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Digital In Arbeit

Der Pflug von Sonnfelden

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(Schluß)

Viel millionenfach ging die Rede der Dinge, Fels erzählte, wie er Berg wurde, Erz dachte sich zurück, als es noch fließendes Feuer war und langsam in den Tiefen erstarrte; die Wasser berichteten einander, wie sie das erstemal zu Meeren zusammenflössen; und aller Stoff, dem Gott in der Natur ein sichtbarliches Leben verliehen hatte, ihn zu Kraut und Strauch und Baum werden ließ, neigte sich in demütigem Dankgebet für solche Begnadung.

Aber nun kam da und dort ein leises Klagen. Es war alles Stoffes Bestimmung, Teil einer Lebendigkeit zu werden, aber Gott hatte als letzten Mittler dafür den Menschen geschaffen.

Aus allen Tiefen, aus allen Weiten rief der Stoff nach dem Menschen, aber keine Antwort kam.

Da besann sich der Stoff auf das Leid der Zeit, die ihm zunächst lag, von den Äckern ringsum hob sich ein dunkles Flüstern: brach liegen wir und strotzen doch von Fruchtbarkeit, Korn wollen wir tragen, überschwer an Ähren ... komm, Pflug,“ tu dein Werk an uns!

Vom Eisen in Pflugschar und Gestell, vom Holz in Rad und Griff tönte leise Antwort. „Form gewannen wir und stehen trotzdem müßig, scharfe Schneide haben wir, um die Erde zu zerteilen, breites Blatt, um die Schollen zu stürzen, das Rad schafft uns den Weg — über Äcker wollen wir!“

Die Egge und die Walze und alles andere Gerät ringsum stimmten in die Klage ein, riefen den Pflug zum Führer aus, daß er allem Auftrag gäbe und es hingeleitete, wo der Platz zu eines jeden Arbeit war.

Doch der Pflug erzitterte traurig. „Uns Dingen ist/es nur gegeben, durch den Menschen und \ für den, Menschen zu wirken, ohne ihn gibt es keinen Sinn unseres Seins — aber hier hat der Herr die Menschen austilgen lassen durch seinen finsteren Knecht, den Tod!“

Da trauerten die Äcker und zogen Nebel

über sich, wie ein Leichentuch anzusehen, jegliches Gerät verlor seinen Glanz, Rost • legte sich darauf wie Schwären, und alles Holz krümmte sich, als wollte es springen und zerbröckeln.

Ohne den Menschen — wozu waren sie dann noch da? Verloren der Weg zu jeder neuen Vollendung ... fast eine Verdammung bedeutete das ...

Und sie flehten alle zu Gott: „Herr, gib uns einen Menschen, damit wir ihm dienen können nach deinem Gebot!“

Aus einer Ecke der Scheune kam eines Kindes leiser Ruf. Das Knäblein, dessen der Tod vergessen hatte, war aus stärkendem Schlaf erwacht, rieb sich die Augen, sah und hörte erstaunt um sich: was eben hier geschah, war doch kein Traum, so sonderbar es sich auch anließ, den Dingen schien Leben und Rede zugeteilt, wie sie die Tiere besaßen und die Menschen. Aber dann waren sie ja Spielgefährten ... Der Knabe erhob sich, schritt zuerst unsicher und dann schon aufrecht von einem Gerät zum andern, streichelte es mit seinen kleinen weichen Händen.

„Kommt, wir wollen Arbeit spielen!“ EHe Dinge wußten, daß auch sie jung waren, unmeßbare Zeit dehnte sich ja noch bis zu ihrer Vollendung.

Arbeit spielen mit einem Kind ... Und doch war ein Wunder in sie gelegt, sie bekamen von Gott für eine Stunde lang zugeteilt, was sie erst ein halbes Jahrtausend später dauernd gewinnen sollten, eigene Bewegung, eigene Kraft. Sie ordneten sich in der Scheuer zur Reihe, das Mondlicht traf das Schloß des Tors und ließ es aufspringen, und dann zogen sie hinaus aufs Feld, als letzter ein kleiner Karren, auf dem das Saatgut lag.

Der kleine Knabe aber schritt neben ihnen her, alles Siechtum war aus ihm gewichen.

Die Geräte wußten den Weg, zu oft waren sie ihn schon geschritten, von Pferden gezogen, von Menschen gelenkt. Aber nun waren sie ganz erfüllt von dem Gedanken an eine Zeit, wo des Menschen Schöpferkunst ihnen wunderbare Formen erdacht hatte, in.denen sie eigene Bewegung und sinnvolles Wirken gewannen, als hätten sie einen Muskelleib und ein gebietendes Haupt wie die Tiere.

So stark war dieses Gedenken, daß es schon zur Erscheinung • wurde. Staunend sah der kleine Knabe Maschinen, mit denen der Mensch erst in tausend oder zweitausend Jahren Arbeit an der Erde tat, er begriff sie nicht und sie waren doch nichts Fremdes, Feindseliges oder gar ein Spuk, ganz nah schwebten sie heran, wollten Liebkosung empfangen wie ein menschgewohntes Tier, gaben als eigene Liebe den treuen Dienst.

