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Phantasmagorien

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Im Salzburger Residenz-Verlag erscheint Im September ein Büchlein mit dem Titel „Das im Walde verlorene Totem“. Es enthält die frühesten Prosadichtungen (aus den Jahren 1949 bis 1953) von H. C. Artmann. Hannes Schneider hat es mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen, Daniela Rustin illustrierte diese jkurrilen Texte, die den Kennern und Liebhabern der Kunst Artmanns willkommen sein werden.

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Im Salzburger Residenz-Verlag erscheint Im September ein Büchlein mit dem Titel „Das im Walde verlorene Totem“. Es enthält die frühesten Prosadichtungen (aus den Jahren 1949 bis 1953) von H. C. Artmann. Hannes Schneider hat es mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen, Daniela Rustin illustrierte diese jkurrilen Texte, die den Kennern und Liebhabern der Kunst Artmanns willkommen sein werden.

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Von einem schädlichen nager

..Die Maus hat treffliche Schutzmittel gegen Ihn Verfolger.“ 3TINGL A SPONNER: NATURGESCHICHTE FÜR BÜRGERSCHULEN

Eine hausmeisterstochter hatte ihren vater als geheilten trinker vom Steinhof abgeholt und nachdem sie schliesslich mit ihm zu hause angelangt war, gab dieser seiner genug-tuung über das erstaunliche verschwinden der vielen mause beredten ausdruck.

Die tochter, ein siebzehnjähriges von allen Vorurteilen eines infantilen Unverstandes angekränkeltes mädchen, hörte ihm jedoch nur mit halbem ohr zu, was dem sentimentalen alten nicht ohne tieferen grund einen traurigen und resignierten seufzer abrang.

Zum abendessen aber, das immer sehr spät aufgetragen wurde, gab es an diesem tag geröstete knödel mit bohnensalat, ein gericht das — wenn ich mich recht entsinne — schon in den komödien des Plautus als besonders traumtreibend bekannt war. ^ Es ist daher nur zu verständlich, dass dem hausmeister Augustin Hudec kurz nach mitternacht eine ausserordentlich gutgekleidete weisse maus erschien, um auf seiner brüst sitzend mit kaum merklich ungarischem akzent jene bedeutsam profetisch klingenden worte zu sprechen: — Du hast uns entrechtet, enteignet und aus unserem Vaterland verjagt, so dass dich die geschichtsbücher fortab als Hudec Tyrannos bezeichnen werden, aber wir kommen wieder, wir kommen wieder... ... dabei wurde herr Hudec hellwach und erinnerte sich dass seine frau im besehkammerl ein ganzes gur-kenglas mit angesetzten...

Für sie allein schnitt der gärtnerge-hilfe eine seltsame unglückszahl melancholischer herbstblumen. Neben seiner schere lag die morgen-nassa glyzinie, die pferdeäugige aster und auf langen verliebten stielen das sorgfältige weiss der Chrysanthemen. Sooft er vor der türe zu ihrem Zimmer hielt, narn er die rote Zipfelmütze vom haar, um zwei tiefe atemzüge zu warten. „Miguel“ sagte sie, „in welche vase meinst du wohl passt dieser oder jener strauss am besten?“ Und sie ordnete sie in diese oder jene.

Als ihr jedoch eines tages aus zufall das halsband riss, kollerten die schönen milchgrauen perlen zwischen den vielen Stuhlbeinen davon und Miguel musste auf seinen knien nachrutschen.

Sie stand ein wenig reglos da und lächelte, traumverloren, in einen fernen dunklen abspiegel.

... seine schriftzeichen laufen weg-müd und rund im kreis wie entkräftete wanderer, die vergeblich nach dem letzten herdfeuer einer erträumten heimat suchen. Das herdfeuer ist immer wie ein kleiner ausgehungerter dezembermond — greifbarer ist dieser — über dem rostigen gittergepfort einer Seitengasse. Freilich ist eine ganze mythologie von Seitengassen nötig, um die gezeiten eines kleinen dezembermonds in fluss zu halten.

Gegen Weihnachten melde ich mich zum krankenrapport... Dann werde ich vielleicht im hospital mit gelb-süchtigen mühle spielen. Zwischendurch sehnt man sich etwa nach der hellblauen küchenatmosphäre einer delfter kachelei und vergibt sich dabei zug um zug.

Ein dichter muss das tischtuch seiner quartierfrau selbst ohne salz essen können, seine schriftzeichen laufen wegmüd und...

... flbuf em and scout' em thought is free...

Am letzten mittwoch im Juni gaben sie im komödienhaus den „Sturm“ und alles log sich vor, märchenhafte hintergründe immer schon geliebt zu haben. Ich kam freilich viel zu spät und erst Im letzten akt

Eine gepflegte stille, die mich überfiel, war lautlos empört. Im dünkleren blut der logenbrüstungen dämmerten bewegt die schönen goldzerschnittenen hände der darnen und frau Fried! sah mit umzingelten äugen auf den meister, welcher bescheiden hervortrat, um die endlichen worte des epilogs in die zärtlich abgetönte musik der fusslichler zu sprechen.

Es war ein weiches, weites halbrund, das die ampelmatte szene warm um-schloss: ein einziger seidenverhüllter pulsschlag...

Das fuhrwerk der erloschenen Jugend hielt vor dem portal der gefeierten tänzerin. In diesem augen-blick verstummte der Wellensittich im salon, die zierfische liessen von ihrem kreisen ab und die drei seidigen angorakätzchen rollten sich erschrocken in den falschen läufer. Die tänzerin griff mit gespitzten fingern nestelnd nach dem dunklen haarbund den sie streng im nacken trug und flüsterte mit einer um nuancen welker gewordenen stimme: „Ja, fast dass ich es vergessen hätte, um vier werden doch die schlafzim-mermöbel zur Versteigerung abgeholt.“

Jene dame sass immer in den öffentlichen anlagen auf dem grünen leihstuhl der hoffnung einen mann zu kriegen. Sie tat es mit anstand einen frühling, ja sogar einen ganzen som-mer lang, und als endlich ein herbst sehr diskret in den rosenrondells der parks zu knistern begann, kam ich, den knoten einer dezenten einsam-kedt lose in die kravatte geknüpft, auf einem Spaziergang vorbei. Sie aber erkannte mich nach so vielem warten nicht mehr und sagte nur: „Dieser herr hat einen sehr staubigen schatten... ha ha ha“; da warf ich ihn fort wie kuchenpapier am montag und verlor mich rasch im dunklen gewühl der passanten.

Eine partie domino liegt halbgespielt auf dem cafetlschchen, doch eine dohle äst gekommen und hat die schwarzen äugen fortgepickt. Uuuah ch... es wird frisch, meine herren, und der absinth schal. In der ferne, wo sich das Zuckerrohr mit dem zackigen gebirge vermischt, rötet sich jetzt — unnatürlich wie eine rose vor dem aufblühen — der abend. Irgendwo gehen Wasserräder, semafore, Orchideen... narrenseile, ruft da irgendwo ein blumenverkäu-fer, narrenseile... ja, zum teufel, warum gerade narrenseile... Aber schon kommt der tod, wie eine negerakrobatin, langsam, auf den zehen, durch die schmale, klare ele-ganz der herbstmonate im beginn...

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