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Braunau am Inn

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Nun ist der Dreißiger doch endlich voll geworden. Selbst die bisher längste Pause zwischen dem Erscheinen zweier Bände — der „Kunstsammlungen Salzburgs” 1919 und des „Politischen Bezirkes Baden” 1924 — wurde durch die jüngste Frist von sieben Jahren überboten. Aber wozu auf die Zeitumstände hin weisen; wozu entschuldigen, wo vielmehr doch Genugtuung am Platz ist! Dieses Bollandistenwerk der österreichischen Kunsttopographie hat auch die schlimmste Krise überdauert, und so darf gehofft werden, daß uns von nun an wieder im normalen (ein oder zwei Jahres-) Abstand Band um Band beschert wird. Diesen Optimismus kann der Wissende noch durch die Mitteilung bestärken, daß zumal die Vorarbeiten für die Bände „St. Lambrecht”, „Wels” und „Innsbruck, Profanbauten” schon wett gediehen sind.

30 Bände in 40 Jahren! Wenn man nachrechnet, daß hievon zwischen 1907 und 1918 (unter Einschluß des schon 1914 gedruckten, aber erst 1919 ausgelieferten Bandes XVI) insgesamt 17 und seither unter sehr viel schwereren Bedingungen doch auch schon 13 Bände erschienen sind, dann spricht das wohl für eine erstaunlich zähe Gleichmäßigkeit kn Ausbau dieses riesigen Unternehmens: trotz wechselnder Redaktion (1—17 Max Dvorak, 18—23 und 30 Dagobert Frey, 24,—29 Karl Gihhart); trotz wechselnder Betreuung durch die Verlage Schroll (1—17), Holzel (18), Krystall (19), Filser (20—23) und Rohrer (24 ff.) — wie nicht zuletzt auch trotz der weltpolitischen Metamorphosen Österreichs, für dessen Ansehen als kulturelle Großmacht dieses beschreibende Inventar seiner Kunstdenkmäler unvergleichlich zeugt.

Nach einem Probestart im Jahre 1889 wurden 1907 erstmals die Denkmäler eines politischen Bezirkes (Krems mit Göttweig) nach dem noch von Alois Riegl entworfenen Schema gewürdigt, wie es seither ohne tiefergreifende Änderungen beibehalten wurde; beibehalten über den Zusammenbruch der Monarchie bis zu den Bänden XXVI („Volkskunde des Burgenlandes”) und XXVII („Vorgeschichtliche Funde in Vorarlberg”), die 1935 und 1937 mit zwei „Grenzthemen” auch in politischem und geographischem Sinn das Land von Ost und West noch einmal zu umfassen schienen, ehe das Unternehmen einer Österreichischen Kunsttopographie ein zweites Mal, verhängnisvoller, in Frage gestellt wurde. Und in der Tat, nicht nur rein äußerlich unterscheiden sich die einzigen beiden Bände, die in der Folgezeit erschienen sind — durch fast symbolisch anmutende Reduktion des Folioformats —, von den 27 früheren; auch in der bibliographischen Absonderlichkeit, daß die Beschreibungen des „Landkreises” Bischofshofen und des Stiftes Zwettl (1940) als Bände XXVIII und XXIX (!) der Ostmärkischen (!) Kunsttopographie erschienen sind, kommt mancherlei von dem zum Ausdruck, was Österreich zu einer Verlegenheit des Dritten Reiches werden ließ.

Nun aber, auf der ersten Seite des jüng-sten Bandes, liest man wieder den eErwSrdigen Namen dieses Landes und fragt sich nur, ob angesichts der Tatsache, daß ohnedies weitgehend neu umbrochen werden mußte, nicht schon diesmal die alte Anordnung (insbesondere durch Auflösung des Bilderanhangs in den Textteil) wieder hergestellt werden konnte, ob die Kostendifferenz ein Stehenbleiben auf halbem “Weg rechtfertigte. Für alle Zukunft wird nun schon rein optisch dieser Band in der Gesamtreihe mit den zwei blauen Bänden der braunen Ära auffällig verschwistert scheinen. Überdies nötigte das Format zu einer so starken Verkleinerung der Aufnahmen, daß bei aller technischen Vollkommenheit der Klischees zahlreiche Feinheiten verlorengingen; zumal des Dekors, das in so vielen Kirchen gerade des Bezirkes Braunau überrascht.

Dieses Bezirkes Braunau. Ausgerechnet? Es kann nicht verwundern, daß den Band bei seinem Erscheinen eine gereizte Polemik empfing. Und es ist im Tieferen zumindest nicht ein sinnloser Zufall, daß es gerade d i e- sen (wahrhaft „politischen”) Bezirk traf, nach 1945 den ersten neuen Band der ÖKT zu stellen: beruhend auf Vorarbeiten, die im Anschluß an den 1927 erschienenen Band „Schärding” nachweisbar schon damals begonnen wurden und die während des Krieges bis zum Satz gediehen waren. Wer besinnlich die 615 Abbildungen auf sich wirken läßt, dem wächst hieraus eine so überzeugende Ehrenrettung der verrufenen Stadt (und ihres Hinterlandes) entgegen, wie er gelegener ihr gar nicht kommen konnte. Unleugbar hat das Gebiet an Inn und Mattig geschichtlich, stammestümlich und damit auch künstlerisch bestimmenden Einfluß vom benachbarten Bayern erfahren, Aber was hier nun begegnet, wirkt doch völlig brüderlich und eigen, heimatlich vertraut: die rauschende Festlichkeit barocker Katholizität in spätgotischen Kirchen, dieses verträgliche Einströmen der gegensätzlichsten Gesinnungen, gehaltlich und formal.