So kamen sie zum Acker, der Pflug bohrte sich in die Erde ein — war das ein frohes Wiederfinden zwischen Scholle und Stahl! Der Knabe beugte sich ein wenig nieder, um genauer ihrer beider Stimmen zu hören, dieses seltsame Raunen und Schwirren, das Tore zu einer unbekannten Welt erschließt.

Der Pflug begann seine Arbeit, eigene Kraft zog ihn vorwärts, eigene Kraft drückte die Schar nieder, das Kind hielt den Griff mit seinen-schwachen Händchen, band so Gerät an die Menschheit.

Ebenso geschah es mit der Egge und der Walze, und dann hob irgendwo ein wundervolle; leises Singen an: das Saatgut sang von seiner Heimat, der Erde, aus der es erwuchs und in die es zu neuem Leben wiederkehren wollte.

Doch des Knäbleins Kraft hätte nicht gereicht, in dieser einen Stunde zwischen altem und neuem Tag die Saat über die Äcker auszuwerfen, und auch da gebot de' Herr ein Wunder, eine Sämaschine später Zeiten glitt heran, wies dem Kind ihre Behälter, wie man die gewölbten Hände hinhält, und der Kleine leerte das Saatgut hinein.

Als irgendwo in einer Ferne eine Turmuhr die erste Stunde schlug, war alles Werk getan, um das der sterbende Bjuer Gott angefleKt Hatte. Die Feldarbeit war vollbracht, das Korn gesät.

Still und froh kehrten die Geräte in die Scheune zurück, der Knabe wanderte ein wenig duselig mit, fiel dann gleich in Schlaf, erst am Morgen erinnerte er sich eines seltsamen Traumes, sah ihn so deutlich vor sich, als hätte er ihn wirklich erlebt.

So fanden ihn Männer, die aus der Stadt kamen. Sie hörten seine Erzählung an, lächelten dann verstohlen. Fiebertraum eines unmündigen Kindes.

Doch als eine Woche später die Saat aufging, so stark im Wuchs, so schön in der Farbe, wie man es noch nie gesehen, und als einer, der zufällig des Nachts in der Scheune eine Hacke suchte, den Pflug einen Augenblick lang in einem geheimnisvollen Licht schimmern sah, als wäre Heiligkeit über ihn gelegt, da begannen die Leute zu flüstern, daß Gott hier ein Wunder gewirkt hätte. Ein paar Wochen später erlosch die Seuche so jäh als sie gekommen war, und beim Dankgottesdienst führte man auch des Griesbauern Pflug in die Kirche, und der Priester sprach vom Altar seinen Segen über ihn aus wie über die Menschen.

Einige, die dabei ihr Auge auf den Pflug gerichtet hatten, meinten, er wäre in diesem Augenblick leicht erzittert, wie es Menschen unter einer / großen Freude tun. Und auf ihre Rede hin beließ man den Pflug in der Kirche.

Für den Knaben, dessen Eltern man nicht auffand — sie waren wohl der Seuche erlegen — sorgte die Gemeinde Sonnfelden, aber es wurde nichts Rechtes aus ihm. Er war zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen, hielt sich abseits der Menschen, kritzelte mit Kohlenstückchen sonderbare Gebilde an die Wände, die keiner zu deuten vermochte. Einige Übereifrige erklärten sie für Eingebungen des Teufels, und wenn man ihnen auch nicht beistimmte, so trachtete doch die Gemeinde, den unheimlichen Gesellen loszuwerden, gab ihm Ausstattung und Geld, damit er in die Fremde zog.

In einer großen Stadt soll er eine Werk-Statt aufgemacht haben, in der er allerlei merkwürdiges Spielzeug für Kinder herstellte, das sich von selber bewegte. Er soll in jungen Jahren gestorben sein.

Was man über den Pflug erzählt hatte, das wurde bald vergessen, man warf ihn fcu altem Gerumpel, das Eisen begann zu rosten, im Holz nistete sich der Wurm ein. Trotzdem blieb die Form erhalten, und da sie vom Gebräuchlichen abwich, fiel sie in unserer Zeit einem Kundigen auf, und der brachte den Pflug in ein Museum für Volkskunde, wo man ihn vom Rost befreite und den Wurm vertrieb.

Kein Mensch betritt des Nachts diese Räume, und so weiß auch niemand, ob der Pflug dort in erlesener Stunde mit den anderen Dingen spricht, wie in alter Zeit, als man Wunder noch als Wunder nahm.

Aber heute ziehen gewaltige Traktoren und herrlich vollendete Geräte über die Felder, und wenn in ihnen noch nicht aller Segen erfüllt ist, den ihnen Gott zubestimmt hat, so rührt das daher, daß die Menschen sie bloß als Gebilde der Technik nehmen und nicht als Werkzeuge des Herrn, von Menschenhand geformt.

Doch alles Schöpfertum ist ein Teil von Gottes heiliger Kraft.

(Ende)

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