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Heilige und Stars

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Da süßliche, fade, kitschige Bild der „kleinen“ heiligen Therese von Lisieux, das so gar nicht ahnen läßt, welcher Vulkan sich hinter diesem Klischee verbirgt — die Heilige des Atomzeitalters — ist in das religiöse Leben unzähliger frommer Seelen in den letzten fünfzig Jahren eingegangen und hat zahllose andere fromme Menschen abgestoßen, hat ihnen den Zugang verwehrt zu der Kraft, zu der Macht, zu dem Reichtum, der in Therese von Lisieux der Menschheit zur Verfugung gestellt ist.

Es ist eines der großen Geheimnisse der Schöpfung, daß die Unkraft die Kraft unsichtbar machen, daß die Ohnmacht die Macht verdunkeln, daß die Armut, eine schwächliche Armut, den Reichtum verhüllen kann. Immer wieder aber wiederholt sich dieses Mysterium. Der fleischgewordene Gottsohn kann von jeder Reklamelampc überstrahlt werden. Der größte Heilige erweist sich als ohnmächtig gegenüber dem Star. Zumindest scheint es so.

Seit etwa zwanzig Jahren ist eine neue Generation von Forschern und spirituellen Geistern bemüht, Therese von Lisieux aus den kalkigen Gräbern zu befreien, in die sie die Sentimentalität und der Fröm-migkeitsstil eines Zeitalters eingesargt hatten. Im deutschen Sprachraum haben Ida Friederike Görres und Hans Urs von Balthasar, in Frankreich Männer wie Philipon und Combes sich hier besondere Verdienste erworben. Wenn hier besonders der Leistung Abbe Combes gedacht werden soll, dann nicht nur, \7cil eben seine letzte, vierte große Studie über Therese in deutscher Sprache vorgelegt wird, sondern vor allem auch deshalb, weil er bis jetzt der einzige ist, der mit sehr großer Geduld den Zugang zur( Quelle erschlossen hat: zu dem bis heute uivedierten Autograph der „Geschichte einer Seele“, die nunmehr — seit 1952 wird daran gearbeitet — zum ersten Male in ihrer Urfassung veröffentlicht werden oir.:

Die ebenso schlichten wie erregenden Tatsachen sind inzwischen einer weiteren Öffentlichkeit bekannt geworden: das Original ist, durch Maria Gonzaga, den Karmel von Lisieux und seine theologischen Berater in einer Weise umgearbeitet worden, wie es den Bedürfnissen dieser Seelen entsprach, die von einer entsetzlichen Furcht beseelt waren. Anstoß zu erregen, und alles taten, gemäß einer brieflichen Mahnung des Priors von Mondaye Godefroid-Madelaine vom 1. März 1898 an Maria Gonzaga, um die letzten Bekenntnisse und Erkenntnisse Theresens dem Niveau com Tun anzugleichen. Auf deutsch: sie gleichzuschalten. Gleichzuschalten auf das niedere gemeinsame Niveau der „frommen Seelen“ dieser Zeit und gleichzuschalten auf das, was die Theologen als allein gültig für immer ansahen.

Was Therese zu sagen hat, in einer wahrhaft welt-rcvoluttonären Bedeutung, das mag man jetzt im neuen Werk des Abbe Combes selbst nachlesen. Uns interessieren in dieser Notiz nur die Motive der Gleichschaltung, der Ausmerzung des Körnigsten, Ur-eijentlichsten. des eigentümlich Schöpferischen aus dem Manuskript der Heiligen von Lisieux. Therese kannte ihre Zeit und ihre Umgebung. Auf ihrem Totenbett ist sie in großer Angst: sie befürchtet eine Vernichtung ihres Manuskripts: die Nonnen werden es vielleicht verbrennen wollen, Therese sieht sich von Neid und Eifersucht umlagert, wie Jeanne d'Arc. „Für meine Sendung gilt dasselbe wie für die der Jeanne d'Arc: der Wille Gottes wird in Erfüllung gehen trotz der Eifersucht der Menschen.“

Die tragische Klischeebiidung um Therese von Lisieux, die aus dieser Heiligen eine sentimentale Puppe, ähnlich manchen Christ-Kind-Puppen in Klosterkirchen, machen wollte, hat eine tragische tausendjährige Vorgeschichte. Bereits Autoren von Märtyrerakten, von Lebensbeschreibungen frühchristlicher Märtyrer waren bemüht, alles „Unziemliche“, Ungewöhnliche, Neue auszuschalten, und ihre Heiligen zu stilisieren, wobei sie sich der Vorbilder des spätantiken hellenistischen Romans und seiner Helden und Heldinnen bedienten. Das Mittelalter entwickelte diese fragwürdige Kunst weiter: die mittelalterliche Heiligenlegende ist die Urform und Ahnherrin der modernen Starstory, in der eben dann an die Stelle des himmlischen Paradieses ein sehr irdisches Paradies tritt, auch dieses aber bereits vorgebildet in den engelsgleichen paradiesischen Manieren und Lebensläufen dieser „Heiligen“. Bereits der erste kirchlich kanonisierte Heilige, Bischof Ulrich von Augsburg, konnte nicht nach Vorlage der ersten, von einem Freunde verfaßten, aber sehr lebensechten und durchaus warmherzig kritischen Vita seine Heiligsprechung erlangen, sondern erst gemäß einer späteren Lebensbeschreibung, die sorgfältig alles ausmerzte, was menschlich und allzumenschlich erschien. Abbe Combes kommt von der Mittelalterforschung her. Das ist wichtig Es gehört zum Handwerkszeug jedes ernstzunehmenden Forschers der mittelalterlichen Geschichte, tagtäglich mit Fälschungen, Verfälschungen und fast zahllosen Abstufungen der Fälschung in der Verunechtung und „Bearbeitung“ mittelalterlicher Urkunden und anderer Texte zu tun zu haben. Die Motive im Mittelalter selbst waren sehr verschieden. Sehr oft fälschten zum Beispiel Klöster Urkunden, weil sie keine anderen Möglichkeiten sahen, echte und legitime Rechtsansprüche durchzusetzen als eben durch die Vorlage „guter, alter“ Urkunden. Der platonische Glaube, daß alles Neue gefährlich, ja böse sei, weil es als ein Abfall, eine Korruptron von der „einen“ „reinen“ Lehre erachtet werden müsse, spielt dann eine besonders große Rolle überall dort mit, wo eben geschichtsmächtig ein Neues in Erscheinung tritt. Em neues

