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Ein Zeitalter wird %u Grate getragen

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Die matterleuchtete Rathausuhr hing, einem seltsamen mehrgesichtigen Monde gleich, in der Finsternis dieser Nacht — Trauernacht, in so dichtes Schwarz gehüllt, daß Himmel und Welt ununter-scheidbar wurden, gleichmäßig von ihrem Mantel bedeckt. Nacht des ehrfürchtigen Schweigens auch, in dem man, trotzdem die Straßen voll Menschen waren, den hellen Klang, womit die Uhr jetzt elf Schläge schlug, bis hinüber auf den Heldenplatz hörte. Zu regnen hatte es aufgehört. Die Feuchtigkeit quälte nicht und es war nicht kalt.

Geduldig standen die Menschen in vierfachen Reihen, worin unter tief in die Stirnen gezogenen Hüten die Gesichter als fahle Flecken erschienen — ausdruckslos, gleichmäßig verschwimmend in dem grüngelben Geflacker der zu Fackeln gewandelten Gaslaternen. Durch viele Straßen standen sie so. Uber die Mariahilfer Straße hinauf, wo sie so oft am zeitigen Morgen, wenn sie zu ihrer Arbeit gingen, hüteschwingend und knicksend vor dem Kaiser haltgemacht hatten, der gleichfalls zu seiner Arbeit fuhr. Wo Anlagen sich an die Straßen schoben und weite Parks die Straßen verdrängen, standen sie, bis nach Schön-brunn hinaus.

Dort war die Wache zum letzten Mal für den alten Herrn ins Gewehr getreten, der das geliebte Schloß auf immer verließ. Und die dort standen, die sich ihm näher fühlten — als Nachbarn, als Bewohner vom gleichen Hieb sozusagen, hatten geschluchzt und waren noch unschlüssig stehengeblieben, als der große prunkvolle Trauerzug vorbei war und die Lichter im Schloß erloschen. Und hatten sich verlassen gefühlt und tiefer als die andern in der trauernden Stndt, dem trauernden Land empfunden: es war mehr geschehen, als nur ein Mensch gestorben.

Katzi, mit Vater und Schwester auf dem Ring vor dem Burgtor stehend, starrte auf die zwei Obeliske, die Wappen und Kreuze auf schwarzem Grunde trugen; starrte, an das Auf und Ab der Lichter und Schatten verloren, welche die goldenen Zierate bald aufglitzern machten, bald gleichsam verwischten und die ragend steilen Konturen der beiden Bauten hie und da mit dem sdiwarzverkleideten Tor verschmolzen, so daß Wappen und Kreuze und Blättergeranke geheimnisvoll im Dunkel zu schweben schienen. Verzaubert von diesem Spiel und bewußtlos gemacht, ließ die Wartende sich von etwas tragen, das gestaltlos wogte, wie Wasser, wenn man einen Schwimmgürtel trug; angenehm war es, und machte ein wenig schwindlig.

Jetzt aber rief etwas sie auf — nichts Hör- noch Sehbares, etwas, das man spürte. Es kam von der Mariahilfer Straße her. Mit Mühe riß sie den Blick von den Obelisken los und wandte den Kopf. Es war nichts zu sehen, über den dürren Zweigen der Ringstraßenbäume, dran das flackernde Licht sidi brach, daß sie als knitteriges graues Gewirr über den Köpfen der Wartenden starrten, stand der Himmel sehr schwarz, sehr hoch, durchbrochen von einzelnen Sternen.

Und doch war etwas! Von fern, nur vernehmlich durch die große Stille der Nacht, kam ein Geräusch, das nichts als Hufschlag sein konnte, obschon es ganz anders klang als der scharfe und feurige Laut, mit dem man trabende oder galoppierende Pferde zu hören gewohnt ist. Doch hielt diese Nacht — die schwarze, die Trauernacht — nicht lauter Ungewohntes bereit? Waren nicht die vertrauten Straßen entfremdet, die Menschen entrückt, sogar Vater und Schwester, deren nahe Wärme man spürte, irgendwie fern, losgelöst aus dem gewohnten Bezug?

Katzi erschrak. Ihr war, als habe sie etwas Fürchterliches entdeckt. Doch ihr blieb nicht Zeit, dabei zu verweilen, denn aus der Babenbergerstraße tauchten Laternen auf, von zwei berittenen Männern getragen. Schwankend näherten sich die Laternen, und ihnen voran drang, deutlich jetzt, das Geräusch — das Eisenaufstein, so vielfach und dicht ineinander-gewirkt, so ohne die winzigste Lücke von Stille, daß es ein Teppich gedämpfter Hufschläge ward, durch die Straßen gebreitet, welche der stumme Zug durchschritt. Das mahlende, regenähnliche, gleichsam behutsame Prasseln — behutsam, weil ja die Tiere gehalten gingen, von ihren Lenkern so streng versammelt, daß sie noch in der Bewegung zu stocken schienen — füllte die Ohren, während die Augen schauten und das vom Warten abgestumpfte Bewußtsein in dem Strom des Trauergepränges ertrank.

Berittene Wachleute und Kavallerie in Feldgrau: Pferde, Pferde, ein Nicken und Wiegen; zypressengrüne und graue Monturen — alltäglich, und doch so feierlich... Hofwagen dann, goldüberladen, einer davon vierspännig gezogen, alle geschlossen, höfische Trauer hinter Kristallscheiben im Dunkeln geborgen vor der zudringlichen Neugier des Volks. Dazwischen Hofreitknechte, die verschlossen Mienen mit Hochmut gepanzert, zugemacht wie Visiere. Und dann der hohe offene Trauerwagen, überragt von der Krone, von acht Rappen gezogen — schwarz; schwarz inmitten der Buntheit der Garden. Die Roßschweifhelme, die weißen Mäntel und Pantherfelle, der. Kutscher und Vorreiter spanische Trauertrachten und weiße Perücken — Ziel der Neugierde sonst, der Freude, des Stolzes — heute dienten sie nur: Folie für den einzig wichtigen Wagen mit dem schmalen Sarg, drin der Kaiser lag.

Wo er vorbeifuhr, zuckte es durch die gaffenden Reihen, sprang da und dort verhaltenes Schluchzen auf, unterdrückte selbst der verbissene Mann der Opposition nicht ohne Verdruß einen Schauer.

Auf dem Heldenplatz, wo unter den hell erleuchteten Fenstern der Burg Würdenträger und Offiziere standen, traten — man hörte gedämpfte Kommandos — Burgtor- und Burghauptwache ins Gewehr.

Hier auf dem Ring bröckelte die schwarze Menschenwand auseinander. Der eine hatte sie zusammengehalten. Nun war er tot und es war vorbei, und nach allen Richtungen verliefen sie sich, jeder mit seinen eigenen Sorgen und Wünschen und Kümmernissen.

Aus einem kommenden Roman.

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