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Erste Filme des neuen Spiel Jahres

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Das abgelaufene Filmjahr, das eben mit dem die Kinder entzückenden „Kindertraum“ seinen Ausklang gefunden hat, ist uns manches schuldig geblieben. Die russischen Filme, die uns mit der sozialen Welt der Sowjets etwas vertrauter machten, sind zum größten Teil aus der Zeit vor dem Kriege entstanden und wirken damit veraltet. Dazu kommt die für unsere Ohren unglückliche deutsche Sprechfassung. England sandte uns einige Filme, auch solche der letzten Produktion. Ihre gesellschaftliche Problematik wirkte für uns trotzdem veraltet, wie die der amerikanischen Produktion konventionell war. Der auffallend starke Anteil des französischen Filmes, der fast ein Drittel der Wiener Erstaufführungen ausmachte, brachte ein weitgespanntes Programm, aber auch diese Filme interessierten weniger durch ihre Probleme, als vielmehr durch ihre schauspielerischen Effekte. Die Feststellung nach einem Jahr ist, daß die Welt in den Filmateliers in den letzten Jahren stehengeblieben ist. Kriegsfilme sind für uns nur schmerzliche Erinnerung an quälende Jahre vnd auch von diesen brachte keiner etwas, das wie ein gewandeltes Antlitz dieser Erde aussah.

Wie groß der Abstand zu dieser Welt vor dem Kriege geworden ist, konnte man in den kürzlichen Erstaufführungen deutscher Filme feststellen. „Die Nacht der Entscheidung“ ist eine buchstäblich lächerlich wirkende Angelegenheit' der Berliner oberen Zehntausend. Ebenso wirken die Familien- und Geschäftssorgen eines großen Hamburger Reeders — trotz ihrer sauberen filmischen Durchführung in „D i e Jahre vergehen“ — in keiner Weise zu Herzen gehend. Diese Welt des Wohllebens mit ihren Sorgen ist nicht länger mehr der Wunschtraum des Kinopublikums, das aus saturierter Bürgerlichkeit herausgerissen durch viele Jahre in persönlicher Unfreiheit allen Gefahren und Schrecken einer „großen“ Zeit ausgesetzt war.

Umso mehr muß es anerkannt werden, daß „Der weite Weg“ — als erster österreichischer Spielfilm — mutig in die Welt der heutigen Wirklichkeit leuchtet. Gewiß sind noch die erträglichen Konzessionen da, wie das Happy-End oder ein Kriegsgefangenenlager, das blendend eingerichtet und nicht improvisiert wirkt, wie es die Wirklichkeit hinter Stacheldraht uns gezeigt hat. Diese Gespräche hinter Stacheldraht aber wirken erlebt. Der Heimkehrer findet sich sofort wieder zurückversetzt in die Umgebung seiner 'etzten Leidensgefährten. Die Gespräche über Essen und Weiber haben sich so oft abgespielt und in allen Lagern waren die gleichen Sehnsüchte und Sorgen bis zu denselben Phrasen, wie sie dieser Film bringt. Das rührende Erlebnis hinter Stacheldraht war, daß selbst jene, die unbekümmert um ihre eigene Frau sich unter den Mädchen der' anderen Länder umgesehen hatten, nahezu alle nur mehr von der Sorge verzehrt wurden: Was macht jetzt meine Frau, wie geht es dem Kind? Man darf es diesem Film darum nicht mehr sonderlich verargen, daß er allmählich in der Behandlung des Eheproblems des Heimkehrers in ausgefahrene Geleise kommt. Das ist nicht so entscheidend, denn wenn auch das Leben der Kriegsgefangenen viele Leute nicht interessieren mag, so zeigt dieser Film doch, daß die Wahrhaftigkeit der Darstellung und die Probleme eines weitgespannten Kreises der Bevölkerung der richtige Weg für unsere neuerstandene. Filmproduktion ist. .

Die amerikanische „M anhattan-Ballade“ gehört in die Reihe der Filme, die viel kosten und auch mit einer gewissen Sorgfalt gemacht sind, aber was kann ein Frack, der durch mancherlei Hände wandelt, ehe er eine Vogelscheuche auf dem Feld bekleidet, .schon an allgemein interessierenden , Problemen bringen? Der französische Film „Die Fahrt ins Vergessen“ — der Heimkehrer, der jede Erinnerung an sein früheres Leben verloren hat und, in den Schoß der Familie zurückgekehrt, glücklich ist, dieser bürgerlichen Verdorbenheit entrinnen zu können, ist ja auch wohl ein einmaliges Ereignis in dem Sinne, daß es nicht aus dem Sorgenkreis vieler kommt. Zwei Filme, die alle Vorzüge ihrer Herkunft an sich tragen, aber nicht gioßcn Widerhall bei uns finden können.

Die deutsdie Filmproduktion hat nunmehr ihre nächsten Drehvorhaben angekündigt. Es wird wohl mehr als ein Jahr noch dauern — bis zum Filmneujahr 1947 — ehe sie zu uns kommen. Aber dann wird auch die andere ausländische Produktion sich mehr anstrengen müssen als zur Zeit, wo man begierig noch in jeden Film geht, ohm vorher den Grosdien zu wägen, den man ausgeben will Unser Wunsch zu dem eben eingeleiteten neuen Filmjahr ist, daß man nidit nur den hochwertig gemachten Film bevorzugen sollte sondern auch das volksnahe Thema, nidit im Sinne der Backhendelromantik, sondern jene Stoffe, die aus dem wirklichen Leben und Leiden unserer Völker gegriffen sind, wozu „Der weite Weg“ ein Auftakt und ein Versprechen war, das wenigstens der österreichische Film einlösen sollte.

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