Leben, das eine neue Botschaft zu verkünden hat. Der Neuerer ist der Ketzer; und „Neuerungen“ sind eben, als Neuerungen, Ketzereien ...

Hinzukommt nun früh die Angst der Massen: der Massen „frommer Seelen“, die durchaus sich selbst befriedigen und befriedigen wollen, mdem „ihre“ Heiligen genau ihren Bedürfnissen, ihren Vorstellungen von Heiligkeit entsprechen müssen. An diesen Wunsch, an diesen Druck der Massen haben sich leider nur allzu viele Autoren von Heiligenleben gehalten. Der Heilige und die Heilige haben dieselben Versuchungen, dieselben Tugenden, sie sehen alle gleich aus: engelsfromm, geduldig, frei von allen Menschlichkeiten; sie sagen dasselbe, denn sie sind Sterne: gleiche Sterne am ewig gleichen Himmel, Firmament, das sich nie ändert. Jede Aenderung ist böse, ist vom Teufel ..

Mit der Unbefangenheit des Forschers, des Me-diävalisten, ging nun Abbe Combes daran, sorglich — er mußte ja auf tausend Schwierigkeiten Rücksicht nehmen, im Karmel von Lisieux und in der heutigen Welt religiöser Empfindsamkeiten — Schicht für Schicht abzutragen von dem Therese-Bild, wie es zunächst einmal der Heilshunger und Gleichschaltungswille der Massen sich geformt hatte.

Nun aber begann erst die noch heiklere, noch delikatere Aufgabe: Therese aus den Klammern der Theologen zu befreien. Geben wir diesem hervorragenden Theologen, Combes selbst, das Wort. Sehr bald mußte er in seinen Arbeiten über Therese von Lisieux bemerken: die größte und gefährlichste Gefahr der Gleichschaltung drohte nicht von den „kleinen Leuten“, sondern von den Theologen. „Die Theologen sind, schon definitionsgemäß, Leute, die eine Wahrheit besitzen.“ Der Theologe steht immer in der Versuchung, so zeigt nun Combes am

Fall Therese von Lisieux auf, die geschichtliche und persönliche Wirklichkeit gleichzuschalten, seinem System anzupassen; er korrigiert die Wirklichkeit auf sein System hin. Combes verlangt nun von den Theologen mehr Ehrfurcht vor Gottes Freiheit, „den bedingungslosen Respekt vor der souveränen Freiheit Gottes“. Die Theologen hatten nämlich darnach getrachtet, dieses „kleine Mädel“ aus der Normandie zurechtzurichten nach ihren theologischen Begriffen

— für.sie gab es, durfte es keine Umwälzung, keine Revolution iu der Theologie geben, also mußte Therese nur das gesagt, gelebt und gelitten haben, was den alten Traditionen entsprach. Ein Neues — ein weltumgreifendes Neues? Eine neue Theologie, eis neues vertieftes Verständnis Gottes und des Menschen — soll auf dem Totenbett dieses Mädchens gewachsen sein?

Wohl haben die letzten Pius-Päpste dieses Neue in und aus Therese anerkannt und die Neuheit ihrer Botschaft verkündet — noch aber wagte kaum jemand, dieses Neue auch konkret auszusprechen. Und, so , möchte ich hinzufügen, noch wird es geraume Zeit dauern, bis es gewagt werden darf, alle die notwendigen praktischen Konsequenzen aus Theresens neuer Botschaft für die Kirche, die Seel-sorge, die Mission, die Weltpolitik der Kirche zu ziehen. Das Scheitern der Arbeiterpriester, die sich ja mit ihrem Führer, Kardinal Suhard, auf Therese und ihre Lehre von der „Tischgemeinschaft mit allen Sündern“ beriefen, ist hier ein wertvoller Hinweis.

Das aber sind Dinge von morgen. Die dem Morgen anvertraut sind, der aus der Arbeit der heiligen Therese von Lisieux mitwächst. Hat sie nicht gesagt, daß sie, bis ans Ende unserer Tage, der irdischen Geschichte, ihren Himmel auf Erden verbringen will

— in Gemeinschaft mit allen Menschen? In der Kirche?

Was aber da an Entscheidungen für jeden einzelnen — Aufgaben und Gaben für seine persörrliche Lcbensgestaltung — heransteben, zeigt Andre Combes in seinem Werk „Die Heilige des Atomzeitalters“ aut

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