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Indiens Frauen rufen malend die Götter an

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Wer mit offenen Augen in Indien unterwegs war, kennt sie, die Bilder auf indischen Hauswänden und auf der Erde, ob in entlegenen Dörfern oder direkt an den Touristenpfaden. Er hat vielleicht im Vorbeifahren bedauert, sie nicht fotografieren zu können. Sie sind allgegenwärtig. Aber sie wurden kaum je ernsthaft zur Kenntnis genommen, bis sich der Kunsthistoriker, Ethnologe und Fotograf Stephen B. Huyler mit voller Kraft der indischen Volkskunst zu widmen begann.

Indien ist in fast jeder Beziehung ein Subkontinent der Extreme. Die Palette seiner Kulturen reicht vom extremen Patriarchat bis hin zu matriarchalischen Systemen mit selbstbewußten Frauen, immerhin lebt jede sechste Frau in Indien. Doch bei aller Unterschiedlichkeit, ob die Frauen nun unterdrückt und hinter dem Schleier leben oder bestimmend am öffentlichen Leben teilnehmen, fast überall ist, wie wir sagen würden, die Ästhetisierung des Alltags ihre Sache.

Was uns als künstlerische Tätigkeit mit rein ästhetischen Absichten erscheint, hat in Indien allerdings meist einen religiösen Hintergrund. Huyler lernte in 23 Jahren, in denen er jährlich nach Indien reiste, die Volkskunst aller Regionen des Subkontinents kennen und verstand es, ein Vertrauensverhältnis zu den Frauen aufzubauen, wodurch seine Arbeit nicht als Belästigung empfunden wurde. Sein Buch „Die Bilder Indiens", dessen deutsche Ausgabe in dem auf solche Themen spezialisierten Münchner Verlag Frederking & Thaler erschien, enthält eine Auswahl aus 30.000 Aufnahmen, wobei sich der Autor im Interesse einer klaren Linie auf Dörfer in sieben der indischen Staaten beschränkte.

Viele Formen werden offenbar seit Generationen tradiert - daß es keinerlei fortlaufende Dokumentationen gibt, beweist sträfliche Gleichgültigkeit gegenüber dieser Kunst. So erklärte eine Bauersfrau in Rajasthan dem Autor, ihr Mandala erbitte Segen für die Heirat ihrer Tochter, und um zu wirken, müsse es sehr genau gezeichnet werden. Die Zwischenräume hingegen könne sie ausfüllen, wie sie wolle, die Verzierungen seien ihre Sache.

Vieles geschieht freilich auch aus rein ästhetischen Beweggründen. So wurden etwa die Häuser des Brahma-nenviertels von Jodhpur noch vor 30 Jahren alljährlich weiß gestrichen -bis einer Frau etwas zuviel Blau in die weiße Farbe geriet. Das Ergebis gefiel offenbar nicht nur ihr, sie nahm im nächsten Jahr noch mehr Blau und schließlich ging das ganze Viertel dazu über, die Häuser statt weiß nur blau zu streichen.

Manche Dörfer versehen ihre Hau ser alljährlich aufs neue mit tradierter i strengen geometrischen Mustern, an dere bevorzugen weiche, runda fließende Formen. In manchen Re gionen, so im Westen von Gujarat, scheint die Isolation der Dorfbewoh ner in der Regenzeit die Herausbildung lokale:-Muster und Stile geför dert zu haben. Währenc. die Bemalung der Hause: • im allgemeinen einma jährlich erneuert wird, werden Mandalas unc. andere Bodenverzierun gen in vielen Gegender i täglich neu angefertigt. Dabei sammeln die Frau en so viel Erfahrung, dali selbst komplizierte Struk turen in einer Stunde fer tig sind.

Möglicherweise ver dankt diese Kunst gerade ihrer Kurzlebigkeit, daf es sie noch gibt: So geh; das Know-how nicht verloren und die ständig erneuerten Darstellunger werden nie museal. Die! Techniken sind so viel fältig wie die Formen Wo kein Mangel an Bei:: herrscht, gibt Beispulver eine gute weiße Farbe ab Wo Wasser und damit Beis knapp ist, wie in größten Teil von Baja sthan, wird ein Lapper mit mineralischem Weif getränkt und langsam ausgedrückt, sodaß eir weißes Rinnsal die Finger entlang aul den Boden träufelt.

Das Buch von Stephen Huyler ist nicht nur ein ästhetischer Hochge nuß, es bietet auch einen umfassen den Überblick über Volkskunst Volksfrömmigkeit und Gebräuche ir den Dörfern der sieben indischer Staaten, deren Frauenkunst darin be handelt wird.

DIB BILDER INDIENS

Die Kunst der Frauen im Land der Götter. Von Stephen P. Huyler. Verlag Frederking & Thaler, München 199S. 204 Seiten, 170 Farbfotos, Ln., öS 1.155,-

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