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Digital In Arbeit

Großmeisterin des Krimis

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Agatha Christie über sich selbst

Nie werde ich den unzähligen An- fragen nachgeben, in welchen ich gebeten werde, jemandes Manu- skript zu lesen. Zunächst natürlich darum, weil ich, finge ich einmal damit an, für nichts anderes mehr Zeit hätte. Vor allem aber glaube ich nicht, daß ein Autor das Recht hat, andere zu kritisieren. Eine solche Kritik würde zwangsläufig darauf hinauslaufen, daß ich per- sönlich es auf diese oder jene Weise geschrieben hätte, aber das heißt noch lange nicht, daß es die richtige Form für einen anderen Autor sein würde. Wir haben jeder unsere ei- gene Art, uns auszudrücken.

Dazu kommt die erschreckende Überlegung, daß ich möglicherwei- se einen Menschen entmutigen könnte, der nicht entmutigt wer- den sollte. Eine liebe Freundin von mir zeigte einmal eine meiner er- sten Geschichten einer bekannten Schriftstellerin. Sie bedauerte, ein ungünstiges Urteil abgeben zu müssen, und sagte, daß aus der Autorin niemals eine Schriftstelle- rin werden würde. In Wirklichkeit aber meinte sie (und wußte nicht, daß sie es meinte, weil sie selbst Schriftstellerin und keine Kritike- rin war), daß die Person, die die Geschichte geschrieben hatte, eine noch unreife und unzulängliche Autorin war, die noch nicht die Fertigkeit besaß, etwas zu produ- zieren, das sich zur Veröffentli- chung geeignet hätte. Ein Kritiker oder ein Verleger wäre vielleicht einfühlsamer gewesen, denn es gehört zu ihrem Metier, Ansätze einer zukünftigen Entwicklung zu erkennen. Darum kritisiere ich

nicht gern; ich bin der Ansicht, daß man damit leicht Schaden anrich- ten kann.

Das einzige, was ich als Kritik geltend machen würde, ist die Tat- sache, daß der Möchtegernschrift- steller sich oft nicht über den Markt informiert hat, auf dem er seine ' Ware anbieten will. Es ist nicht sinnvoll, einen Roman von vielen hundert Seiten zu schreiben - das ist ein Umfang, der sich zur Zeit nicht leicht verkaufen läßt. „Oho", protestiert der Autor, „mein Buch muß eben diesen Umfang haben." Schön und gut, wenn du ein Genie bist - aber aller Wahrscheinlich- keit nach bist du ein Handwerker. Du hast das Gefühl, daß du imstan- de bist, etwas Gutes herzustellen, es macht dir Freude, etwas Gutes herzustellen, und nun willst du es auch gut verkaufen. Wenn das so ist, mußt du deinem Projekt den Umfang und das Aussehen geben, das der Markt verlangt...

Wenn du ein Buch schreiben willst, informiere dich, welchen Umfang Bücher haben, und richte dich danach. Wenn du eine be- stimmte Kurzgeschichte für eine bestimmte Zeitschrift schreiben willst, muß sie die Länge haben und auch von der Art sein, wie diese Zeitschrift sie zu bringen pflegt. Wenn du nur für dich allein schrei- ben willst, ist das natürlich eine andere Sache. Du kannst schrei- ben, was dir Spaß macht, und die Länge selbst bestimmen, aber du

wirst dich aller Voraussicht nach mit dem Vergnügen, die Geschichte geschrieben zu haben, begnügen müssen.

Geburt eines Detektivs

Nun überließ ich die Familie sich selbst und wandte meine Aufmerk- samkeit dem Detektiv zu. Wen soll- te ich mir als Detektiv zulegen? Ich ließ alle Detektive Revue passieren, die ich in Büchern kennengelernt und bewundert hatte. Ich dachte an Sherlock Holmes, den Unerreich- ten - es ihm gleichzutun würde ich niemals imstande sein; ich dachte an Arsene Lupin - war er Detektiv oder Verbrecher? Wie auch immer: nicht mein Fall.

