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„Nicht nur Zahlen und Figuren..

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Paris ist zum erstenmal seit „Keiner kommt zu kurz” wieder Schauplatz eines Romans von Bruce Marshall. Aber es ist nicht das Paris des Abbe Gaston, des Vaters der Armen und Verfolgten, dessen urchristliche Nächstenliebe und Gläubigkeit in die dunkle Stätte seines Wirkens so viel inneren Glanz und Wärme bringt. „Auf Heller und Pfennig” spiegelt ein ganz anderes Milieu. In der Zeit des Stavisky-Skandals, der zu Beginn des Jahres 1934 auffliegt, und die wirtschaftliche und politische Krise Frankreichs unübersehbar in den Mittelpunkt rückt, soll eine englische Treuhandgesellschaft eine Bankunterschlagung in Paris aufdecken. Es läge nun nahe, bei einem solchen Thema das kriminalistische Moment und die detektivischen Möglichkeiten in den Mittelpunkt zu rücken. Der Autor packt es jedoch ganz anders an. Sein Hauptinteresse gilt — wie könnte es bei Bruce Marshall anders sein — den Menschen, in deren Kreis er uns führt, ihrem beruflichen Wirken und ihrem privaten Dasein. Wir wer den mit den kleinen und gehobeneren französischen Bankangestellten konfrontiert und vor allem mit den in Paris lebenden englischen Wirtschaftsprüfern, einer recht trockenen Gesellschaft. „Sogar die Tüchtigen, wie Morven, scheinen zur Erlernung ihres Berufs so viel geistige Energien verbraucht zu haben, c ß kein bißchen Grütze für etwas anderes meljr übriggeblieben war”, heißt es einmal. Ehrgeizig und pflichtbewußt in ihrer Arbeit, trotz der Erbitterung über die schlechte Bezahlung — die Gelder stecken die „hohen Tiere ein! — sehen wir sie emsig bei der Lösung ihrer Aufgabe. Jeder findet eine andere „Kette von Unausweichlichkeiten”, die auf die Spur der Unterschlagung zu führen scheint und schließlich wieder in sich zusammenfällt. Marshall treibt da ein ergötzliches Spiel mit Irreführungen, Verwechslungen, falschen Schlüssen und erreicht durch die fortwährende Unterbrechung eines Fadens und Wiederfortführung eines anderen eine so intensive Spannung, wie man sie bei der nüchternen Materie, die er zudem mit finanztechnischen Details spickt, nicht für möglich halten möchte.

Nicht weniger aufregend ist die Schilderung der privaten Existenz dieser Treuhänder, ihrer Ehefrauen und Freundinnen. Hier glänzen sehr pariserische Lichter auf, etwa in den Wirtshaus- und Barszenen, bei der köstlichen Schilderung der Familienpension „Mon Repos”; und gab das „Haus des Heute ohne Morgen” — ein Treffpunkt leichtfertiger Lebemänner mit mondänen Kurtisanen — „keine Dirnen”, heißt es ausdrücklich! Das alles sind unvergleichliche Möglichkeiten für Marshall, seine übermütige Ironie spielen zu lassen. Ein wenig grimmiger wird diese Spottlust, wenn er das einseitige Engagement verschiedener Wirtschaftsprüfer gegenüber ihrem Beruf schildert, dem ihre mitmenschlichen Kontakte zum Opfer fallen. Es gibt da unwahrscheinliche Episoden! Morven, einer der Pariser Teilhaber der englischen Treuhandgesellschaft, verlangt von seiner kunstbeflissenen Frau eine Haushaltsgeldaufstellung in Goldwährung und treibt sie mit solchem Ansinnen schließlich in Abenteuer, die ihrem Wesen gar nicht entsprechen. Dann ist da der junge Wirtschaftsprüfer Syme, in dem Marshall wohl ein Stück eigener Vergangenheit heraufbeschwört, war er doch selbst vierzehn Jahre Wirtschaftsprüfer in Paris. Wenn Marshall auch Symes literarische und sonstige Eskapaden mit gutmütigem Spott bedenkt, gilt ihm doch seine unverkennbare Zuneigung. Er hat ein Herz, und seine verschiedenen „entrepoulettes” münden schließlich in die echte große Liebe.

In zwei Gestalten endlich rückt die andere, die metaphysische Welt in den Blickpunkt, die hier mehr, als wir es sonst bei Marshall finden, von der sehr konkreten Auseinandersetzung mit dem praktischen Leben und den irdischen Verstrickungen in den Hintergrund gedrängt wird. Da ist einmal Wor- mit, der schottische Konvertit, der soviel grübelt über die Unzulänglichkeit der zeitlichen Gestalt der Kirche und Gott anfleht, „es möge doch seine Richtigkeit haben mit dem Christentum”. Und Marshalls ganze Liebe schließlich, die sich dem Leser mitteilt, gilt dem alten Dugommier, dem einzigen Franzosen unter den Wirtschaftsprüfern, einem ebenso gebildeten wie weltfremden Mann, dem das Leben böse mit’spielt. In seiner Hilflosigkeit und Verletz lichkeit wird er von allen herumgeschubst, mißachtet und ausgenützt. „Als Wirtschaftsprüfer war er nicht gerade ein Genie.” Und doch ist es Dugommier, der schließlich die Unterschlagung aufdeckt, gerade in dem Augenblick, als er eines Mißverständnisses wegen von der Firma entlassen wird. Das ist einer jener hintergründigen Schachzüge, an denen dieses Buch reich ist.

Die irdische Welt rundherum, verfangen in ihren unzureichenden Berechnungen und Zahlen — nicht nur auf dem Gebiet des Banksektors —, mit ihr werden wir hier konfrontiert. Und hier und da, sehr verhalten ein Schimmer „von oben”, der die Perspektiven verschiebt und alles an seinen richtigen Platz rückt. Das ist, meinen wir, ein unüberhörbarer Anruf auch für den „aufgeklärten” Menschen, der sich der unverhüllten Gegenüberstellung mit dem metaphysischen Bereich nicht mehr stellen will.

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