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Diesseits und jenseits der Grenze

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Die einmalige Aufführung des großen französischen Films vom Leben und Sterben der heiligen Therese vom Kinde Jesu, „Proces au V a 11 c a n", hinterließ, offen gesagt, im Vorjahr beim Publikum der Internationalen Festwoche des religiösen Films eine unverkennbare Verlegenheit. Die eine, äußere, ihrer Ursachen, die Vorführung des schwierigen Films in der Originalsprache, fällt nunmehr, da der Film unter dem Titel „Geschichte einer Seel e" in einer behutsamen und delikaten deutschen Sprachfassung Marsfilm, Berlin: Georg Rothkegel in das Wiener Programm geht vorerst: Künstlerhaus, ab 3. August, weg, womit der kühne, kultivierte Aufriß des Films sichtbar und sein Inhalt weithin verständlich wird. Die kirchliche Beratung durch Abbe Andre Combes, die allen Versuchungen zu „Sakraleffekten" tapfer trotzende Regie Andre Haguets und das beseelte Spiel der Darsteller, voran Valentine Tessiers in der Rolle der Priorin Mutter Maria Gonzaga und France Descauts als heilige Therese, ergeben eine starke, in manchem ‘so der Todesszene ergreifende Wirkung. Ja, die

Szene der frühen Vision des Kindes führt weit über den Bernadette- und die beiden Fatima- Filme hinaus: ruhig wandert die Kamera über die lediglich durch wechselnde Lichter „bewegte" Muttergottesstatue, und nur das Gesicht des Kindes läßt ganz von ferne die Schauer des Unfaßbaren ahnen — nicht sehen!

Die zweite, tiefer gelegene Schwierigkeit freilich ist unbehebbar. Das Leben der kleinen großen Karmelitin verlief ohne heftigere äußere Einschnitte, mindestens ohne solche, die dem Durchschnittskatholiken oder gar dem Andersgläubigen die ganz außerordentliche Auszeichnung verständlich machen könnten, die die Kirche gerade der Heiligen von Lisieux aus wohlerwogenen Gründen heute widerfahren läßt. Dies Letztere aber bleibt dem Film auch die Legion großartigster Jeanne-d’Arc-Filme mußten hier stehen-, steckenbleiben!, ja, jedem Film letzten Endes verschlossen. Der Film muß sich an den von Therese niemals ganz verwundenen Tod der Mutter, an die Bekehrung des Schafottanwärters Pranzini, an den Tod des so sehr geliebten, von Wahnsinn umnächteten Vaters, an Thereses demutvolle Unterwerfung unter die Stftnge der Priorin, an ihre gesundheitsmordende niedere Hausarbeit und an ihr grausiges Lungensiechtum halten. Er muß, er muß, er muß. Und er muß dabei Schritt für Schritt das Tiefere, das Besondere, das Unerhörte und Einmalige an der kleinen Heiligen, der unvorstellbaren kindlichen, Reinen und Ahnenden das Sehnen der Lebenden nach der Fernostmission, wo heute apokalyptische Entscheidungen toben, ist erst der Toten durch die Verleihung bedeutungsvollster Patronate erfüllt worden! opfern. Hier zieht sich der Film selbst, ohne es zu wollen, überdeutlich eine Grenze, die er nie wird überschreiten können, und wirft noch im großartigen, durchaus würdevollen Scheitern an seiner Aufgabe die Frage auf, ob wir es in den so tausendfältigen durchaus möglichen Kategorien des religiösen Filmes nicht doch beim Darstellen des Wahrnehmbaren bewenden lassen und im Schauer der letzten Geheimnisse ehrfürchtig verstummen sollten.

Dies aber bedeutete nicht weniger und nicht mehr, als so unstoffliche Stoffe wie d i e Heiligkeit der. Therese von Lisieux der Theologie und der Kunst, grundsätzlich aber nicht dem Film zu überlassen.

„Proces au Vatican" ist im Film, auf den Gipfelpunkten des Films, gerade noch möglich. Die in der Verdeutschung angekündigte Verheißung: Geschichte einer Seel e aber kann der Film nicht geben. Die Seele nicht. Die Seele nicht.

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