gesichter seiner Gegner zu Brei, freut sich in sadistischer Weise an den Qualen seiner Opfer, ehe er sie im Namen des Gesetzes ins Jenseits befördert, ja, er genießt die Umarmungen der schönen Mörderinnen, bevor er sie überführt und verhaftet. Eigentlich ist er nicht weniger Verbrecher als der Verbrecher, den er jagt, und nur per Zufall auf der richtigen Seite. „Im Krieg habe ich Blut gerochen“, sagt er einmal, „und kann seither das Töten nicht lassen “ Im übrigen verraten schon die Buchtitel alles:

„Das große Morden“, „Mein ist die Rache“ oder „Mein Revolver sitzt locker“. Und gerade die biederen Bürger, die in den Alltag gespannten kleinen Angestellten greifen nach Mickey Spillanes Büchern, um ihre uneingestandene Neigung zum Asozialen zu befriedigen, um sich mit Wollust jenen ins Unterbewußtsein verdrängten Instinkten hinzugeben.

Wenigstens in Gedanken. Dabei werden sie dank Mickey Spillanes Trick in keinerlei moralische Skrupel gestürzt, denn sie verlassen durchaus nicht das Ufer der offiziellen Gerechtigkeit. Ein Detektiv darf ja alles, weil er dieser Gerechtigkeit dient

Hier sinkt der Kriminalroman zur billigen Schundliteratur ab, besser gesagt, diese Art von Literatur hat mit ‘ dem eigentlichen Kriminalroman nur mehr die Form und technische Verknüpfung der Spannungselemente gemeinsam. Ben Ray Red- man schrieb in der „Saturday Review of Literature“ von den „Barbaren, die innerhalb der Umzäunung sind“, und meint mit „Umzäunung“ den ehrenwerten Bezirk der Detektivliteratur, in dem sich Autoren von Weltruf wie Charles Dickens, R. L. Stevenson, G. K. Chesterton, Theodore Dreiser oder Somerset Maugham erfolgreich versucht haben. Ob nun innerhalb oder außerhalb des ehrenwerten Bezirks — jedenfalls enthüllt gerade die Detektivldteratur, deren entscheidende Funktion es zu sein, scheint, menschliche Urgefühle und Instinkte zu sublimieren, die Tiefenschichten der Gesellschaft. Und erlaubt so gewisse Rückschlüsse auf diese Gesellschaft

Selbstverständlich haben diese pathologischen Entgleisungen der „Hartgesottenen“ nichts mit der ernsthaft realistischen Gestaltung zu tun, die Raymond Chandler oder

Dashiell Hammett oder Dorothy Sayers in ihrer weltbekannten Kriminalromanen erfüllt haben. Hier wird dank einer ethischen Grundhaltung die Abenteuer- und Sensationslust des Lesers nicht mißbraucht, sondern in lebensaktive Bahnen geleitet. Diesen Autoren ist nach der von Mickey Spillane und Konsorten betriebenen Ausbeutung der schlechten Instinkte die Ehrenrettung des zeitgenössischen Kriminalromans zu danken. Und Raymond Chandler, der in seinen berühmten Kriminalromanen „Der große Schlaf“, „Das hohe Fenster" oder „Einer weiß mehr“ den faulen Hollywoodzauber der amerikanischen Zivilisation parodiert, beschreibt ln einem Essay mit dem Titel „Mord ist keine Kunst“, wie der Detektiv unserer Zeit aussehen muß, der Detektiv als sinnvoller Held eines Kriminalromans:

„In allem, was gemeinhin als Kunst bezeichnet wird, ist als wesentlich ein Element der Erlösung enthalten. Es kann dabei tragisch sein, wenn es sich um eine große Tragödie handelt, und es kann in Mitleid und Ironie bestehen oder auch in dem rauhen Gelächter eines starken Mannes. Aber auf dieser erbärmlichen Straße muß ein Mann entlanggehen, der selber nicht erbärmlich ist, der weder eine schmutzige Weste hat noch Angst. Von solcher Art muß der Detektiv in diesen Geschichten sein. Er ist der Held, er ist alles. Er muß ein ganzer Mann sein und ein einfacher Mann und doch ein ungewöhnlicher Mann. Er muß, um einen recht abgegriffenen Ausdruck zu gebrauchen, ein Mann von Ehre sein, ein Mann mit Instinkt, ein Mann des Unvermeidlichen, ohne daran zu denken oder gar darüber zu reden. Er muß der beste Mann in dieser unserer Welt und ein guter Mann für jede andere Welt sein Er redet, wie man in unserer Zeit redet, das heißt mit einem rauhen Witz, mit einem lebhaften Sinn für alles Lächerliche, mit Abscheu vor der Heuchelei und mit Verachtung für alles Kleinliche. Die Geschichte ist die seines Abenteuers auf der Suche nach der verborgenen Wahrheit, und es wäre kein Abenteuer, wenn es nicht einem Manne zustieße, der für Abenteuer geschaffen ist. Er ist so hellwach, daß es fast erschrek- kend wirkt. Aber das gehört zu ihm, weil er zu der Welt gehört, in der er lebt. Wenn es seinesgleichen genügend gäbe, würde es, glaube ich, weniger gefährlich sein, in dieser Welt zu leben, und doch nicht so langweilig, daß es sich nicht darin zu leben lohnte.“

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