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Österreichisches Festspiel

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Mit den beiden Sissi-Filmen gewinnt Oesterreich den Rang und die weltweit-nationale Spiegelung und Hintergründigkeit wieder, die die wechselvolle, immer aber bedeutende Epoche von „Maskerade” über „Operette” bis „Wiener Mädeln” dargestellt hat. Die Willy-Forst-Epoche, von ihrem Meister selber brüsk durch die Grande malaise der „Sünderin” abgebrochen, wird durch die Ernst-Marischka-Epoche — würdiges Gegenstück zu Glanz und Gloria der „Bühnenära Hubert” — abgelöst.

Das wird so ganz erst jetzt, im zweiten Stück der „Sissi”, „Sissi, die junge Kaiseri n”, offenbar. Es durchstößt die Oberfläche bloßer Anmut und Liebenswürdigkeit, die weite Strecken des ersten Teiles beherrscht hat, und entdeckt darunter die dritte Dimension des Oesterreichischen, jene Tragik und Trauer, die sich bei Elisabeth von Oesterreich in dem permanenten Konflikt des Possenhofner Naturkindes und Dornröschens mit dem drückend-schweren kategorischen Imperativ des Hofzeremoniells und majestätlicher Pflichten, in ihren zahllosen Fluchten in schwermütige Einsamkeit und schließlich in dem griechisch-tragödienhaften Ende des Schwagers, des Sohnes und ihres eigenen Lebens ausdrückt. Nur von sehr flüchtiger Kritik verkannt, im Grunde durchaus folgerichtig, bringt daher die Rolle der Gegenspielerin, der Kaiser-Mutter (unterstrichen durch die schauspielerische Bedeutsamkeit Vilma Degischers) ernste Töne ins heitere Spiel; sie heben so nirgends „das Spiel aus den Angeln”, sondern verankern es erst so richtig dort, wo es anfängt, dauert und endet; übrigens streng historisch, denn tatsächlich hat Sophie sich aus Gründen lauterster dynastischer Räson in die Erziehung der ersten beiden Kaisertöchter ständig und nachdrücklich eingemengt und damit die ersten schmerzlichen Spannungen in dem romantischen Herzensbund Franz Josephs und Elisabeths ausgelöst.

Romy Schneider, derzeit die stärkste Hoffnung, des österreichischen Films, ist diesen Weg der Reifung und Vertiefung von dem Film „Sissi” zu dem Film „Sissi, die junge Kaiserin” überzeugend mitgegangen, lieber dieses unsagbar süße, reizvolle Gesicht, das sich wie kaum noch zuvor in der Filmgeschichte mit dem uns in zahllosen Stichen und Gemälden überlieferten geschichtlichen Urbild der Rolle geradezu unheimlich deckt, huschen diesmal nicht nur Lichter einer komplizierten und sublimierten Verliebtheit und Heiterkeit, sondern flackern bisweilen auch schon die Licht-Schatten einer unsagbaren Wehmut und Herzenstrauer, Vorboten von Not und Tod. Und es ist wohl einmalig, wenn es den Kritiker (sonst den geschworenen Feind des „Filmmordes der Fortsetzungen”) diesmal fprmljch drängt, de Wunsch auszusprechen, daß diese Züge: in dem Film und seiner Hauptdarstellerin dazu genützt werden mögen, in einem dritten Film, der nicht mehr von „Sissi”, sondern von „Elisabeth” handeln muß, dieses groß österreichische Festspiel und Trauerspiel (das ist in Oesterreich nicht selten dasselbe) würdig zu vollenden und zu krönen.

Die Krönung in Ofen bildet den farbschwelgenden, hinreißenden Schluß des zweiten Teiles. Seine fürchterliche Aktualität in den Tagen des Ungarndramas (nicht nur als Kundgebung der Solidarität sondern auch als stummer Vorwurf an die tragisch-historische ungarische Separation und Sezession von 1848 bis 1918, nein: bis 1956) ist von den Schöpfern des Films nicht beabsichtigt worden. Ungerufen trat Klio auf die Szene, schrieb die Zeichen an die Wand und machte aus einem rauschenden Operettenfinale ein weltgeschichtliches Fanal.

