Grün schreiben

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Die Natur im Mittelpunkt der Literatur: Generationen von amerikanischen Schriftstellern hat Henry David Thoreau (1817-1862) beeinflusst. In seinen Werken findet sich schon, was "grüne" Literatur heute auf der ganzen Welt beschäftigt.

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Die Natur im Mittelpunkt der Literatur: Generationen von amerikanischen Schriftstellern hat Henry David Thoreau (1817-1862) beeinflusst. In seinen Werken findet sich schon, was "grüne" Literatur heute auf der ganzen Welt beschäftigt.

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Die Schriften des amerikanischen Schriftstellers Thoreau widmen sich minutiöser Naturbeschreibung, wobei die subjektive Erfahrung des Autors in und mit der Natur immer mitreflektiert wird. Ein bis heute packender Teil seines Werkes, insbesondere in "Walden", ist Thoreaus Zivilisations-und Konsumkritik. Einem irischen Wanderarbeiter in der Nähe seiner Hütte am Walden-See erklärte Thoreau die Sache einmal so: "Man müsse eben, wie ich, verschiedenen Dingen entsagen -Tee, Kaffee, Butter, Milch, Fleisch -, dann brauche man nicht zu arbeiten, bloß um sich dergleichen leisten zu können, und wenn man keine schwere Arbeit leiste, brauche man auch keine schweren Mahlzeiten und gebe deshalb für das Essen nicht viel aus."

Eine aparte, wenn auch nicht unbedingt für alle taugliche Logik - mit der Ruhe am Walden-See wäre es schnell vorbei. Dennoch, ökologische Theorien vom Wirtschaften ohne Wachstum sind bei Thoreau schon genauso angelegt wie viele andere Grundsatzfragen des menschlichen Lebens in der Moderne, etwa das Verhältnis zu den Tieren, der Umgang mit den Ressourcen, die ästhetische Beziehung zur Natur. Das Englische kennt für diese Art von Literatur den prozessbetonenden Terminus "Nature Writing", und in Thoreaus "Nature Writing" wird zudem das historische und wissenschaftliche Wissen um die Natur zitiert, sowohl aus den Büchern der Weltliteratur wie aus dem mündlich überlieferten Wissen der Ureinwohner Amerikas.

Rückzug in die Natur

Erstmals übersetzt wurde jetzt das nachgelassene Werk "Wilde Früchte", in dem Thoreau jahrzehntelange Beobachtungen über die ökologischen Zyklen in einem archetypischen Jahr aufzeichnet. Aber international berühmt wurde Thoreau mit seinem Buch "Walden", in dem er von seinem zweijährigen Rückzug aus der Zivilisation - bis zum nächsten Nachbarn ein Kilometer -und vom Leben mit der Natur berichtet. Das Buch ist ein Klassiker und ein bis heute anregendes Meisterwerk der zivilisationskritischen Naturbeschreibung und -reflexion.

Eines Tages beobachtete Thoreau eine Ameisenschlacht am Walden-See: "Mit einer Lupe konnte ich feststellen, dass die ersterwähnte rote Ameise zwar eifrig an einem Vorderbein des Gegners nagte, nachdem sie ihm auch den zweiten Fühler abgezwackt hatte, dass aber ihre Brust aufgerissen und die Innereien dem Zubiss des schwarzen Kriegers ausgesetzt waren, dessen Brustpanzer offenbar undurchdringlich war; in den Karfunkelaugen der Ärmsten loderte ein Ingrimm, wie ihn nur der Krieg entfachen kann." Obwohl der Autor - ein überzeugter Pazifist und Abolitionist - bei der dramatischen Beschreibung dieser Ameisenschlacht auch anthropozentrische Metaphern benutzt -rote Republikaner gegen schwarze Imperialisten; ein Achill, der seinen Patrokolus rächt -bleibt er im Wesentlichen bei der reinen Beschreibung des Phänomens und vergisst auch nicht, die Naturgeschichte der Ameisenschlachten zu erwähnen. Es gibt tatsächlich Fachliteratur zu historischen Ameisenschlachten, Thoreau nennt den Schweizer Naturforscher Jean-Pierre Huber und Olaus Magnus.

