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Lichtspielwesen der Gegenwart

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„Es war im Jahre 1485, da sandte der Teufel zwei Boten zu den Menschen, um Haß und Zwietracht unter sie zu säen.“ Und um ihre Herzen zu verwirren, sollten diese Boten ihnen die Liebe bringen, aber nicht die schöpferische Liebe, die zum Andern findet, sondern jene Leidenschaft, die zerstörend wirkt, weil sie im Grunde nur sich selber meint. So bedient sich denn Satan eines Menschenpaare*, das sich ihm verschrieben hat und darum den Weg, den jeder Mensch ja doch irgendwie gehen muß, nun bloß im Dienste der zerstörenden Mächte zu gehen vermag. Dies Paar der Zerstörung zieht an einen Fürstenhof, um dort das Werk des Satans zu verrichten. Durch dämonische Kunst: gelingt es ihnen, das Herz des Fürsten, seiner Tochter Anne und ihres Bräutigams zu verwirren. Aus dieser Verwirrung entsteht das Chaos, das dem Teufel dient: Der Fürst tötet seinen Schwiegersohn im Zweikampf und eilt zur Hölle, indem er in blinder Leidenschaft seine Burg verlassend, der Satansbotin auf den Spuren folgt.

Das versöhnende Gegenstück aber zu diesem dunkeln Hintergrund bildet die wahre Liebe, die zwischen Anne, der Tochter des Fürsten, und dem Satansboten erwächst. Denn während sein Gesang Anne bloß betören will, öffnet sich sein Herz, von ihrer Reinheit im Innerstes getroffen, dem Wunder wahrer Liebe. Damit aber wird er seiner Mission der Zerstörung im innersten untren. Das ruft Satan selbst auf den Plan,um die gefährdete „Ordnung der Dinge“ wieder herzustellen und durch Bestrafung des ungehorsamen Dieners den Einbruch der ihm feindlichen Macht echter Liebe auszuschalten. Ihre Kraft erweist sich aber stärker als Satans Macht und List. Da verwandelt denn der Teufel die beiden Liebenden zu Stein. Trotzdem aber bleibt er überwunden, denn unentwegt lebendig schlägt m den Versteinerten das Herz und ihre Liebe weiter. Als Satan diese seine letzte Niederlage gewahrt, schlägt er in ohnmächtiger Wut auf das versteinerte Paar der Liebe ein und verschwindet. Mit diesem Bilde schließt der Film.

Sein Autor mag wohl vermeint haben, damit den Triumpf der Liebe über alles Schicksal und selbst die Macht der Hölle dargestellt zu haben. Der Zuschauer aber verläßt den Film mit einem unwägbaren Gefühl der Leere, mit dem Gefühl, nicht ans Ziel gekommen zu sein. Dies scheint uns selbst umso befremdlicher, als der Film ohne Zweifel künstlerisch hochwertig ist und alle Vorzüge der französischen Spitzenproduktion aufweist: jenen Sinn für zarteste Wirkungen des Lichtes, wie er nur im Lande der Degas und Renoir zu finden istj' den unfehlbaren Takt französischen Formgefühls, der mit nachtwandlerischer Sicherheit den schmalen Weg des letzten Erlaubten zu gehen vermag. AU dies wird unterstützt von einer vollendeten Aufnahmetechnik und dem feinsten Shm für Bildwirkung, die das Unsagbare ahnen läßt. Der Film zeigt eine Fülle hoher Kunst, nicht zu vergessen die große schs*** spielerisdie Leistung der Darsteller.

Die künstlerische Kraft des Films ist so bezwingend, daß wir versucht sind, jenes Gefühl des Unbefriedigtseins selbst wie einen lästigen Spuk von uns zu weisen, und daß es uns im Augenblick schwer wird, den Grund für dieses Gefühl als im Sujet des Filmes gelegen zu erkennen. Dann erst werden wir gewahr, daß in jener Welt, in die wir eben blickten nur eine einzige Macht existiert, die Macht Satans. Er regiert in dieser Welt und es gibt keine Gnade, keine Liebe und keine Hilfe von oben, die sich als mächtig erwiese, ihm zu trotzen. Weil es da also keine Mächte gibt, die sich einander gegenüberstehen, deren Ringen wir Anteil nehmend verfolgen können; weil es ein ehr einseitiges Spiel ist, das der Teufel mit dem Menschen teibt, darum gelangt der Zuschauer nicht zu innerem Gleichgewicht und damit zu ästhetischer Entspannung. Denn bei näherer Betrachtung erweist sich auch der scheinbare Gegenpol zur Macht des Teufels, die Liebe zwischen Anne und seinem Boten, als unselbständig und als im Grunde selbst Satans Gesetz unterworfen; denn unter dem Zwange dieses Gesetzes entfaltet sich* eine Liebe, die für Anne Untreue und Sdiuld bedeutet. Doch nur einen kurzen Augenblick ist sie fähig, ihre Schuld za fühlen. Sie, die Reine, verliert unter dem Zwange des Gesetzes alles Gefühl der Schuld und jede Kraft, ja selbst den Willen, sich ihr zu widersetzen. So bleibt sie der Erlösung und dem Himmel verloren, auch wenn sie scheinbar nicht dem Teufel verfällt. Doch dieses „Weder-Noch“ ist keine Lösung, ist bloß ziellose Phantasie.

Damit erweist sich der künstlerisch so ausgezeichnete Film als geistiges . Kind unserer Zeit und es erweist sich an ihm von neuem, daß die Kunst nicht bloß ein ästhetisches, sondern auch ein moralisches Beginnen ist, weil eben unser ästhetisches Empfinden nur in Einheit mit dem uns angeborenen sittlichen Empfinden zur Lösung und innerer Befriedigung gelangen kann. Dem Autor' des Filmes ist es scheinbar nicht zu Bewußtsein gekommen, daß eine Welt, in der keine göttliche Macht, sondern nur Satan existiert, einen inneren Widerspruch bedeutet. Aus dieser Konzeption heraus gibt es* im Film weder Schuld noch Sühne; es gibt nur das eherne Gesetz des Satans und der Leidenschaft, dem wir so oder so unterworfen sind. Darum aber ermangelt dem Film auch die echte Tragik, die ja in der Freiheit wurzelt, darum auch fehlt das Glück, das m Sühne und Erlösung liegt.

So erweist sich der Film als ein Dokument der Krise unseres sittlichen Bewußtseins und ist darum von besonderem Interesse, weil hier an einem Kunstwerk von hohem Range ungewollt verdeutlicht wird, wie sich eine Weltanschauung, die nicht Gut noch Böse, nicht Gott noch Teufel, oder bloß den Teufel kennt, auch künstlerisch selbst ad absurdum führt.

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