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Liebesleben auf Erden

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Im Auftrag des Intergalaktischen Instituts für Verhaltensforschung, Sektion Kleine Planeten, verfolge ich seit zehn Erdenjahren das sogenannte „Fernsehen”, eine Art Bild- und Wortchronik des irdischen Lebens. Möglicherweise haben die Menschen (so nennen sich die Erdbewohner selbst) noch andere Informationsquellen, deren Impulse wir nicht abfangen konnten; diese können jedoch nicht von großer Bedeutung sein, weil sie wegen der Allgegenwart des Fernsehens kaum eine Chance haben, von den Erdbewohnern wahrgenommen zu werden, schon aus zeitlichen Gründen.

Zumal die Menschen einige Zeit dem Fernsehen entziehen müssen, um sich „Geld” zu verschaffen, ein Mittel, für das sie Nahrang, Kleidung, Fortbewegungsmaschinen und alles andere bekommen, was sie brauchen. Nach statistischer Auswertung des gesamten Fernsehmaterials konnte ich die wichtigsten Geldbeschaffungsarten feststellen: Mord, Baub, Diebstahl, Handel mit Betäubungsmitteln, Immobilienspekulationen, bei Weibchen auch verkäufliche Liebe.

Das Liebesleben, oder, wissenschaftlicher ausgedrückt, das Sexleben, ist die zweitwichigste Beschäftigung der Menschen, gleich nach dem Morden. Die Ausrottung ihrer Artgenossen, einzeln und in größeren Mengen, ist, wie das Fernsehen bezeugt, die Hauptaufgabe der Menschen, was verständlich ist, weil es von ihnen auf dem Planeten zu viele gibt. Sie haben dafür ausgeklügelte Vorgänge und Techniken entwickelt. Dies ist aber nicht das Thema meiner Forschung.

Die Erwähnung des Mordens war jedoch unerläßlich, da zwischen den beiden Haupttätigkeiten der Menschen zahlreiche Verbindungen bestehen. Angefangen mit kleinen sprachlichen Spuren, wie „Ich habe eine Mordslust auf sie” oder „Ich bin in ihn sterblich verliebt” bis zum Eifersuchtsmord, beziehungsweise Selbstmord aus enttäuschter Liebe - also bis zur liebesbedingten Tötung.

Dieser Zweck wird heute von den Erdbewohnern verdrängt, oft sogar bewußt und aktiv eliminiert, was angesichts der schon erwähnten Überzahl der Menschen richtig ist. Die Veränderung des ursprünglichen Sinnes des Sexlebens geschah im Zuge der sogenannten „Zivilisation”, das heißt der Entwicklung der Technik und der Kunst, für alle eigenen Handlungen eine passende Scheinbegründung zu erfinden.

Trotz des zivilisatorischen Fortschritts werden noch immer genug Kinder geboren. Davon zeugen die Hinweise auf Kindernahrung, Puder, Windeln und so weiter, die das Fernsehen mehrmals am Tage bringt. Nicht weniger häufig zeigt es Kinder, die Hunger leiden und auch daran sterben, weil die Kunde von der in Fülle vorhandenen köstlichen Babynahrung wohl ihre Eltern nicht erreichte.

Zum Kapitel Kinder: Es ist mir noch nicht ganz klar geworden, welche Rolle im Liebesleben der Erdbewohner vierbeinige Kinder spielen, die sie „Hunde” und „Katzen” nennen, und wie sie zu den Menschen kamen. Diese pflegen und hegen sie jedoch sehr sorgfältig, sie bieten ihnen auch köstliche Nahrang, die wohl nicht allen ihren eigenen Artgenossen zugänglich ist.

Ich habe noch nicht genau herausgefunden, wie die Erdbewohner ihre Liebespartner gewinnen, obwohl sich die meisten Bilder im Fernsehen um dieses Problem drehen. Aus manchen langen Bilderfolgen kann man ersehen, daß sie um ein Weibchen oder um ein Männchen auch jahrelang kämpfen müssen, wobei oft Geld, List und sogar Mord im Spiel sind. Andere - kurze, aber sehr oft wiederholte -Beiträge zeigen, daß es reicht, attraktiven Partnern ein Fläschchen Duftwasser, ein Fertiggericht von geringem Wert, ein Waschmittel oder eine kleine Süßigkeit zu präsentieren, und sie strahlen sofort Sexbereitschaft aus.

Ich neige zu der Hypothese, daß der leichtere Weg mehr verbreitet ist, weil die Paarungsbereitschaft unter den Erdbewohnern allgemein sehr groß zu sein scheint.

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