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Ironie und Diminutiv

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„Und die Größe ist gefährlich,

Und der Ruhm ein leeres Spiel;

Was er gibt sind nichtge Schatten,

Was er nimmt, es ist so viel!“ Franz Grillparzer, „Der Traum ein Leben“

In seinem Essay „Das Lachen“ sagt Henri Bergson, daß bei Nationen wie beim einzelnen Menschen das Komische in dem Augenblick in Erscheinung tritt, in dem sie sich, von der Sorge um die Selbsterhaltung befreit, als Kunstwerke zu sehen beginnen. Für Österreich kam dieser Augenblick an der Schwelle zum 18. Jahrhundert. Die Monarchie war nach Siegen über Türken und Franzosen zur europäischen Großmacht aufgestiegen, und ein neues Lebensgefühl erfüllte die Österreicher. Es fand seinen Ausdruck im Aufblühen der Musik, in den Prunkbauten des Barocks und in den Worten und Werken von Abraham a Santa Clara und Joseph Stranitzky, den barok-ken Ahnherren des österreichischen Humors.

Es ist der Humor eines Volkes, das nicht lustig.ist, sich aber über alles und vor allem über sich selbst lustig macht. Der Österreicher ist nicht heiter, aber er nimmt auch nicht allzuviel ernst, denn er weiß um die Vergänglichkeit alles Irdischen, und deshalb singt er, wenn er am fröhlichsten ist, vom Sterben. Größe erscheint ihm gefährlich, Ruhm nichtig, Glück trügerisch und hohler Prunk — hierzulande schlicht Pflanz genannt,— ist ihm unausstehlich. Darum verkleinert er, was ihm zu groß erscheint und legt zwischen sich und die Größe gebühren-den Abstand. Dazu dient ihm der Humor, der deshalb in Österreich nie Selbstzweck, sondern immer nur Mittel zum Zweck ist, und dessen innerstes Wesen Ironie und Diminutiv sind. Die Ironie schafft die nötige Distanz zu den Dingen, und der Diminutiv führt sie auf das richtige Maß zurück. Das gibt dem österreichischen Humor etwas Hintergründiges, ja manchmal geradezu Abgründiges; das macht ihn leise und unaufdringlich, ohne schallende Heiterkeit, eher voll verhaltener Traurigkeit, mehr zum Lächeln als zum Lachen anregend und nicht immer leicht zu verstehen. Es ist halt Humor eines schwierigen Volkes. Als Erzherzog Karl nach der Schlacht von Aspern gefragt wurde, ob er tatsächlich mit der Fahne in der Hand gegen den Feind gestürmt sei, meinte er: „Schau'n S' mich schwaches Manderl an, i hätt' die schwere Fahn' ja gar net daneben können. Am Zipfel hab i s' halt der-packt!“

Jahrhundertelang hat dieser Humor des Verkleinerns und Abstandhaltens den Österreichern geholfen, Glanz und Größe ihres Reiches zu ertragen. Bismarck hat seine Umgebung noch gewarnt: „Die Österreicher machen sich nuir so klein, damit man nicht sieht, wie groß sie sind.“ Bald darauf warf der österreichische Historiker Heinrich Friedjung seinen Landsleuten bereits vor, sie litten an Kleinheitswahn. Was nämlich in Zeiten der Macht eine liebenswerte Eigenschaft gewesen war, wandelte sich, sobald die Größe zu schwinden begann, -zum Übel. Die Sucht zu verkleinern ging bis zur Selbstaufgabe, und die Ironie der Distanzierung schlug in den Zynismus der Verneinung um. „Es ist österreichisch“, schrieb Hermann Bahr kurz vor dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches, „daß das Große, wenn es einmal geschieht, unter uns nur inkognito geduldet wird.“ Nach dem Untergang der großen Monarchie nahmen die Österreicher ihre kleine Republik zwar so ernst, daß sie in Straßenkämpfen und Bürgerkrieg um diesen neuen Staat rangen, doch ihren Ernst nahmen sie nie ernst. „Revolution in Wien“, lautete die ironische Dirninutivformel der zwanziger und. dreißiger Jahre,

„ist dann, wenn die Ring-Straßenbahn über die Zweier-Linie umgeleitet werden muß.“ Heute leben die Österreicher endlich zufrieden mit sich und ihrem Schicksal in ihrer kleinen Welt. Doch Größe ist ihnen nach wie vor nicht fremd; sie sind Erben einer großen Vergangenheit, umgeben von den großen Mächten und umwittert von großen Ereignissen. Weil ihnen aber Größe wie eh und je eher gefährlich erscheint, legen sie zwischen sich und die Vergangenheit, die Umwelt und die Geschehnisse den cor-don sanitaire ihres abstandhaltenden, verkleinernden Humors: Die Ironie schafft die nötige Distanz, und der Dimunutiv führt alles auf das rechte Maß zurück. Es gibt ja so etwas wie eine geheime und verschworene Gemeinschaft der Geschichtenerzähler. Diese Gemeinschaft, die keine Aufnahmebedingungen und Statuten kennt, ist völlig demokratisch und höchst exklusiv zugleich. Jeder, ohne Unterschied des Ranges, Standes und Alters, kann ihr angehören, vorausgesetzt allerdings, daß er nicht nur ein guter Erzähler, sondern auch ein guter Zuhörer ist. Was die Angehörigen dieser Gemeinschaft, über die Freude an der gut erzählten Geschichte und der treffend formulierten Pointe hinaus, verbindet, ist der Glaube an den Wahrheitsgehalt eines Wortes von Novalis: „Geschichte ist eine große Anekdote.“ Oder wie es der Österreicher Anton Kuh drastischer und despektierlicher ausgedrückt hat: „Wie sich der Kleine Moritz die Weltgeschichte vorstellt — genauso ist sie.“

Aus „Und die Größe Ist gefährlich“ von Gottfried Heindl, Paul-Neff-Verlag.

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