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Hände

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Sie ist ein Wunder, die Menschenhand. Sie allein ist auf immer gelöst und erlöst von Erde und Ast, aufgehoben in die Freiheit des Lichtes! Sie ist stark und gewandt und sie besitzt die Schönheit alles von Natur aus Vollkommenen. — Hast du schon einmal überlegt, wie viele Hebel des Zaubermechanismus Hand du des Morgens gedankenlos und doch höchst sinnvoll bewegst, wenn du deine Schuhriemen knüpfst? Tausend Verrichtungen beherrscht sie und ist täglich bereit, neue zu erlernen.

Neben seinem Geiste ist es seine Hand, die dem Menschen die Erde unterwarf. Aber während sich der Geist des Menschen erst langsam entwickelte, vom glimmenden Funken zur leuchtenden Flamme wuchs, hat sich die Hand kaum verändert: sie war vollendet von Anbeginn. Es war die gleiche Hand, die den ersten Faustkeil schuf und das neueste Stahlwerk, die Höhlenbilder von Altamira und Dürers Apostel. Die Hand gab dem Menschen Maß und Zahl und damit den Schlüssel zur Beherrschung des Unlebendigen. Es ist gut, sich von Zeit zu Zeit des Wunders der Hand zu erinnern.

Ungezählte Werkzeuge und Maschinen schuf sich der rastlose Geist des Menschen, die Arbeit seiner Hände zu vervielfältigen und aufzutürmen ins Übermenschliche; zusammenzuraffen, was eines langen Lebens Inhalt hätte sein können, in millionenfach durchzuckte und durchfieberte Sekunden. Gott schuf nur ein Werkzeug, das einzige wahrhaft universelle, das hämmert und greift, festhält und fortstößt, aufhebt und niederreißt, formt und zerstört, gibt und nimmt, tändelt und tötet: die Menschenhand.

Darum ist sie zugleich das einfachste und vollendetste, das beste und gefährlichste, das verläßlichste und unzuversässigste Werkzeug, weil sie alles formt und von allem geformt wurde; weil sie, gehorsame, immer willfährige Dienerin des allumspannenden menschlichen Geistes, durchpulst vom Purpurstrom des Lebens, Geschöpf und Wiederschöpfer des einen formenden Willens ist.

Die Hand, das Urbild und Vorbild alles Werkzeugs, das Werke zeugt und Zeuge ei dem Werk, auch sie wird rückwirkend geformt von dem zu Schaffenden. Betrachte die Hände eines Bauern und eines Goldschmieds, fasse sie an, beobachte sie in Ruhe und Bewegung: die sind so verschieden wie die Geräte, die sie führen, die Werke, die sie schaffen.

Der Hände wahrste Heimat ist das Werk. Glücklich die Hand, die um des Hammers Griff sich spannt, um den Schaft der Axt. Gesegnet die Hand, die den Pflug in die Scholle preßt, die Körner wirft Verehrungswürdig die Hand, die Schmerzen stillt und Wunden heilt. Begnadet die Hand, die über Orgeltasten geht, an den Riegeln des Göttlichen rüttelnd. — Doch unselig die Hand, die feiern muß. Sie krankt, entartet, siecht dahin in Heimweh nach dem Werk. Sie wird schwach, verdorrt, um Sinn und Ziel ihrer Bestimmung betrogen. Oder sie irrt ab, tut Böses, raubt, zerstört, tötet.

Nicht ein Paar Hände gleicht dem anderen, weil nicht einer der Menschen die Werkzeuge gleich verwendet, die ihm der Meister gab.

Hände gibt es, weiß, glatt und gefährlich wie Katzenpfötchen; und andere, hart und dunkel wie Raubvogelgriffe; und wieder andere, massig und schwer, wie die Tatzen der treuen Eernhardinerhunde.

Da sind Mädchenhände aus Alabaster mit blauem Geäder, töricht und froh, die spielen wollen und zärtlich sein; Knabenhände aus heller Bronze, mutig und rasch, die kämpfen wollen und beschützen; Frauenhände aus lindem Samt, gut und sorgenvoll, die ein goldenes Kinderhaupt behüten wollen und segnen; Männerhände aus dunklem Erz, stark und gerecht, die Zügel halten wollen und Steuer; Greisenhände aus verwittertem Gestein, grau und müde, die ruhen wollen und sich falten; und Hände von Toten aus kühlem Schnee, weiß und still, die ihr Werk schon vollbracht haben.

Menschenhände! Ein großer Künstler formte sie und ein großer Werkmeister, vertraut mit allem Schönen und Tüchtigen, allem Kraftvollen und Notwendigen dieser Welt. Und es gestaltet sie im kurzen Atemzuge des einzelnen Lebens vom ersten Griff nach Mutters Mund bis zum letzten Druck vor der Schwelle zur Ewigkeit das Werk, das sie schaffen.

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