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Dostojewski im Roman

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Es mag mehr als Zufall sein, daß nach dem Kriege zwei Romane erschienen sind, die beide das Leben Dostojewskis erzählen: Alja Rachmanowa, „Das Leben eines großen Sünders", Benziger, Einsiedeln, und Erich Fabian, „Der Doppelgänger“, Ein Dostojewski-Roman, P.-Neff-Verlag, Wien. Der Gestalt Dostojewskis und der von ihr repräsentierten Idee kommt in der Tat hohe Aktualität zu, die, mit kurzer Formel, im existentiellen Christentum des Dichters als letzte Haltung in der europäischen Apokalypse liegt. Denn, von den Werken seiner meisten Zeitgenossen verschieden und darin nur Kierkegaard und Nietzsche vergleichbar, sah Dostojewski mit eindringlicher Klarheit die heraufdämmernde Katastrophe Europas und mußte zum Rufer eines Metanoiete werden, das erst unsere Zeit voll verstehen kann. Ein kurzer Überblick über die Stellung Dostojewskis in seiner Zeit, wie ihn die beiden Romane übereinstimmend mit biographischer Genauigkeit berichten, soll das Werden des Dichters erklären. Dostojewskis politisches Konzept, wie es im Programm seiner Zeitschrift „Die Zeit“ 1861 enthalten ist, war eine Zusammenfassung westlicher Zivilisation mit der Seele Rußlands, eine „Versöhnung der Reformen Peters des Großen mit dem volksmäßigen Elemente“. Die durch die Reformen Peters des Großen bedingte Spaltung des russischen Volkes in westlich orientierte Gebildete und in die jene Reformen ablehnenden Volksmassen müsse, so meint jenes Programm, einer Synthese, einer Entwicklung der im russischen „Universalmenschen“ potentiell angelegten Möglichkeiten sämtlicher europäischer Volkscharaktere weichen. Mit solchem kulturpolitischen Konzept unterscheidet sich Dostojewski grundsätzlich von der Gruppe der Westler, geführt von Turgenjew, die Europas Zivilisation nach Rußland verpflanzen wollten, wie auch besonders von derem linken Flügel, den Nihilisten, geführt von Tschernyschewski und Nekrassow, die die restlose Vernichtung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung in Rußland predigten. Auch der Gruppe der Slawo- philen Aksakow und andere steht Dostojewski ferne, da er in ihnen nur rückwärtsgewandte Prophetie sieht. Mitten in diesen Fehden stehend, wird es Dostojewski immer mehr bewußt, daß der eigentliche Feind aller Kultur, ja des gesamten Abendlandes, der atheistische Nihilismus ist. Mit Recht betont besondens die die innere Entwicklung des Dichters ausführlich darstellende Rachmanowa, daß Dostojewski im äußersten Elend seines sibirischen Zuchthausaufenthalts erkennt, daß der Mensch ohne Gott nicht leben könne. Hier lernt er aber auch verstehen, wie weit die Spannung zwischen Volk und Herren schon gediehen ist. Die Selbstvernichtung der abendländischen und der russischen Kultur wird ihm zur Gewißheit. Und von diesem alles gefährdenden Wege die zivilisierte Menschheit im letzten Augenblick zurückzureißen, die Freiheit zum Nichts durch die Freiheit zu Gott zu ersetzen, ist der Sinn der reifen Werke des Dichters, wie des Raskolnikoff, des Spielers, des Idioten, der Dämonen, der Brüder Karamasow. Der nihilistische Student Raskolnikoff wird, vorgestoßen bis an die letzte Grenze seiner Existenz, ein Gläubiger eben dadurch, daß er durch seine blutige Tat bis zum Nihil gelangt. Denn eben dies ist das Moderne an Dostojewski, daß er sein „Hosianna“ erst durch das „Fegefeuer des Zweifels" erringt. So sind denn seine leidenden Helden tief Gläubige oder fanatisch Ungläubige und dies beides aus Not, Verzweiflung und Elend. Zwielicht ist um sie wie um seinen Spieler, der als typischer Auslandsrusse seiner Zeit nach des Dichters Worten jeden Glauben verloren hat, es aber doch nicht wagt, nicht zu glauben; der sich gegen die Autoritäten auflehnt, sie aber doch fürchtet. Die Gestalten des Friedfertigen und des Raubtierhaften im „Dorf Ste- r pantschikowo“, der „Doppelgänger", Mysch- i kin, der „Idiot“ und sein Widerspiel, der dämonische Rogoschin wie vollends die Aufspaltung der inneren Charaktere des Dichters in die Mitglieder der Familie Karamasow und die durch die nihilistische Netschajew-Bewegung inspirierten „Dämonen" mit ihren alle Abgründe des Nichts enthüllenden Bankerotteuren des Lebens zeigen sehr deutlich, wie der Glaube Dostojewskis aus Chaos und Unternatur erwächst.

