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Ein „italienischer Bernanos“?

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Das ist die Geschichte eines Mannes, der überall versagte. Von einem italienischen Priester wird erzählt, dessen Wirken stets zum Scheitern verurteilt war, Anscheinend. Don Ardito Piccardi ist auch nicht einer von den Schmiegsamen, den Anpassungsfähigen, einer von den Erfolgsmenschen, die die Welt anerkennt. Er macht es niemanden leicht. Sich seihst am allerwenigsten. Dem Bösen in seinen vielen Gestalten will er entgegentreten — in der Welt, in der Kirche, in der eigenen Brust. Jeder, auch der kleinste Kompromiß dünkt ihm Verrat am Evangelium. Da spricht ein alter und weiser Priester zu ihm das Wort: ....wir haben auf dieser Erde mehr katholisch zu sein als christlich.“ Es wird nicht verstanden, es erregt Widerspruch. Einsam geht Don Ardito als Pfarrer in ein kleines Bergdorf, hoch oben am Apennin. Sein Kommen wirkt wie Scheidewasser auf Gut und Böse. Offen tritt beides zutage. Ohne es zu wollen, kommt der junge Priester in den Ruf der Heiligkeit. Und wirklich: sonderbare Dinge ereignen sich. Ein Mädchen hat Visionen, das Landvolk aber, aus seiner Dumpfheit erwacht, fordert, mehr im Aberglauben als im Glauben, ein Wunder. Miraculo — ein lahmer Knabe wird über Nacht gesundl In der Pfarre Don Arditos, des von solchen Gnaden Ausgezeichneten, des .heiligen“ Priesters. Doch: am selben Tag greift ein junger Aristokrat, dem der Priester die Unwürdigkeit seines von widernatürlichen Trieben bestimmten Lebens vor Augen gehalten, verzweifelt zum Revolver. Don Ardito, der den Himmel im Sturm nehmen wollte, hat versagt...

So bleibt auch für ihn nur der mühselige Marsch über die Straßen der Erde. Der Staub, der Hunger und der Durst! Jahre ruhiger Arbeit — Kleinarbeit — in einer Stadt folgen. Don Ardito hat etwas gelernt. Er erkennt jetzt, .daß man menschliche Leidenschaften nicht auszurotten suchen soll, um Gott treu zu sein. Wohl soll man versuchen, diese Leidenschaften zu wandeln und zu überwinden in unablässiger Mühe. Zerstören wollen, was in einem Menschen ist, heißt aber, selbst wenn seine Anlage sündhaft scheint, den Menschen selber zerstören wollen“. Um Don Ardito sammelt sich die akademische Jugend, Freunde stellen sich ein, seine Bücher diskutiert das ganze Land. Aber kein Friede zieht in seine Brust. Alles war nur ein langer Waffenstillstand. Unter der Asche glüht das alte Feuer. Die Stimmen des Vorwurfs werden zunächst immer wieder niedergekämpft. Da zerstört ein Ereignis sein mühsam erkämpftes Gleichgewicht vollends: ein junges Mädchen stürzt sich in Abenteuer, Don Ardito fühlt sich schuldig. Diesmal war es nicht seine Härte, sondern seine Schwäche. Don Ardito hat wieder versagt. Auch in den Scharmützeln der Erde ist er unterlegen...

Zurück nach Ciaratorre, wieder hinauf in das kleine Nest am Apennin. Doch inzwischen ist Krieg, Krieg auf Italiens Erde. Im Dorf sitzen deutsche Soldaten, auf den Bergen die Partisanen. Don Ardito stellt sich zwischen beide. Er will Blutvergießen verhindern. Doch eine Mine explodiert. Als Geiseln erschossen werden sollen — Menschen, deren Leben mit dem Don Arditos eigentümlich verflochten ist —, tritt er an ihre Stelle vor die Gewehre. Verkannt und von seinen Landsleuten des Verrates verdächtig, fällt er.

In der Nacht vor seinem Tode, wo der Kampf zwischen Himmel und Erde, der Don Arditos Leben bestimmte, ausgekämpft ist, nimmt er selbst das Thema auf, von dem vor langen Jahren der alte Lehrer gesprochen:

.Was verstehen Sie unter katholisch?'

Er zögerte eine Weile.

.Ich verstehe darunter .einsehen'. Nicht all das verwerfen, was in uns ist, was durch Begriffe wie Verstand and Seele nicht erschöpft wird. Wie soll man das ausdrücken? Das Anheimstellen — etwas, was mit dem Sinne der Absolution verwandt ist. Vielleicht drücke ich mich nicht klar aus.“

.Also, bitte, erklären sie mir: katholisch sein.. .*

.Ja, der Christ liebt... Aber vielleicht liebt der katholische Christ noch stärker. Er liebt nicht nur das Gute, sondern auch das Böse. Ich kann das nicht beweisen, sehe es aber so. Der Katholik... fühlt als Mensch. Darin besteht die Weisheit des Katholizismus und seine Überlegenheit.“

.Einen italienischen Bernanos“ haben ausländische Kritiker den 30jährigen italienischen Schriftsteller Carlo C6coioli nach Veröffentlichung dieses Buches genannt Auch an Graham Greenes Werken wurde .Himmel und Erde“ gemessen. Vergleiche sind immer etwas grob und nehmen wenig Rücksicht auf das eigene Gesetz eines jeden Schriftstellers. Denn ein eigenständiges, ja eigenwilliges Werk ist das vorliegende Buch ohne Zweifel. In Form und Inhalt. Mag Don Ardito manchmal Züge vom Bild des .Landpfarrers“ tragen und auch die Dramatik des bekannten katholischen englischen Romanciers dem Autor nicht unbekannt gewesen sein. Auf jeden Fall wird sein Name zu nennen sein, wenn von dem katholischen Roman der Gegenwart die Rede ist. Ein Verdienst der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, aber ist es, daß sie Constantin Virgil Gheorghius „25 Uhr* schon in kurzer Zeit ein zweites Werk folgen ließ, das diesem an Wucht und Eindringlichkeit nicht nachsteht.

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