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Eiszeit und Blüte des Films

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Das Eis ist gebrochen. Man schreibt nunmehr, da das Ausland längst mit größeren Darstellungen vorangegangen ist, nicht mehr G'schichten vom Film, man schreibt jetzt (auch deutsch) Filmgeschichte. Wir haben Knaur, Rieß und Fränkel, Lotte Eisner über den deutschen Expressionismus und Charles Ford über den religiösen Film, wir haben den seriösen, sachkundig verdeutschten und erweiterten Sadoui, und wir haben nun das gewaltige Kompendium Friedrich von Zglinickis: „Der Weg des Films. Die Geschichte der Kinematographie und ihrer Vorläufer.“ (Rembrandt-Verlag, Berlin. 992 Seiten mit 890 Abbildungen. Preis 269.30 S.) Daß sie fast alle, auch Zglinicki, noch im Stummfilm steckengeblieben sind, mag seine tiefere Ursache haben. Der Stummfilm ist heute schon überblickbar, er ist historisch; der Tonfilm ist gerade neuerdings durch die konsequenten technischen Fortführungen (Farbe, Breitwand, Krummwand, Raumton) richtiggehend aufgebrochen: alles fließt Joseph Gregors geflügeltes Wort aus seiner „Kunst des Films": „Der Film ist so alt wie die Menschheit", ist von Zglinicki verständnisvoll aufgenominen und geradezu monumental unterbaut worden. Von der Ausführlichkeit seiner Prähistorie des Filins spricht vielleicht am besten der Umstand, daß wir von Skladanowskis denkwürdiger Wintergartenaufführung in Berlin 1895, mit der die Geschichte des deutschen Kinos beginnt, erst nach 250 Seiten lesen Fast will es scheinen, daß dabei irgendwie „überexponiert" wurde und dem Film bei dem kolossalen Aufriß der geschichtlichen, technischen, seelenkundlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zuviel Ehre widerfährt, wodurch sich auch rein raumökonomisch eine gewisse Gleichgewichtsstörung zu späteren Epochen, besonders des ausländischen Films, ergibt. Immerhin finden wir, wie bei Lotte Eisner, die für Forschung und Wissenschaft so wertvollen ausführlichen Inhaltsangaben älterer, bedeutender Filme. Erstmalig auch ein eigenes, knappes, aber sachkundiges Kapitel über den österreichischen Film, seinen Reichtum und seine tragische, aus der Zerschlagung des großen Reiches her datierende „Aufgabe“: Exporteur unzähliger schöpferischer Potenzen für den Weltfilm zu sein Einmalig ist die Illustrationsabteilung des Buches, imposant der Literaturteil (777 Hinweise!), wertvoll das Personenregister; unverständlicherweise fehlt ein Sach- und Stichwortregister; zumindest hätte wie bei Sadoui eine Filmtitelliste aufgenommen werden müssen. Verlagstechnisch ist das Buch ein Abenteuer, dessen Mut wir bewundern: filmgeschichtlich, besonders was die „Prähistorie“ betrifft, ein Archivwerk, das auf Jahrzehnte hinaus gültig bleiben wird.

In die Aera aurea des deutschen Kulturfilms (1919—1926) führt uns sachlich und temperamentvoll zugleich ein zuständiger Cicerone, der einstige UFA-Mann Dr. Oskar Kalbus: „Pioniere des Kulturfilms“ (Neue Verlagsgesellschaft m. b. H„ Karlsruhe. 64 Seiten). Es war eine gute Zeit, als Deutschland die Vorherrschaft der Franzosen, im Abstand auch der Engländer, Skandinavier und Amerikaner auf diesem Gebiete brach und zur friedlichen Weltmacht Nr. 1 aufstieg. Die Trauer des

Verfassers um den schöpferischen Hochflug dieser Tage ist angesichts der heutigen Situation verständlich. Wir danken ihm aber außer der fesselnden Chronik vergangener Tage auch wertvolle Hinweise auf die mögliche Ueberwindung der Krise.

Lieber die Geburt des Tonfilms und das Schicksal der Triergon-Männer Vogt-Engl-Marsolle gibt es in deutschen filmgeschichtlichen Darstellungen neuerdings viel Zuverlässigeres als noch vor ein paar Jahren zu lesen. Diese genauere Kenntnis verdanken wir offensichtlich zum großen Teil der authentischen Schrift des Beteiligten: Hans Vogt „Die Erfindung des Tonfilms“ (Erlau, Niederbayern, Privatdruck des Verfassers, 1954 ff., 101 Seiten). Ein unbezahlbares, unersetzliches Dokument aller technischen und patentrechtlichen Fragen, die das Phänomen des Tonfilms seinerzeit in der davon völlig überraschten Industrie aufgeworfen hat. Ein Dokument aber auch zähesten, optimistischen Pionierfleißes und -Schicksales, die die Geschichte des Films so gut wie die Fittiche seiner Geier begleiten.

In der Sammlung „Belauschte Schöpfung im farbigen Bild", Herausgeber Armand A. Bigle, entstand nach „Die Wüste lebt“ und „Wunder der Prärie“ als 3. Band von Walt Disneys „Entdeckungsreisen im Reiche der Natur", unter der Leitung von Marc Barraud und der Mitarbeit von Louis Olivier für den literarischen Teil: „Geheimnisse der Steppe", geschrieben von Jean d'Esme, aus dem Französischen übersetzt von Josef Magnus Wehner (Alleinauslieferung der deutschen Originalausgabe für alle Länder der Welt durch Carl Gabler G. m. b. H., München, 76 Seiten, Preis 229.50 S). Diese Prachtausgaben, graphische Spitzenleistungen der Imprimerie Centrale, Lausanne, zählen seit Jahren zu den Prunkstücken jeder Filmbibliothek. Auch diesmal leuchten die Farbbilder aus dem Reiche des Löwen, Büffels und Elefanten, die Alfred und Elman Milotte von dreijähriger Streife durch das wild-schöne Kenya, die Savanne von Seringeti am Fuße des Kilimandscharo, heimgebracht haben, in aller glutvollen Schönheit. Das Dichterische des Textes hat J. M. Wehner in der rhythmisch wie bildlich schönen Uebersetzung durchaus bewahren können.

Filmspiegel V (Handbuch der Katholischen Filmkommusion für Oesterreich, ebenda Wien I, Stephansplatz 3, 1957, 124 Seiten) faßt die in der „Filmschau“ periodisch erscheinenden, unentbehrlich gewordenen Gutachten (Einstufungen) der Kommission für die Jahre 195 5 und 1956 zusammen und bereichert die Publikation durch grundsätzliche Darlegungen (Bischof DDr. Franz Läszlö: „Geleitwort", Ernst Nießner: „Der Film in der Seelsorge“, Rudolf Emele: „Zur praktischen Verwertung unserer Filmkritiken“), bedeutende kirchliche Enunziationen (A. dell'Acqua an die Filmstudientage Dublin 1955) und wertvolle Hinweise („Die katholischen Filmstellen in Oesterreich", „Empfehlenswerte Filmliteratur“, „Verleihfirmen" u. a.).

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