Dieser sich dem Dämonischen entwindende Glaube des Dichters, mag die Ursache gewesen sein, die beide Romanautoren veranlaßt hat, schon im Titel ihrer Romanbiographien auf jene Doppelzügigkeit im Dichter selbst hinzuweisen Fabian spricht vom „Doppelgänger" und Rachmanowas „Leben eines Sünders“ bezieht sich auf den gleichnamigen Romanplan des Dichters, in dem Dostojewski eine große Beichte seines Bewußtseins, ein großer Sünder zu sein, ablegen wollte. Tatsächlich verfolgte den Dichter seit den Tagen der Jugend die Gedankensünde, seinen Vater töten zu wollen. Nach Fabian sei ein Unterstrom von Zügellosigkeit erst im Alter vom Dichter gewichen. So wollte denn Dostojewski in der Figur des Mitja in den „Karamasow“, der freiwillig für grundlosen Vatermordverdacht büßt, seine eigene Seele befreien.

Das Buch Rachmanowas hat den Vorzug, noch eine zweite J-ebensproblematik Dostojewskis zu enthüllen. Es fällt bei erster Lektüre auf, daß die Beziehungen des Dichters zu Frauen einen breiten Raum einnehmen. Meist sind dies quälende und peinigende Kapitel, wie ja diese Biographie ein grausames und hartes Leben malt. Wenn ich die Dichterin recht verstanden habe, kam es ihr aber darauf an, zu zeigen, warum der große Psychologe Dostojewski, abgesehen von seiner letzten Ehe, von Frauen zumeist nur Unglück empfing. Seine Fähigkeit, im Traume zu leben, machte ihn einsam, so sehr, daß er es versäumte, die Tyrannis der Liebe zu üben. Von besonderem Gewicht sind all die Seiten, die vom Roman „Die Dämonen“ sprechen. Die Verfasserin rückt dieses Werk und die „Legende vom Großinquisitor" in den grellen Scheinwerfer tagesnähester Bezüge und zitiert des Dichters Worte von den Folgen der umstürzlerischen Doktrinen seiner Zeit. Wir glauben, ohne der schönen Leistung Fabians Abbruch zu tun, daß das große zweibändige Werk Rachmanowas milieugetreuer und lebensechter ist als das Fabians. Ihr Werk gilt dem Leben des Dichters, diesem ungeheuer mühsamen und beladenen Leben, diesem Leiden am Leben, das dennoch lebensgläubig war, ohne je das Leben selbst in Frage zu stellen. Das erhellt besonders aus der leidenschaftlichen Liebe Dostojewskis zu seinen Kindern, zum Kinde als dem unbedingten Ja zum Leben. Man mag es bedauern, daß nur ein verhältnismäßig geringer Raum von Rachmanowas Biographie den Werken Dostojewskis eingeräumt erscheint, muß es aber begrüßen, daß dem, der mit den Werken des Dichters vertraut ist, hier ein leicht lesbarer biographischer Schlüssel an die Hand gegeben wird. Unnötig zu sagen, daß das Buch überreich an künstlerischen Schönheiten sowie aus hohem Können heraus gestaltet ist. Man täte dem Werk Fabians Unrecht, wollte man es in den Schatten von Rachmanowas Leistung stellen. Es hat ihr den Vorzug größerer Gedrungenheit voraus und bietet dem, der in leichter belletristischer Form Belehrung über das Leben des großen russischen Dichters sucht, diese in reicher Fülle.

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