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Geschichte einer posthumen Karriere

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Eine jung Verstorbene ohne theologische Bildung steht in einer Reihe mit Augustinus und Thomas von Aquin: Wie die Ordensfrau Therese nach ihrem Tod das Christentum neu prägte.

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Eine jung Verstorbene ohne theologische Bildung steht in einer Reihe mit Augustinus und Thomas von Aquin: Wie die Ordensfrau Therese nach ihrem Tod das Christentum neu prägte.

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Am 19. Oktober wird Papst Johannes Paul II. die heilige Therese von Lisieux zur Kirchenlehrerin erheben. Gerade 100 Jahre nach ihrem Tod hat die einzigartige posthume Karriere der mit 24 Jahren verstorbenen Karmelitin damit einen weiteren Höhepunkt erreicht. Doch wie kam es dazu, daß eine einfache Ordensfrau ohne jegliche theologische Bildung nun in einer Beihe mit Persönlichkeiten wie Augustinus, Thomas von Aquin oder Bernhard von Clairvaux steht?

„Was wird unsere Priorin über Therese in das Totenbuch schreiben?” fragte eine Mitschwester im Karmel kurz vor Thereses Tod. „Sie trat bei uns ein, lebte und starb. Mehr ist wirklich nicht zu sagen.” Tatsächlich konnte damals niemand Thereses zukünftige Bedeutung ahnen. Sie hatte ein unspektakuläres Leben geführt, zuerst hinter den Mauern des elterlichen Anwesens, dann hinter den Mauern des Karmel. Ihre Gedanken hatte sie in einigen Briefen, vor allem aber ihren autobiographischen Texten festgehalten, die aber zu ihren Lebzeiten niemand kannte.

Als absehbar war, daß Therese bald sterben würde, gab ihr ihre Schwester Pauline, die damals Priorin im Karmel von Lisieux war, den Auftrag, ihre Kindheitserinnerungen niederzuschreiben. _

'Therese hatte ihre drei mit ihr im Kloster lebenden Schwestern immer wieder mit Erzählungen aus der gemeinsamen Kindheit unterhalten, und diese sollte sie nun, so der Wunsch Paulines, schriftlich festhalten. Welch geistige 'Tiefe die Schriften dann haben sollten, ahnte sie nicht.

Als 'Therese selbst nicht mehr schreiben konnte, zeichneten ihre drei Schwestern beinahe jeden Satz, den sie aussprach, auf. Für die 'Todkranke war es sicher nicht angenehm, wenn ihre Schwestern nur noch mit Bleistift und Notizzettel bei ihr auftauchten, doch sind diese „letzten Gespräche” eine wertvolle Quelle für die letzten I ebensmonate Thereses.

Im Karmel war es üblich, verstorbene Mitschwestern in einem Bund-brief zu würdigen. Im Kall von 'Therese entschloß man sich aber zu einem recht außergewöhnlichen Schritt: Anstatt dieses Briefes wurden, finanziert von einem reichen Onkel Thereses, ihre autobiographischen Schriften gedruckt und verschickt.

Allerdings hatten die Schwestern 'Thereses Text stark redigiert. Ein Beispiel: Sie selbst hatte geschrieben, sie sei als Kind so jähzornig gewesen, daß sie sich am Boden wälzte, wenn etwas nicht nach ihrem Willen ging. Die Schwestern ließen diese Stelle einfach weg...

Das Bild, das so von Therese vermittelt wurde, entsprach nicht ganz der Bealität. Sie erschien als engelsgleiches Kind, als Muster einer Ordensfrau, als vorbildliche Heilige - alles in allem ein recht liebliches Bild, zu dem nicht nur die kitschige Sprache des ausgehenden 19. Jahrhunderts, sondern auch die retuschierten Potos und Gemälde ihrer Schwester Celine beitrugen. Doch offensichtlich traf dieses Bild genau den Nerv der Menschen, denn die Schriften, die unter dem 'Titel „Geschichte einer Seele” veröffentlicht wurden, wurden ein Bestseller. 1900 waren in Krankreich schon 6.000 Exemplare des Buchs verkauft. 1905 gab es bereits Übersetzungen in Englisch, Polnisch, Italienisch, Holländisch, Deutsch, Portugiesisch, Spanisch, Japanisch und Russisch. Von vielen Gläubigen wurde sie lange vor ihrer offiziellen Heiligsprechung verehrt. Der V atikan reagierte rasch und sprach Therese 1923 selig und 1925 hei-

In Lisieux war man über diese Verehrung der verstorbenen Karmelitin nicht unglücklich, zumal sich auch die Zahl der Pilger erhöhte und das Städtchen bald zum zweitgrößten Wallfahrtsort Krankreichs nach Lourdes aufstieg. Um dem dauernd steigenden Interesse an der Heiligen gerecht zu werden, wurden 1927 Teile der „letzten Gespräche” und 1947 eine Auswahl der Briefe Thereses veröffentlicht. 1927 wurde Therese zur Patronin der Mission ernannt. Das mag verwundern, doch muß man es im Zusammenhang mit ihrem außerordentlichen Sendungsbewußtsein und ihrer Überzeugung, durch das Gebet Menschenseelen retten zu können, sehen. Eine entscheidend neue Sichtweise auf Therese wurde in den fünfziger Jahren möglich.