Warum keinen Belgier aus mei- nem Detektiv machen? Es gab alle Arten von Flüchtlingen. Wie wäre es, dachte ich, mit einem geflohe- nen Kriminalbeamten? Einem pen- sionierten Kriminalbeamten? Nur nicht zu jung! Welch großen Fehler habe ich damals begangen! Die Folge ist, daß mein erfundener Detektiv heute schon weit über hundert Jahre alt sein muß.

Ich entschloß mich endgültig für einen belgischen Detektiv. Ich ließ ihn langsam in seine Rolle hinein- wachsen. Er sollte Inspektor sein, um schon über eine gewisse Erfah- rung in der Verbrechensbekämp- fung zu verfügen. Er würde sehr

ordentlich, sehr exakt sein. Ein Mann, der Dinge zurechtrückte, sie paarweise anordnete, der eckige Formen lieber hatte als runde. Er sollte sehr intelligent sein - sollte eine Menge kleiner grauer Zellen im Kopf haben - eine Menge kleiner grauer Zellen, das war gut, das mußte ich mir merken. Er würde einen eher großartigen Namen tra- gen - einen von diesen Namen, wie Sherlock Holmes und seine Familie sie hatten. Wie hatte sein Bruder geheißen? Nycroft Holmes.

Wie wäre es, wenn ich meinen kleinen Mann Hercules nennen würde? Denn er würde ein kleiner Mann sein. Hercules: das wäre ein guter Name. Sein Zuname war schon schwieriger. Ich weiß nicht mehr, wie ich auf Poirot kam - viel- leicht fiel es mir nur so ein, viel- leicht las ich es in einer Zeitung oder sonstwo. Der Name paßte nicht zu Hercules, aber zu Hercule - Hercule Poirot. Das tönte gut - ich war sehr zufrieden mit meiner Idee!

„Oma" Miss Jane Marple

Mord im Pfarrhaus erschien 1930, aber ich weiß nicht mehr, wo, wann und wie ich das Buch schrieb, war- um ich es schrieb und was mir den Anstoß dazu gab, eine neue Figur als Detektiv zu präsentieren - Miss Marple. Ganz gewiß hatte ich damals nicht die Absicht, mich für

den Rest meines Lebens mit ihr zu belasten. Ich ahnte nicht, daß sie eine Konkurrenz für Hercule Poi- rot werden würde...

Miss Marple drang ganz unbe- merkt in mein Leben ein, ich nahm ihre Ankunft kaum zur Kenntnis. Ich schrieb eine Serie von sechs Kurzgeschichten für eine Zeit- schrift und machte sechs Personen, die einmal in der Woche in einem kleinen Dorf zusammenkamen und sich über ein ungelöstes Verbre- chen unterhielten, zu den Hauptge- stalten. Ich begann mit Miss Jane Marple, einer alten Dame von der Art, wie meine Großmutter in Ea- ling sie zu Busenfreundinnen ge- habt hatte und wie ich sie als klei- nes Mädchen an vielen Orten ken- nengelernt habe. Nicht daß Miss Marple ein Abbild meiner Groß- mutter gewesen wäre - sie war viel umständlicher und altjüngferlicher als meine Großmutter. Nur eines hatte sie mit ihr gemeinsam: so hei- ter und aufgeschlossen sie auch war, erwartete sie doch von ihren Mit- menschen immer nur das Schlech- teste - und behielt gewöhnlich mit ihren düsteren Voraussagen recht...

Ich stattete Miss Marple mit Omas prophetischen Gaben aus. Es fehlte ihr nicht an Güte, aber sie traute den Menschen nicht. Sie wurde im Alter von fünfundsechzig oder sieb- zig geboren, was sich, wie schon bei Poirot, sehr ungünstig auswirkte, weil ich ihre Dienste noch viele Jah- re in Anspruch nehmen mußte. Wäre ich imstande gewesen, die Zukunft zu deuten, ich würde mir einen frühreifen Schuljungen als Detek- tiv zugelegt haben; wir hätten dann gemeinsam altern können!

Alle Auszüge aus: MEINE GUTE ALTE ZEIT. Von Agatha Christie. Scherz Verlag, Bern/ München 1990.540 Seiten, öS 310,40.

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