Die erzählende Insektenliteratur ist weit fortgeschritten. Ein faszinierender Einstieg ist Eugene Marais' Klassiker über die weiße Ameise, die Termite. Der Affenforscher Marais hat in den 1920er-Jahren in den Waterberg-Bergen in Südafrika in einer Hütte gelebt und die Rätsel des Termitenstaates untersucht. Er ging von einer organischen Analogie aus, meinte also, der Termitenstaat mit der geheimnisvoll alles steuernden Königin im Zentrum sei wie ein Organismus aufgebaut. Marais' Forschungsbericht ist auch literarisch faszinierend und hat den Dramatiker Maeterlinck zu einer etwas freizügigen Anverwandlung des Themas angeregt, manche sprechen von Plagiat. Immerhin - Maeterlinck erhielt 1911 den Literaturnobelpreis.

Insektenliteratur

In den Jahren 1912 und 1914 war der ganz und gar originelle Entomologe und Naturschriftsteller Jean-Henri Fabre mit seinem 10-bändigen Werk über Insekten nominiert. Der begnadete Insektenbeobachter Fabre, ein gläubiger Katholik, befand sich in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Transformationstheorie, wie damals die Evolutionstheorie von Darwin hieß. Fabre argumentierte, vielleicht mit einer frühen Idee vom Intelligence Design im Hinterkopf, gegen die Evolutionstheorie. In Band I beschreibt Fabre in ungeheuer dramatischer Weise, wie die Grabwespe eine wesentlich größere Raupe mit neun gezielten Stichen lähmt, in einer ganz bestimmten Abfolge, um sie dann in ihr Nest zu schleppen, wo sie als Lebendnahrung für ihren Nachwuchs dient. Die genaue und notwendige Abfolge der Stiche könne nicht auf Versuch und Irrtum basieren. Gottes- und Naturliebe gehen bei Fabre merkwürdige Wege, die längst noch nicht hinreichend erforscht sind.

Etwas weniger elegant im Stil, aber weiter fortgeschritten in den wissenschaftlichen Aspekten ist der "Ameisenroman" des amerikanischen Entomologen E. O. Wilson. Wirklich interessant ist darin die "Ameisenchronik", die auch das Phänomen der Ameisenschlacht

auf dem Stand unserer Zeit erhellt. Eine bibliophile Nachauflage -auch für Erwachsene - gibt es von der "Biene Maja", der kleinen Aussteigerin, die sich - anstatt für den Bienenstock zu schuften -lieber der Anschauung der Natur widmet und dabei zahlreiche Abenteuer erlebt. Aber ganz so unschuldig ist dieses naturpoetische Werk nicht. Die ökologischen Zusammenhänge eröffnen sich in Majas Welt mitten im schönsten Naturgenuss: Als sie sich gerade mit einem Fliegenbrummer angefreundet hat, wird der genüsslich von einer Libelle zergliedert und gefressen.

Biene als Subjekt

Analogien zur Menschenwelt sind bei Bonsels dezenter Natur, aber hintergründig. Maja ist beim Rosenkäfer zu Besuch: "Sie schmiegte ihre Wange und ihre Händchen an die zarten und leuchtenden Vorhänge, atmete den köstlichen Duft tief ein und war beseligt vor Freude, sich in einer so schönen Wohnung aufhalten zu dürfen. Es ist doch wirklich ein großer Genuß zu leben, dachte sie, und diese Behausung ist mit den dumpfen und überfüllten Etagen nicht zu vergleichen, in denen wir leben und arbeiten." Das sind wohl auch die dumpfen Etagen der Großstadtbewohner, deren Bewohner - nicht auf Rosen gebettet -damals gerade von der Reformbewegung wieder an die Freuden und Genüsse der Natur herangeführt wurden. Unter anderem mit solchen Büchern, inspiriert von Thoreau.

Wenn die Biene als Subjekt der Naturgeschichte auftritt, ist das für Kinder ganz natürlich, im Wortsinne. Im Rahmen des "Nature Writing" könnte man bereits von einer ökozentrischen Perspektive sprechen, die in der kulturwissenschaftlichen Tradition des Ecocriticism, vor allem im Westen der USA, lange nach Thoreau eingefordert wird. Deren Gegensatz ist das auf unserem Planeten vorherrschende Prinzip des Anthropozentrismus -der Mensch steht im Mittelpunkt aller Erwägungen. Ein entlarvendes Beispiel für seinen universalen Herrschaftsmythos ist "Tarzan bei den Affen". Tarzan überlebt bei den Affen aufgrund seiner Intelligenz, bringt sich im Urwald ganz alleine das Lesen und Schreiben bei, erlebt fantastische Heldenabenteuer und wird der König im Dschungel. Kleine Jungen brauchen überlegene Helden. Der viel und nicht besonders gut schreibende, aber umso geschäftstüchtigere Autor Edgar Rice Burroughs schreibt aber über Pflanzen so gut wie nichts. Das ist grandios anthropozentrisch und vom ökokritischen Standpunkt aus gesehen hoffnungslos stupid.

