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Gegen Zerbröselung und Verschlampung

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Es lohnt sich, einen Sommertag in Eferding zu verbringen. Dort gibt es nicht nur einen der bemerkenswertesten Stadtplätze Oberösterreichs mit dem vielgenannten Lebzelterhaus, nicht nur die alte Pfarrkirche und die Spitalskirche mit den gotischen Fresken in der Magdalenen-kapelle, sondern auch das Schloß, dessen ältester Teil vor einigen Jahren von Heinrich Starhemberg als Doppelmuseum eingerichtet wurde: als Museum der Stadt und als Museum seiner Familie. Der große Renaissancesaal mit den enormen, zum Teil sehr barock-mythologischen Ahnenporträts bildet keine Grenze, sondern Verbindung und Brücke. Das Museum der Stadt hat mehr zu bieten als manches andere Bezirksund Heimatmuseum. Eferding war Standort einer römischen Kohorte, besitzt seit 1222 eines der ältesten Stadtrechte Österreichs und war 1626 Mittelpunkt des oberösterreichischen Bauernaufstands. Daß Kriem-hild hier auf ihrem Zug nach Ungarn genächtigt habe, meldet das Nibelungenlied. Was an Gemälden, Bildwerken, an kunstgewerblichen Kostbarkeiten aus den Vorräten der großen Bauerhöfe und der bürgerlichen Zünfte in das Eferdinger Stadtmuseum gerettet werden konnte, übersteigt um ein Vielfaches den bloßen Begriff des Provinziellen.

In den Räumen zur Linken der museale Besitz der Starhembergs, aus Kisten und Depots ans Licht gebracht und in chronologischer Reihe zu neuem Leben erweckt. Er beginnt mit der beachtlichen Türkenbeute des Verteidigers von Wien. Und in diesem ersten Raum fand auch die Familienreliquie ihren Ehrenplatz, das Femrohr vom Stephansturm, dieses Symbol des Durchhaltens mit aller gebotenen List und Härte, des gehorsamen Ausharrens wider alle Hoffnung bis zum Wendepunkt des Schicksals, bis zu dem unerhörten Augenblick, da hinter dem Kahlenberg die rettenden Zeichen aufstiegen: Europa, der Kaiser sandte das Entsatzheer.

Weitere Säle bergen, was die Nachfahren von ihrer Tätigkeit als Krieger, als Diplomaten und Staatsbeamte hinterließen und mancher Gegenstand widerlegt bei näherer Betrachtung manche Legende. So hatten Geschichtsschreiber lange Zeit voneinander abgeschrieben, die Prunkkleidung jenes Starhembergs, der Marie-Antoinette nach Frankreich geleitete, wie es zu jener Zeit seines Amtes war, sei von unschätzbarem Wert und übersät gewesen mit zahllosen Brillanten und kostbaren Perlen. Der historische, sehr schön geschnittene Galafrack fand sich zwar wieder, aber er war übersät mit feingeschliffenem böhmischen Glas — das allerdings, und gewiß keinen schlechten Effekt gemacht hat. Die französischen Berichterstatter jedenfalls fielen darauf herein. Im letzten Raum, mit seinem gigantischen bunten Keramikofen aus den Tagen des frühen Barock, begegnet man Erinnerungsstücken an die tatkräftige Caritasfürstin Fanny und an ihren Sohn Ernst Rüdiger, den Heimwehrfürsten. Auch dies ist längst zu einem Stück österreichischer Geschichte geworden und man sollte eigentlich ruhig darüber reden können. Über diesen Versuch eines temperamentgeladenen, in den Begriffen seiner Zeit befangenen Mannes nämlich, der allgemeinen Zerbröselung und Verschlampung mit harter Gewalt entgegenzutreten, mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, was in diesem Lande Qualität hatte und von den heranbrandenden Wogen der Geschichte mit Vernichtung bedroht war. Der Versuch stand — wir wissen es heute besser — unter einem falschen Vorzeichen und war zum Scheitern verurteilt. Die Wogen schlugen über Österreich zusammen. Kein Entsatzheer kam. *

Nun aber, da dies alles schon seit langem Vergangenheit ist, setzte der Sohn einen neuen Beginn. Heinrich Starhemberg, der im Exil und unter Entbehrungen aufwuchs, dessen Hand niemals eine Waffe berührt hat, führt heute — und hiezu bedarf er keines Titels und keiner Macht — Gegensätze zusammen und vereint, was lange getrennt war. Symbolisch für diese Zielsetzung ist dieses Eferdinger Doppelmuseum, das die Spannung, die jahrhundertelang zwischen Bürgerschaft und Grundherrschaft bestanden haben mag — eine Spannung, die als zeitgemäße Balance und gegenseitige Kontrolle wahrscheinlich notwendig und sogar gewollt war — überbrückt und in einer fast untrennbaren Zusammenschau zu dem Akkord werden läßt, dessen Klänge nicht mehr dissonieren, sondern einander ergänzen. Heinrich Starhembergs Versuch, über zwei Kontinente hinweg Geister verschiedener Herkunft und verschiedenen Wesens einander näher und miteinander ins Gespräch zu bringen, allem, was Qualität hat in Wissenschaft, Religion, Kunst und Politik Gelegenheit zu bieten, einander kennen (und verstehen) zu lernen — dieser Versuch unter den neuen, verbindlichen Vorzeichen könnte nun tatsächlich Aussicht haben, vielfacher Zerbröselung und Verschlam-pung entgegenzuwirken und etwas zu schaffen, das nicht sogleich Vergangenheit wird, sondern, im Gegenteil, sehr viel Zukunft hat Das Durchhalten versteht sich von selbst. Aber es bedarf keines Entsatzheeres. Schaunberg, die Veste ritterlicher Vorfahren, verfällt auf dem steilen Hügel nordwestlich der Stadt. Eferding aber ist sehr lebendig, mitsamt seinem Schloß, das bedeutend mehr ist als nur ein doppeltes Museum und eine Erinnerung.

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