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Hundstage beim Fleischer

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Der Preis einer Ware, so lehrt es die Nationalökonomie, ist nicht identisch mit dem Wert. Vielmehr bestimmen Angebot und Nachfrage auf dem freien Markt, was die Ware kostet. Und der freie Markt gilt nach allen Erfahrungen mit staatlichen und sonstigen Eingriffen immer noch als das kleinere Übel. Eine anbetungswürdige Schutzgottheit aller Freiheiten ist er allerdings nicht.

Solch lehrhaftes Pathos memoriert der Konsument auf der Suche nach Brigitte Ederers EU-Spartausender im rauschhaften Gang durch die Sortimente der überquellenden Kaufkathedralen. Um die Vorteile herauszufinden und dementsprechend zu genießen ist kritisch-vergleichendes Verhalten vonnöten. Ein Taschen-Computer wäre sicher nützlich. Oder die Inanspruchnahme der neuen Preis-Agenturen, die gegen Provision den jeweils günstigsten Kauf vorschlagen. Das Malheur ist nur, daß diese Agenturen, da sie ja auf die Rentabilität ihrer Info-Apparate achten müssen, erst ab oder über 10.000 Schilling tätig werden. Welche Hausfrau kauft schon auf einmal um 10.000 Schilling ein? Bleibt also doch wieder die vielgelästerte Werbung und der Vergleich von Etiketten und Zetteln. Sage noch einer, Hausfrau sei kein anspruchsvoller Beruf - und ein einkaufender Gatte oder Hausmann sei nicht gefordert!

Unabhängig von der Jagd nach dem heißersehnten materiellen Vorteil läßt sich so ein Vorgang, der in romantischen Zeiten einst Einkaufsbummel hieß, aber auch zu zeitphilosophischen Studien verwenden und gewinnt erst dadurch einen besonderen Reiz.

Fleisch beispielsweise, im vegetarischen Trend zum exotischen Nahrungsmittel aus möglicherweise versteckter Tierquälerei stilisiert, gewährt derzeit überraschende Perspek -tiven. Unseren Lieblingen Hund und Katze gewähren wir ja noch ohne Gewissensbisse fleischliche Kost. Tiere müssen eben Tiere nähren. Bello läßt sich nicht auf Spinat oder Grießkoch umstellen.

Also, vom Fernsehen informiert und motiviert, zu den Gustostückerln in Dosen, die die lieben Vierbeiner so glücklich und leistungsfähig machen. Am besten den elektronischen Rechner zur Hand - und festgestellt, daß die Promenadenmischung mit Preisen von 70 bis 80 Schilling pro Kilogramm fürs Dosenfleisch durchzufüttern ist, die anspruchsvollere edle Rasse indes auch etwa „Hundesnacks” zu 246 Schilling pro Kilo zu verzehren geruht. Herrchen hat für das wertvolle Geschöpf ja auch bis zu 20.000 Schilling hingeblättert, da hätte sich schon die Preisagentur rentiert.

Die Suche nach der Ederer-Quote scheint da ziemlich aussichtslos. Doch das clevere Herrchen oder Frauchen, im Preisvergleich gewieft, läßt beschleunigten Schrittes die Tierfutterabteilung hinter sich und wendet sich der Abteilung für den menschlichen Fleischverkehr zu. Irgendwie müßte doch, was für den Menschen gut genug ist, auch noch für Hund und Katze reichen. Und, siehe da, ein Kilogramm Schweinsschnitzel um 65 Schilling, ein leckeres Henderl um 45

Schilling pro Kilo.

Da staunt der Zeitgeist-Philosoph auf seinem Einkaufsbummel. Die Ernährung eines Menschen - mit Fleisch - ist billiger als die eines Haustiers.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Ansicht mancher Zeitgenossen, die sich lieber Hunde als Kinder halten, zu relativieren. Andererseits: Wäre es ein Wunder, wenn die EU-geplagten Landwirte unter diesen Umständen ihr Vieh künftig lieber als Tierfutter verwerten? Geht sichs mit dem Preis nicht aus - macht der Bauer Tschap-py draus! Kann der Züchter nicht mehr schnaufen - Katzen würden Whiskas kaufen!

Puristen werden einwenden, daß eine solch einseitige Fleischbeschau noch dazu in den Hundstagen keine voreiligen sozialethischen Schlußfolgerungen zulasse. Im Zeitalter der Oral-History wende ich dagegen ein, daß gerade die konkreten Zustände am Ladentisch, beziehungsweise im Regal, tiefer in die Befindlichkeit einer Gesellschaft blicken lassen als jede akademische Spekulation. Meine Andacht zur Ehre des freien Marktes ist empfindlich gestört. Die Zukunft gehört dem vegetarischen Dackel.

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