Steht auf der einen Seite der Mensch im Mittelpunkt, ist es auf der Seite des "Nature Writing" die Natur. Und auch für ökozentrische Wahrnehmungsweisen, das entsprechende Theoriemodell heißt Tiefenökologie, kann Thoreau als Zeuge genannt werden: "Ein Fluss mit Katarakten, Wiesen, Seen, Hügeln, Klippen oder einzelne Felsen, ein Wald oder alte Baumriesen. Diese Dinge sind schön. Sie sind von unermesslichem Nutzen und nicht nach Dollar oder Cent zu beziffern. Wären die Ortsbewohner weise, würden sie diese Dinge zu erhalten suchen, auch unter erheblichen Kosten." Das schreibt Thoreau am Ende von "Wilde Früchte". Umweltaktivisten versuchen heute mit mehr oder weniger brachialen Methoden, dem tiefenökologischen Prinzip Geltung zu verschaffen.

Erlebnis am Colorado

Edward Abbey hat in seinem Roman "Monkey Wrench Gang" jenen Umweltschützern am Colorado ein Denkmal gesetzt, die heute im globalen Verein "Earth First!" aktiv sind. Mit "Desert Solitaire" (noch nicht übersetzt) hat er sich auch selbst eins gesetzt, als großer Autor der modernen Naturbeschreibung. Den Büchner-Preisträger Walter Kappacher hat dieses Wüstenbuch zu seinem jüngsten Werk angeregt. Darin zieht ein pensionierter Arzt aus Bad Gastein in das "Land der roten Steine" am Colorado, wo ihn ein großes Naturerleben erfasst, das subtil zwischen menschlicher und geologischer Identität pendelt. Kappacher gelingt dies ganz ohne Kitsch, und nicht ohne Grund spricht der Reisende mehrmals von Abbey. Sein indianischer Reiseführer reagiert aber kühl. Kein Wunder, denn die Lizenz für das abgeschiedene Naturreservat hat der Navajo von Leuten, die von Amts wegen nicht so gut auf den "Ökoterroristen" Abbey zu sprechen sind.

Eine grafische Bearbeitung des Ökologie-Themas liegt nun mit dem Werk von Nick Hayes vor. Er paraphrasierte eine alte, von Samuel Taylor Coleridge aufgezeichnete Ballade, und zwar als grafisches Gedicht von etwa 350 hinreißenden Seiten. Der Seemann schießt den Albatros, die Rache der Natur lässt nicht auf sich warten, plötzlich findet sich die Mannschaft auf dem Trawler mitten in einem der riesigen Plastikmüllstrudel des Pazifik, die allem Meeresleben den Garaus machen. Jetzt schwingt der Tod sein Zepter, nur der Seemann überlebt und erzählt seine Geschichte mitten im Central Park von New York, wo sie -natürlich - absolut nicht interessiert.

DIE BÜCHER IM ÜBERBLICK

Walden oder Leben in den Wäldern Von Henry D. Thoreau. Aus dem Amerik. von Emma Emmerich u. Tatjana Fischer. Diogenes 2012.496 S., geb., € 17,40

Wilde Früchte Von Henry D. Thoreau. Übers. von Uda Strätling. Illustr. von Sonia Schadwinkel. Manesse 2012.350 S., geb., € 101,80

Erinnerungen eines Insektenforschers Von Jean-Henri Fabre. Übers. von Friedrich Koch. Matthes & Seitz 2010 ff. Bisher 3 Bd., geb., je €38,00

Die Monkey Wrench Gang Von Edward Abbey. Übersetzt von Sabine Hedinger. Rowohlt Taschenbuchverlag 2012.556 S., kart., € 13,40

Die Ballade von Seemann und Albatros Von Nick Hayes. Übersetzt von Henning Ahrens. Mare 2012, geb., € 28,80

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