6697512-1963_13_10.jpg
Digital In Arbeit

Ein zorniger, nicht mehr junger Mann

Werbung
Werbung
Werbung

DIE JUNGEN HERREN DER ALTEN ERDE. Vom neuen Stil der Macht. Von William S. Schlamm. Seewald-Verlag, Stuttgart, J03 Seiten. Preis 17.80 DM.

William S. Schlamm ist zornig und böse. Er ist zornig und böse, weil sich überall auf der Welt dort rascher, hierzulande langsamer die Generation der Vierzigjährigen anschickt, die Verantwortung und Führung zu übernehmen. Vor dieser Generation aber möchte der 1904 geborene Wiener, amerikanischer Staatsbürgerschaft, warnen. Deshalb läutet er stürmisch die Alarmglocke.

Den „jungen Herren“ unterstellt Schlamm, sie dächten samt und sonders nur pragmatisch, Gesinnung sei ihnen ein Fremdwort, und ihre Aktionen richten sich nur auf den Effekt des Augenblicks. Deswegen werden sie — zumindest nach der Meinung des Autors — den Westen in den Abgrund führen. Schlamm ist ein scharfer Analytiker, ein angriffslustiger Polemiker und schreiben, ja, das kann er zweifelsohne auch. Deshalb scheinen bei einer flüchtigen Lektüre manche seiner Thesen blendend. Später merkt .man, daß sie irw Wendend • formuliert' ;sirid. Lind zwar in des Wortes doppelter Bedeutung. Bald entdeckt man auch die Kurzschlüsse in seineYn Denken. Der größte Kurzschluß, geeignet, das ganze Gedankengebäude Schlamms zu erschüttern, ist jener, der ihm die heute Fünfundzwanzig- bis Fünf-undvierzigjährigen als eine Generation ansprechen läßt, wo es sich doch deutlich um mindestens zwei Generationen handelt, die durch nichts Geringeres als durch die Flammenwand des zweiten Weltkrieges voneinander geschieden sind. Was hat jene Generation, die 1945 dezimiert und vielfach an Leib und Seele verwundet aus dem großen Krieg heimgekehrt ist und früh mit Verantwortung beladen wurde, mit den Wirtschaftswundersöhnen und -töchtern der Sechzigerjahre gemeinsam? Um sie beide auf einen Nenner zu bringen, braucht es schon einiger Gewalt und nicht ganz reiner Absichten.

Doch bald deckt Schlamm ungeniert alle Karten auf. Warum das Ganze? Es geht gegen Kennedy! Das vorliegende Buch ist also als ein politisches Pamphlet gegen den Präsidenten der Vereinigten “Staaten konzipiert und deshalb muß auch dessen Generation mit in den Eimer. Aber nicht nur das. Wenn Schlamm sich mokiert, daß der bei seinem Amtsantritt 44jährige Präsident der Vereinigten Staaten als „beispiellos jung“ gepriesen wurde, während doch — jetzt folgt eine ganze Litanei von Lenin bis Herzl — andere schon viel früher in die Weltgeschichte eingegriffen haben, so ist man geneigt zu fragen, warum Schlamm dann überhaupt zu schreiben begonnen hat. Ist also Kennedy jung oder erschien er nur, gemessen an Eisenhower, Adenauer 4uid de GauUe, der Weltöffentlichkeit als jOBg. Jugend Wl eine relative Sache (neben iftenauer geÄ stellt wirkt bestimmt William s. Schlamm auch heute noch höchst „jugendbewegt“). Doch Kennedy muß jung sein, denn — jetzt kommt der Untergriff — alle jungen Politiker waren unserer Epoche verhängnisvoll. Es folgt eine weitere Litanei. Wenn der Verfasser bei seinem eigentlichen Thema, der „Vernichtung“ Kennedys angelangt, die Voraussage wagt, Kuba werde der „Archetyp“ der Außenpolitik des Präsidenten sein, so wußte er freilich noch nicht, wie recht er behalten sollte. Freilich meinte er das unglückselige Unternehmen in der Schweinebucht, für das noch bekanntlich in der alten Administration die Weichen gestellt wurden. Er kannte noch nicht Kuba II. Und deshalb sind diese Kapitel heute Makulatur.

Noch ein letztes: der Vorwurf des Pragmatismus an die Adresse der nachrückenden Generation. Auch in diesem ist Schlamm konsequent, denn auch Eisenhower, nicht gerade ein Ausbund von Jugend, kommt nicht gut weg, und selbst Rooseveh, dem wir in Europa weltpolitische Fehlentscheidungen bisher aus einer gewissen rosaroten New-Deal-Gesinnung angekreidet haben, war für Schlamm nichts anderes als ein Pragmatist. In unserem eigenen Erlebnisbereich haben wir genügend Beispiele, daß der Pragmatismus in der Politik nicht von den heute Vierzigjährigen erfunden, sondern gerade von jener Generation tagtäglich vorexerziert wird, die jung war, als Schlamm noch nicht William hieß, sondern als „Willi mit der Bügelfalte“ in Wien revoluzzerte.

Die Seifenblase, so schillernd sie auch war, zerspringt. Was bleibt? Ein Herr an die Sechzig, zornig, bös und vielleicht auch ein wenig melancholisch im Angesicht einer nachrückenden Generation. Eine nicht ganz neue menschliche Tragik, aber kein Unglück für unsere alte, ewig junge Erde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung