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Moritz, der Schwierige

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„UND DIE GRÖSSE IST GEFÄHRLICH.“ Anekdoten aus Österreich. Von Gattfried Hein dl. Pattt-Neff^Verlag. 320 Seiten,. 120 Illustrationen. S 125.—.

Eine durch und durch vergnügliche Geschichte Österreichs vom Barock bis zum End* der großen Koalition vor wenigen Jahren ist Gottfried Heindls neueste Anekdotensammlung. Noch stärker als in seinem ersten Buch „Geschichten von gestern — Geschichte von heute“, das sich lange Zeit auf der Bestsellerliste hielt, gelingt es dem Autor hier, aus Zitaten und kleinen Ereignissen die Bilder ganzer Epochen erstehen zu lassen.

Gleichzeitig ist das Buch so etwas wie die Geschichte des spezifisch österreichischen Humors, des Humors eines Volkes, das nicht lustig ist, sich aber über alles und vor allem über ich selbst lustig macht, dem „Größe gefährlich, Ruhm nichtig, Glück trügerisch und hohler Prunk — hierzulande schlicht Pflanz genannt — unausstehlich“ erscheinen. Heindl erzählt gekonnt die „wahrhaftigen Geschichten zur Geschichte eines schwierigen Volkes“, wie der Untertitel des Buches lautet. Es ist aber nicht nur ein schwieriges Volk, es hat auch einen schwierigen Humor, der nie Selbstzweck ist, sondern Ironie und Diminutiv: Die Ironie schafft die nötige Distanz zu den Dingen, der Diminutiv führt sie auf das richtige Maß zurück. So kommt dieser österreichische Humor in die Nähe des Tiefgründigen, ja Abgründigen, mehr zum Lächeln als zum Lachen anregend. Und weil Größe für suspekt gilt, ist es nach Hermann Bahr „österreichisch, daß das Große, wenn es einmal geschieht, unter uns nur inkognito geduldet wird.“

Wer kann diesen österreichischen Menschen verstehen, dessen Wunschtraum es ist, „als Kind Sängerknabe zu sein, nach dem Stimmwechsel Lipizzaner zu werden und anschließend als Hofrat in Pension zu gehen“? Dabei fehlt diesem Österreicher das Selbstvertrauen keineswegs. Als Raoul Aslan bei einem Empfang für Bühnenkünstler von einem jungen ausländischen Attache gefragt wurde, ob er auch vom Theater sei, blickte er in die Bunde und antwortete dann: „Die

anderen, die sind auch vom Theater!“ Der Österreicher ist ein Mensch, der vom Sterben singt, wenn er am fröhlichsten ist, der sich in seiner Lebenslust gerne verbrüdert und sich leicht verbrüdern kann, weil er sich von sich seitost abstrahiert, wie es Karl Kraus einmal einem unangenehmen Fragesteller gegenüber ausgedrückt hat: „Ich mische mich nicht in meine Privatangelegenheiten.“

„Und die Größe ist gefährlich“ von Gottfried Heindl ist ein Buch zum Schenken, wozu es auch exquisite Ausstattung und exklusives Format bestimmen. Ein Buch, das man gern hat, sobald man es zur Hand nimmt. Wer es liebt, mit Gewinn zu schmökern, kann sich dieses Buch selber schenken; er wird Novalis1 Wort bestätigt finden, daß Geschichte eine große Anekdote sei, oder wie es der Österreicher Anton Kuh drastischer und despektierlicher ausgedrückt hat: „Wie sich der kleine Moritz die Weltgeschichte vorstellt — genauso ist sie!“

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