Unter diesem Eindruck begab sich auch noch Denkwürdiges in der Chronik der Wiener Filmkritik: der stachlige, immer aber fachkundige Kritiker des Zentralorgans der Sozialistischen Partei warf mit einem Ruck den Ressentimentballast von Generationen ab, erspürte hellwach in diesem Film das zeitlos und universal Oesterreichische und neigte in bedeutungsvoll chevaleresker Geste und Sprache den Degen: vor einer groß und bitter umwehten Zeit von gestern und einer neuen österreichischen Filmepoche von heute.

Will man die Kategorie dieses Films und die Linie seines Schöpfers richtig bestimmen, braucht man nur die beiden anderen österreichischen Filme des Weihnachtsprogrammes, Franz Antels „K a i s e r b a 11” und „Roter Mohn” dazuzuhalten. Hier sind Erzherzoge und Gutsbesitzer kostümiert, dort tragen sie an ihrem Kleid so schwer wie an ihrem Schicksal. Hier ist das Kaiserlied aufgeklebt, dort spielt man es gar nicht — aber es ist immer da. Hier tut einer österreichisch, dort ist es einer. Antels Filme haben ihr Daseinsrecht. Sie haben in aller Stillosigkeit Stil: den Stil des Perfekten, Konfektionierten, des Handgelenks. Sie sind erdacht, erklügelt gedrechselt. Sie sind ersonnen. Aber sie sind ohne Gesinnung.

Ueberraschend kommt das Oesterreichische irgendwie noch aus einem Film Deutschlands, das daneben nur noch mit zwei federleichten Filmehen, „M usik- parade” und „Die fröhliche Wallfahrt” vertreten ist. „Die Trapp-Familie” aber ist von Wolfgang Liebeneiner bedacht und gekonnt an Scylla und Charybdis (Novellette und Weltgeschichte) vorbeigesteuert worden. Es ist ein herzlicher, wohlgeratener Film, in den bei aller strahlenden Heiterkeit auch einmal die dumpfe Tuba des Engels mit der Posaune: die österreichische Tragödie 1938 tönt. Den aparten Regiedetaih assistiert das gelöste Spiel Ruth Leuwe- riks imd die noble Haltung Hans Holts. Aber auch noch über den Dächern von Salzburg flimmert und flirrt das Unnennbare (zwischen Mönchsberg und Kahlenberg), das der Herr den einen (österreichischen Filmen) im Schlafe schenkt und den anderen am hellichten Tag versagt.

Großes Amerika! Immer noch: unbesiegbares Hollywood! Auch im Weihnachtsprogramm. Wer wagt es: Rittersmann oder Knapp? Frankreich? Gewiß: „Liebe im Kreise” ist eine charmante, pikante Ehekomödie. Italien? Gewiß: „Liebe, Brot und 1000 Küsse” festigt auch im dritten Teil der berühmten Dorfkomödie Vittorio de Sicas Sitz auf dem Throne Maurice Chevaliers (Sophia Loren freilich hat nur das Dekollete mit der Lollo- brigida gemein). England? Immerhin hat es mit Carol Reeds „Trapez” den erregendsten Zirkusfilm der Nachkriegszeit, den blendendsten Cinemascopefilm dieser Gattung getroffen.

Aber Amerika! „Einladung zum Tanz (in der vorigen Nummer besprochen) ist im ganzen 18-Filme-Programm unerreicht geblieben. „Susi und Strolch” (Walt Disney) hat fast den „Bambi” erreicht und wird wie er ein Jahrzehnt nachwirken. „Gigante n”, eine Texas-Kavalkade, hat Züge jenes Jahrhundertfilms, der nie und nimmer „vom Winde verweht”. „M o b y Dick”, das Abenteuer der Besessenheit: düster, beklemmend, großartig. Noch in dem abstrusen, halbstarken Musical „Schwere Burschen — leichte Mädchen” und in der Pradler Ritterparodie „D e r Hofnarr” ist etwas von Stil, Schwung, Haltung und Größe. Hollywood-Dämmerung? Wenn ja, dann ist sein Abend noch leuchtender als Filmeuropas

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