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Die Aufgabe des Dichters

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Es scheint mir für den Dichter die Stunde gekommen zu sein, wo er, wenn er dem Ewigen seiner Aufgabe treu bleiben will, der Zeit gegenüber sich zu einer anderen Haltung gewöhnen muß als in den letzten vierhundert Jahren.

Seit dem Beginn nämlich der Epoche, die wir die „Neuzeit” nennen, hat die Dichter, die Starken unter ihnen, fast alle das Geräusch des Vorwurfs begleitet, daß sie Neuerer wären und Umstürzler alter Ordnung. Es sei nur kurz daran erinnert: Shakespeare war den Franzosen ein „Barbar”, der junge Goethe war es dem herrschenden Geschmack seiner Zeit, Kleist war es den Weimarern, als er mit seiner „Penthesilea” gegen die Normen des klassischen Dramas auftrat. Und doch war, was sie alle taten, jedesmal ein nötiges Tun … damit die Glas- sdirähke aufgebrochen und die Dichtung wieder, gleich einer Fahne, mitten auf den Feldern des Lebens erhoben würde. Vielleicht ist -das überhaupt das Charakteristikum der Neuzeit gewesen (wir können sie jetzt überschauen, da wir ja, wie es scheint, an ihrem Ende angekommen sind) — ein Charakteristikum, das sich auf allen Gebieten zeigen mußte und das man wohl als „Welterobe- rung” bezeichnen darf. Immer wieder aus allen Schranken heraus ins Weite! Immer wieder die Weltdinge unmittelbar erkennen und fassen! Immer wieder nicht hinnehmen, daß ein Gesetz der Erfahrung vorgreife! Indem die führenden Geister dieser Notwendigkeit ihres Herzens gehorchten, die als ein vielleicht unbewußter Auftrag in sie gelegt war, mußten sie und durften sie es ertragen, daß man ihren Willen als einen zerstörenden verkannte. Denn tatsächlich war ja ein Frommsein vor der Schöpfung in ihrem Tun. Sie suchten die Schöpfung ehrfürchtig in ihrer Ganzheit, von dieser wollten sie sich nicht abzäunen lassen, darum zerbrachen sie, was einschränkte und trennte.

Seit aber das Neuern und Umstürzen schön fast allgemein als ein Ruhm gilt, sogar als Forderung an den Dichter gerichtet wird, sollte er, dünkt mich, den Geschmack daran verloren haben; es sollte ihm ein Kennzeichen sein, daß da etwas zu Ende getan ist und vielleicht, daß schon etwas begonnen hat, dem er in einer neuen Weise dienen wird. Über unsre Trümmerfelder hinschauend, wird der Dichter sich sagen, daß es nicht mehr viel umzustürzen gibt. Nichts trennt uns mehr von dem offenen, rauhen Atem des Lebens, keine falschen Sicherheiten schützen uns mehr, wir sind bis aufs Letzte in Frage gestellt. Wenn das Stürmen und Drängen einmal ein notwendiges Tun war — für unsern Tag wird ein anderes Leitwort gelten; es steht in einem Gedicht aus dem Nachlaß meines Vaters, Henry von Heiseier: Lieben, Schützen und Bauen — Mögen auch wir das tun.

Eine veränderte Haltung also gegenüber der Zeit. Diese Umkehr hat Hofmannsthal gemeint, als er, vor jetzt schon mehr als zwanzig Jahren, seine Münchner Rede über das. „Schrifttum als den geistigen Raum der Nation” hielt. Er sah eine Gegenbewegung gegen die großen auflösenden Freiheitsbestrebungen der Neuzeit, er sah, daß unser suchender Geist beschenkt wurde mit der Erleuchtung, „daß ohne geglaubte Ganzheit zu leben, unmöglich ist — daß im halben Glauben kein Leben ist, daß dem Leben entfliehen, wie die Romantik wähnte, unmöglich ist, daß das Leben lebbar nur wird durch gültige Bindungen”.

Ergänzen muß man wohl dieses Wort, nach allem was uns die Zwischenzeit an bitterer Erfahrung eingetragen hat, durch die folgende ; Feststellung: eben weil das Leben „lebbar nur wird durch gültige Bindungen”, dürfen wir uns nicht ermächtigt dünken, solche Bindungen selbst zu setzen; wir müssen zu jenen Bindungen zurück, die von Anfang der Welt her verbürgt sind.

Dies aber ist die sachliche Tatsache der Gottgeschaffenheit der Welt. Und für den Dichter die Aufgabe, den Menschen und die Welt als Schöpfung aus Gottes Hand zu rühmen. Wahrlich, etwas Unendliches ist uns da zugetraut. Denn es verbirgt sich ja wirklich, wie Eichen dorff wußte,’ „ein Lied in allen Dingen”. Ein ganz versunkenes Lied, aber es ist doch da. In diesen Ruinen der Städte. In diesen Ruinen der Völker. In diesem Alltag, der so mühsam und sinnlos geworden ist. In den Ehen, die keine Ehen mehr sind. In den Kindern, die ohne das selige Vertrauen der Kindheit aufwachsen. In den vielen Menschen, die auf jeden andern Klang zu horchen verlernt haben, als auf den blechernen der Propaganda, des Hasses, des Krieges. Diese ganze verarmte, getrübte, sich selbst so entfremdete Welt wartet mit unbewußter Sehnsucht darauf, sich erinnern zu lassen an die Gnadenfülle, aus der sie stammt. Freilich, ein Vergessen liegt über ihr, lastender als ein Schlaf. Ein lautes, grelles, ungutes Vergessen. Aber wenn die Aufgabe schwer ist, sollten wir darum nicht nur freudiger zu ihr entschlossen sein?

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