Ja, es tut gut und tut auch not, dieses so stimmungsvolle, wenig bekannte Gebiet um den Kobernauser Wald, anscheinend immer noch gelegentlich von Abenteurern als eine Art politischen Spessarts verkannt und mißbraucht, in unsere Herzen heimzuholen. Und nichts könnte dem so schlechthin überwältigend dienen wie dieser jüngste Band der ÖKT! Leider macht ihn nur sein Umfang (neben dem Abbildungsteil XIV und 412 Textseiten mit 100 Planaufnahmen) für private Käufer unerschwinglich. Um so weniger sollte er doch in Büchereien fehlen, in Büchereien jeder Art bis zu den Werks-, Vereins- und Pfarreinrichtungen. Der Aufwand dieser 200 Schilling wiegt den Verzicht auf ein halbes Dutzend durchschnittlicher Unterhaltungstitel wahrlich auf; und kommt überdies der ermutigten Fortsetzung des Gesamtwerkes zustatten, in dem zum Beispiel Steiermark und Kärnten, aber auch Tirol noch nicht mit einem einzigen Bezirk vertreten sind.

Generalstaatsarchivar Franz Martin, dem schon die Bände XX, XXII, XXV und XXVIII neben Archivbeiträgen zu mehreren anderen zu danken sind, hat sich für die Bearbeitung des Bezirkes Braunau in hohem Maß den Dank verdient, dessen ihn einleitend der Herausgeber „für seine großen und bedeutsamen Leistungen im Rahmen der ÖKT” versichert.

Wo immer örtlich diese große Bestandsaufnahme ansetzt, wird sie vor der Welt zum großartigen Hymnus auf ein Land, in dem der kleinste Ort einer erlauchten Tradition verpflichtet ist: einer beseelten Kunst, die uns noch immer als Besitzende, ja als Gebende gelten läßt. Als Gebende: vergessen wir darum nicht, daß dieses Erbe längst der ganzen Welt gehört und dann nicht einen Stolz rechtfertigte, der nur rückwärts gewandt wäre. Pfleglichster Kastellandienst würde lächerlich, der sich das Werk der Ahnen selbst zugute hielte — und damit auch seines schon getan dünkte. Von Leistungen der letzten zwei Geschlechter nimmt die ÖKT grundsätzlich nicht mehr Kenntnis. Und so muß das hierin eingebrachtc Wissen der Forschung noch in eine Erforschung des Gewissens münden.

Bergstraße und Kraftwerk dienen da nicht zur Entlastung; denn die unbestreitbare Schönheit des Ingenieurbaues ist zweckgebunden, andererseits aber nicht einmal bodenständig. Weiß sich und beweist sich Österreich auch heute noch der künstlerischen Fruchtbarkeit lebendig, die aus solchen Tiefen quoll und sich so breit entfaltete, daß just auch unser Buch ihr Resumč in einem seitenlangen Index vorgestellter Künstler zieht?

Wir würden es als Schicksal Spätgeborener zu tragen haben, daß wir aus Erlahmtheit und Ernüchterung uns hoffnungslos in jenen Schöpferrausch barocker Festlichkeit zuriįcksehnten. Aber ist es an dem? Leben nicht Bildhauer und Maler von erprobtem Können unter uns, die feiern müssen? Wird ihr Darben nicht zur furchtbaren Anklage jener, die bei jedem Anlaß sich großartig mit der kulturellen Sendung dieses Landes brüsten, aber achselzuckend in die Zeitumstände ausflüchten, wenn sie beim Wort genommen werden? Ach, die Zeiten waren niemals gut! Und immerhin doch als Lakai vor Not geschützt, schuf Haydn Werk um Werk zum größeren Ruhm der Heimat. Wollen wir unsere schöpferischen Kräfte erst verkümmern lassen und scheinheilig dann feststellen, daß es mit der Kunst wohl oder übel doch vorbei sei?

Mit der Kunst wessen? Bei der Beschreibung des Bezirkes Bischofshofen, also 1940, unternahm man es, den Bauernhof gegen die Dorfkirche auszuspielen. Das Beleg- material kam dem Versuch nicht wohl entgegen; umgekehrt möchte man nicht, in gegenteiliger Einseitigkeit, zum Beispiel den Exkurs über das Bürgerhaus in Braunau missen. Hochformen, die nicht zutiefst auch im profanen Leben wurzelten, wären bedenklich. Zwischen ihnen und der Volkskunst jeder Art bestehen zweifellos organische Zusammenhänge, darin jeder Teil Nährboden und Reflex ist. Und um wieviel krisenfester, weil zeitloser Volkskunst scheinen mag, ist es doch auch für sie nicht gleichgültig, was die soziologischen Gewichtsverlagerungen über ihr bewirken.

Die (nicht angewandte) „eigentliche” Kunst jener Jahrhunderte nun, deren Zeugnisse die ÖKT weit überwiegend vorführt, stützt sich auf die damalige Macht der Kirche und des Adels. Beiden leitet sich hieraus für heute nicht mehr ein größeres Maß an Rechten her; das gleiche Maß an Unterhaltsverpflichtungen jedoch dem Stand, dem Staat, der sie als Bürge unseres Ansehens in der Welt, als Bürge eines musisch hochbegabten Volkes ablöste.

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