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Schlachtfeld Jerusalem

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Jerusalem, 30. März 1948

Mit Grauen und tiefer Bekümmerung verfolgt wohl der europäische Zeitungsleser die knappen Nachrichten, die von den Kämpfen berichten, die seit einem Vierteljahr fast täglich in Jerusalem neue Opfer fordern. Die Frage muß sich aufdrängen, inwiefern jene geheiligten Stätten der Christenheit, welche der Teilungsbeschluß zum Gemeinbesitz der Vereinten Nationen machen wollte, von diesem grausamen Guerillakrieg in Mitleidenschaft gezogen sind.

Die schreckliche Explosionskatastrophe in der jüdischen Neustadt zerstörte ein Viertel von Jerusalem, das von der Grabeskirche etwa zwei Kilometer entfernt ist. Der Schwerpunkt des ununterbrochenen Kleinkrieges, in dem arabische Gruppen die Evakuierung der jüdischen Vororte Jerusalems zu erzwingen versuchen, liegt südlich der Stadt in der Ebene Rephaim, wo einst David die Philister schlug. Das will aber leider nicht besagen, daß die christlichen Wallfahrtsstätten von der Entweihung des Kampflärmes verschont geblieben wären.

Die Kirche des Heiligen Grabes ist kaum zweihundert Schritte von jener „Front“ entfernt, an der arabische Scharfschützen ständig jene strenggläubigen Juden beschießen, die sich geweigert haben, ihr Ghetto in der Altstadt za verlassen, weil sie ihre tausendjährigen Synagogen nicht der Entweihung und Zerstörung preisgeben wollten. In diesem Zusammenhang gebietet Gerechtigkeit die Feststellung, daß die jüdischen Kämpfer die Andachtsstätten der anderen mit Sorgfalt und sogar bis zur eigenen Gefährdung respektieren. Als ich, in der ersten Nacht nach meiner kürzlichen Rückkehr aus Europa, einen schwedischen Missionsarzt, der mein Reisegenosse gewesen war, ins Kampfgebiet zwischen Tel Aviv und Jaffa begleitete, wurde die Feldambulanz, in der wir trachteten, uns nützlich zu machen, ständig von der Hassan- Beg-Mosdiee in Jaffa beschossen, ohne daß Juden auch nur einen Schuß auf die Moschee abgegeben hätten. Die größten Waffenlager der Araber befinden sich im Gebiet des Felsendomes; seine Minaretts dienen als Maschinengewehrnester. Bisher haben die Juden von ihren beherrschenden Stellungen auf dem Berge Skopus das Feuer noch nicht erwidert. Wie lange wird es noch dauern, daß die Kämpfe auch die bisher noch auf- rechterhaltenen Rücksichten der Pietät verdrängen und damit neue Leidenschaften wecken werden?

Die Moschee an der Stätte der H i m- melfahrt ist eine der arabischen Haupt stellungen, von der die täglichen Angriffe auf die jüdischen Leichenzüge zu den Friedhöfen auf den ölberg geleitet werden. Auch das große Spital auf dem Skopus, der nördlichen Fortsetzung des Ölbergmassivs, ist von hier aus ständig unter Feuer. Ambulanzen werden fast jeden Tag angegriffen.

Ebenso traurig sieht es auf dem Zion aus. Die Benediktiner des Dormitio- klosters sind abgeschnitten und können nur selten unter militärischer Bedeckung in die Stadt kommen. Der uralte Komplex „Nebi Daud“, in dem sich der Saal des letzten Abendmahles befindet, ist hier das Hauptquartier der arabischen Kämpfer. Über das Hinnontal hinweg wird die jüdische Siedlung Alt-Montefiore unablässig mit Maschingewehren vom Zion aus beschossen.

Der Pilgerweg nach Bethlehem ist zu einer wahren Todesstraße geworden, die mit Landminen verpestet ist und täglich Opfer unter friedlichen Autobuspassagieren fordert. Das einstige Emmaus, das heutige Dorf Abu Ghosh, das den Paß der Straße zur Küste beherrscht, ist eine befestigte Stellung, um die täglich gekämpft wird.

So sieht es nun in Judäa aus. All die Leiden des Krieges, die Jerusalem in zwei Weltkriegen erspart worden sind, suchen es nun mit verdoppeltem Schrecken heim.

Unser Korrespondent fügt seinem Eilbericht folgenden persönlichen Vermerk bei:

„Hier ist es unfaßbar scheußlich, selbst für so einen, der soviel vom Kriege aus der Nähe schon erlebt hat, wie ich. Id) bin nicht besonders davon überzeugt, daß ich da lebend wegkommc, und meinen Schwager hat es hon getroffen. Ich lebe in einer Art Camp, das beißt in einem leeren Haus in einen) belagerten Villenviertel, von dem man die Stadt nur im Panzerwagen erreichen kann. Weder Strom noch Heizöl. Id) schreibe im Schafspelz bei einer Kerze und habe noch sechs Stunden Nachtwache vor mir. Es ist eime Lost, zu leben..

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