Ein „normales” Leben

Nach dem Tod ihrer Schwestern konnten nun die Schriften und Kotös der Heiligen unretuschiert veröffentlicht werden. Da wurde - hinter der kitschigen und lieblichen Kassade -'Thereses „ganz normales Leben” deutlich: Etwa ihre psychische Krise nach dem frühen Tod der Mutter und dem Eintritt ihrer beiden älteren Schwestern in den Karmel. Oder ihre schweren Skrupel nach Exerzitien, in denen der Priester von Gott als strengem, strafendem Bichter gesprochen hatte. Oder ihre Zweifel an ihrer Ordensberufung am 'Tag vor der ewigen

Profeß. Oder ihre großen Glaubenszweifel während ihrer 'Todeskrankheit.

Nun wurde auch deutlich, welche revolutionären Gedanken sie - lange bevor sie in der katholischen Kirche offiziell ausgesprochen wurden - gedacht hatte: Etwa ihre Überzeugung, daß Gott kein strafender Bichter, sondern ein gerechter und liebender Vater ist, vor dem man keine frommen Höchstleistungen vorweisen muß - so wie er im Evangelium beschrieben wird. Denn Therese las nicht die übliche fromme Erbauungsliteratur, sondern neben den Schriften der Mystiker Thomas von Kempen und Johannes vom Kreuz vor allem die Bibel.

Am bekanntesten ist ihre sogenannte „Lehre vom kleinen Weg”: „Es sind die kleinsten, aus Liebe getanen Handlungen, die Gottes Herz gewinnen”, schrieb Therese etwa an ihre Schwester Leonie. Bei den einfachen Gläubigen stieß diese Ijehre auf große Gegenliebe, war es doch endlich ein Weg, der für jeden gangbar war. Bei den Gebildeten, besonders bei den Theologen, verstellte diese Lehre vom „Kleinsein”, vom „Kindsein vor Gott” aber die Sicht auf die wahre theologische Bedeutung Thereses. Doch ihre Anhänger waren davon so- überzeugt, daß sie bereits 1932 erste Bemühungen starteten, ihre Ernennung zur Kirchenlehrerin zu erwirken - eine Ehre, die jenen zuteil wird, die „einen wesentlichen geistlichen und theologischen Beitrag für die katholische Lehre geleistet haben”. Ein Jesuit aus Krankreich erstellte eine theologische Studie und eine Ursulinen-Schwester aus Kanada gewann unzählige Bischöfe aus aller Welt zur Unterstützung. Eine schriftliche Anregung wurde nach Bom geschickt, doch Papst Pius XI. lehnte ab, da Therese eine Krau war.

Kirchenlehrerin Nr. 3

Erst in den siebziger Jahren wurden mit Katharina von Siena und 'Teresa von Avila zwei Krauen zu Kirchenlehrerinnen ernannt. Bei 'Therese von Lisieux sollte es noch zwei Jahrzehnte länger dauern. 1991 wandten sich das Generalkapitel der Unbeschuhten Karmeliten und die französische Bischofskonferenz mit der Bitte an den Vatikan, den 1932 eingereichten Vorschlag wieder aufzugreifen. Zahlreiche Bischofskonferenzen aus aller Welt unterstützten den Vorschlag. Zu den engagiertesten Proponenten zählten der brasilianische Kardinal Lucas Moreira Neves und der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn. Im von Schönborn redigierten Weltkatechismus finden sich mehrere Zitate aus den Texten Thereses.

Ursprünglich war die Erhebung 'Thereses zur Kirchenlehrerin schon bei den Weltjugendtagen in Paris im August geplant. Doch dann wurde umdisponiert, und Papst Johannes Paul II. kündigte dort 'Thereses Erhebung zur 3. Kirchenlehrerin (neben 30 Kirchenlehrern) für den Weltmissionssonntag, den 19. Oktober, an. Die Proponenten dieser Ehrung, wie der Weihbischof von Lisieux, Guy Gaucher, hoffen, daß 'Therese damit noch größere Beachtung finden wird: „Denn wir haben einen dringenden Bedarf nach einer im Evangelium wahrhaft begründeten Spiritualität, die jedermann zugänglich ist. Die geistige Bevolution, die Therese in unser Jahrhundert gebracht hat, ist auf allen Gebieten der Kirche gegenwärtig, doch hat sie noch nicht überall ihre Krüchte hervorgebracht. Es ist notwendig, sie ernstzunehmen.”

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