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Dichteranekdoten

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Rudyard Kipling, der Verfasser der „Dschungelbücher“, mußte eines Morgens aus der Zeitung erfahren, daß er gestorben sei. Er schrieb dem Herausgeber: „Ihr sehr geschätztes Blatt zeigt meinen Tod an. Da Sie im allgemeinen gut'informiert sind, dürfte die Notiz wohl stimmen. Darum bitte ich Sie, mich auf der Liste Ihrer Abonnenten zu streichen."

Als Winston Churchill im ersten Weltkrieg von der Regierung seiner Aemter enthoben war, hielt1 ihn jedermann für „politisch erledigt". Zu dem Zeitpunkt bekam er von Shaw zwei Freikarten zur Premiere seines neuesten - Stückes zugeschickt: „Anbei überreiche ich Ihnen zwei Karten; eine für Sie selbst und die andere für einen Freund, falls Sie noch einen habe n.“ Churchill sandte die Karten zurück mit der Bemerkung: „Leider bin ich zur Premiere verhindert. Darf ich Sie bitten, mir zwei Karten für die zweite Vorstellung zu überlassen — falls eine solche stattfinden sollte."

Von einer amerikanischen Verehrerin erhielt Shaw eines Tages einen Brief mit den schmeichelnden Zeilen: „Sir, Sie sind der intelligenteste Mann der Welt, und ich bin die schönste Frau. Das Kind, das aus unserer Ehe geboren würde, müßte die Vollkommenheit selbst sein!“ GBS antwortete: „Vielen Dank für Ihren interessanten Vorschlag. Aber was würde geschehen, wenn unsere Kinder meine Schönheit und Ihren Verstand erbten?“

Gilbert Keith Chesterton war ein Riese mit frohem Kindergemüt, ein Koloß des Geistes und des Fleisches, ein Mann mit funkelndem Witz. Als er an einem schönen Morgen in der Fleet Street den hageren ausgemergelten Vegetarier Shaw traf, meinte er: „Wenn man Sie änschaut. könnte man glauben, in England herrsche eine Hungersnot!" Spöttisch erwiderte Shaw: „Ja, und wenn man Sie ansieht, glaubt man, Sie seien die Ursache davon!“

Ein andermal berichtete Chesterton seinen Freunden: „Denkt euch nur, wie höflich ich sein kann. Kürzlich stand ich im Bus auf und bot drei Damen meinen Platz an!“

Nach einer Premiere des „Soulier de satin"traf Paul Claudel in einer Gesellschaft Freunde und Kollegen, darunter auch Gabriel Marcel. Dieser sagte mit Bescheidenheit: „Es gibt doch nur drei große Dichter auf dieser Welt: Andre Gide, Claudel und mich.“ Und fügte hinzu: „Gide habe ich genannt, weil er tot ist, und Claudel, weil er an unserem Tische sitzt.“

In Salzbrunn, dem Geburtsort Gerhart Hauptmanns, lebte ein steinalter Mann, der mit des Dichters Eltern eng befreundet war. Als einmal das Gespräch auf Gerhart Hauptmann kam, sagte der Alte, der die „Dorothea Angermann“ sicherlich nicht gelesen hatte: „Ju, ju, die Hauptmannschen! Wenn der Alte besser gewirtschaftet und seinen Gasthof nicht hätte aufgeben müssen, dann brauchte der Gerhart nicht zeitlebens Stücke zu schreiben.“

Hermann Bahr wurde oft wegen seines patriarchalischen Bartes angestaunt. Einst pirschte sich in einer Berliner Buchhandlung eine „schöngeistige“ Dame an den Dichter heran, um an ihn die vertrauensvolle Frage zu richten: „Nicht wahr, Sie sind doch der Dichter Theodor Däubler?“ Aergerlich, und doch über die Verwechslung belustigt antwortete Bahr: „Ich habe zwar einen großen Bart wie Theodor Däubler, aber ich bin Johannes Brahms.“

„Ach, ja richtig", stimmte die Dame begeistert zu, „Sie haben das berühmte Buch geschrieben … das vielgelesene und interessante Werk … wie heißt es doch?“

„Sie meinen sicherlich ,Brahms Tierleben' “, kam ihr Hermann Bahr zur Hilfe, nickte ihr freundlich zu, und verließ mit wallendem Bart den Laden.

Kurz bevor Stefan Zweig, der sich einen Psychologen aus Leidenschaft nannte, Wien verließ, wurde er von Freunden aufgefordert, einen öffentlichen Vortrag zu halten oder ein Stück aus seinem neuen Werk zu lesen. Er lehnte es jedoch ab und sagte: „Seit der zweiten Warnung, die ich erhalten habe, veranstalte ich keine Vorträge mehr. Bei meiner endgültig letzten Vorlesung mußte ich bemerken, wie ein Zuhörer heimlich seine Uhr aus der Tasche zog, um nach der Zeit zu sehen. Dies war die erste Warnung. Wenige Augenblicke später aber sah ich, daß ein anderer Zuhörer nicht nur seine Uhr betrachtete, sondern sie sogar ans Ohr führte, um festzustellen, ob sie vielleicht stehengeblieben sei. Das hat mir ein für allemal genügt. Ich halte grundsätzlich keine Vorträge mehr!“

Aus „Der Autorenabend", Diogenes Verlag, Zürich

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