Liebe, in Hass umgeschlagen

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"Love", der neueste Roman von Toni Morrison, ist nun auch auf Deutsch erhältlich.

Toni Morrison, Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 1993, bürgt für gesellschaftlich relevante Themen und äußerst komplex gestaltete Literatur: wer noch keines ihrer Werke gelesen hat, sollte das unbedingt nachholen, mit dem Roman "Menschenkind" (Originaltitel ungleich besser "Beloved") etwa, für den sie 1988 den Pulitzerpreis erhielt, oder mit "Paradies", ihrem letzten, 1999 erschienenen Roman, beide keine leichte Kost, aber die Lesemühen wert.

Splitter einer Geschichte

Jedem Seitenverschlingen verweigert sich auch ihr neuester Roman, in dem Morrison in gewohnt verwirrender Weise den Leser zunächst mit den Einzelteilen eines Puzzles konfrontiert: viele Andeutungen, Verweise auf noch Unbekanntes, Personen. Ahnung einer Unheilssituation. Erst nach vielen Rückblenden, weiteren Splittern und viel Geduld des Lesers beginnt eine Story durchzuscheinen, History. Immer geht es Morrison auch um Geschichte, um Unrecht, um in Aspik gegossene Erinnerungen, die aufgebrochen werden müssen, um "rememory", in den individuellen Storys immer auch um die Geschichte der Schwarzen in Amerika. Und - so auch hier - um nichts Geringeres als Liebe - und Hass.

"Liebe", "Love" so schlicht lautet ihr neuester Roman. Er beginnt geheimnisvoll, auch das ganz Morrison, mit einer Stimme, die das erste und das letzte Wort hat, immer wieder aufscheinen wird und wie ein antiker Chor Geschehnisse kommentieren wird, die Puzzleteile für den Leser ordnen und den Leser so auch leiten, verleiten wird. Und mit einem jungen Mädchen, das quasi aus dem Nichts auftaucht und sich auf ein Inserat hin um eine Stelle bewirbt, im Haus der Cosey-Frauen. Manchmal, so heißt es Spannung aufbauend schon zu Beginn, "hilft nur ein Übel, das von außen kommt".

Diese Cosey-Frauen haben sich nämlich nach dem Tod eines Mannes in Hass aneinander gekettet und belauern sich gegenseitig. Unklar ist, wer von beiden das in dem auf eine Speisekarte gekritzelten Testament erwähnte geliebte "Cosey-Kind" ist, dem Bill Cosey sein Vermögen vermachen wollte. Beide beziehen die Formulierung auf sich. Den Roman prägt also ein Toter, der Mann, nach dessen Rollen und zugeschriebener Bedeutung auch die Kapitel benannt sind: Bill Cosey, um dessen Liebe mehrere Frauen kämpfen.

Es braucht ein wenig Lesezeit, bis man herausgefunden hat, dass die beiden Frauen, die nun gemeinsam in diesem Haus leben und sich abgrundtief hassen, Heed, Coseys zweite Frau, die er als Elfjährige (!) geheiratet hat, und seine Enkeltochter Christine sind.

Coseys Hotel war einst ein durchaus nobler Ort für Schwarze im Süden Amerikas, am Meer, in der Einflugschneise von Hurrikans. Die exklusive Idylle ist nicht nur deswegen brüchig, sie bricht auseinander, als Cosey Heed, das Mädchen aus dem Armenviertel, heiratet. Einst die besten Freundinnen, werden aus den Mädchen, von denen das eine nun die Ehefrau des Großvaters des anderen ist, über Nacht die bittersten Feindinnen. Diese Feindschaft wird von Christines Mutter May noch geschürt. Heed, die nicht schreiben, nicht mit Messer und Gabel essen kann und die am Boden schläft, verkörpert den Rückschritt der schwarzen Rasse und ruft die Aggression der anderen Frauen hervor. "We could have been living our lives hand in hand ...", stellen Heed und Christine am Ende entsetzt fest: "Wir hätten unsere Leben Hand in Hand verbringen können..." Da liegt aber die eine schon im Sterben.

Geheimnisvolle L.

Das Mysteriöse ist ein Markenzeichen von Toni Morrison, die nicht nur Personen, die eine Situation schnell kippen lassen, aus dem Nichts auftauchen lässt, sondern auch Toten eine Stimme verleihen kann. Das Kürzel der geheimnisvollen L., der langjährigen Köchin in Coseys Hotel, kann man wohl auch als Liebe lesen. L. meldet sich immer wieder zu Wort, bezeichnet sich als ein stilles Wesen, denkt viel an früher, als das ernsthafte Kochen noch üblich war und nicht nur zu Weihnachten. Sie beobachtet die Vorgänge, das junge Mädchen im Haus, von außen, ist aber eigentlich schon gestorben. Sie hat mehr mit der Geschichte zu tun als auf den ersten Blick ersichtlich. Und dann ist da auch noch Celestial...

Morrisons Literatur - empfehlenswert sind die Poetik-Essays der Autorin "Playing in the Dark" - ist geprägt von Gegensätzen, wie Mann und Frau, Reich und Arm, Schwarz und Weiß, und kreist um Fragen nach dem Umgang mit individueller und kollektiver Vergangenheit und damit auch mit Schuld, wie auch hier: "Ein ganzer Berg Schuld wartet darauf, verteilt zu werden."

Mag das Thema keppelnder, sich aufs Unschönste bekämpfender Frauen, die ihrer Liebe zueinander im Weg stehen, auf den ersten Blick nicht spektakulär und vor allem viel individueller erscheinen als die Geschichte einer geflohenen Sklavin, die - um die Freiheit des eigenen Kindes zu retten - dasselbe selbst tötet (so in "Menschenkind") oder das Kippen einer religiösen Paradiesgemeinschaft in eine Hölle auf Erden (in "Paradies"): auch in "Liebe" finden sich die brisanten Morrisonschen Themen. Unter anderem problematisiert die afro-amerikanische Autorin hier den einseitigen, ihr Leben bestimmenden Bezug der Frauen auf einen Mann, der ihre Beziehungen überschattet und verunmöglicht, dem sie aber, wie sie am Ende erkennen, diesen Rang selbst gegeben haben, weit über seinen Tod hinaus.

Diese Geschichte spricht an, mögen auch die Charaktere nicht ganz so lebendig gezeichnet sein wie in den genannten Vorgängerromanen, die Konstruiertheit manchmal etwas zu künstlich wirken und die Poesie in der deutschen Übersetzung zu kurz kommen. Wem die mystische Ebene wenig plausibel erscheint, dem bleibt die Frage: Was gibt es Geheimnisvolleres als die Liebe? Fragen sind es, die Morrisons Schreiben prägen. Fragen über Fragen bewegen auch die Figuren ihres neuesten Romans. Und die Leser - bis zur letzten Seite, und darüber hinaus.

Liebe

Roman von Toni Morrison. Deutsch v. Thomas Piltz. Rowohlt, Reinbek 2004

280 Seiten, geb., e 20,50

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