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Schöne neue EU-Zukunft

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Wenn zu Silvester 1999 die Sektkorken knallen, beziehungsweise die Energy-Drink-Dosen scheppern, werden viele Landsleute den Anbruch eines neuen Jahrtausends um ein Jahr zu früh feiern. Denn so wie ein Jahrzehnt mit dem zehnten und ein Jahrhundert mit dem hundertsten Jahr endet, so gehört auch das tausendste J ahr noch zum ablaufenden Jahrtausend. Das Jahr 2000 ist daher das letzte Jahr des 20. Jahrhunderts oder des zweiten Jahrtausends unserer an der Geburt Christi orientierten Zeitrechnung. Das 21. Jahrhundert und das dritte Jahrtausend bricht erst am 1. Jänner 2001 an.

Wer freilich heftig zu feiern und pathetisch zu fühlen und zu planen gestimmt ist, dem sind solche kalendermathematischen Zuordnungen egal. Ähnlich wie unser Österreich-Millennium werden wir die Jahrtausendwende halt zweimal feiern. Vorausschickend behilflich sind uns dabei unsere altvertrauten offiziellen und halboffiziellen Organisationen. Kein Plan, kein Projekt, kein Werbespruch, der einigermaßen auf sich hält, kommt schon jetzt ohne den 2000er-Hinweis aus. Vom Küchenschemel 2000 bis zum Solarhaus 2000. Jeder soll wissen, wieviel es geschlagen hat. In welcher Stadt, auf welchem Turm oder in welcher Auslage in Österreich demnächst wie in China ein Zählwerk installiert wird, auf dem die Tage und Stunden bis zum Jahrtausend-Umbruch angezeigt werden, steht leider noch nicht fest. Aber die Pummerin im Wiener Stephansdom zittert angeblich schon jetzt vor lauter Aufregung.

Es gibt natürlich auch hierzulande naive Intellektuelle, die meinen, unsere ganze Kalenderweisheit sei höchst subjektiv. Den riesigen Kosmos, in dem wir ein Staubkorn sind, kümmert es in seinen Abläufen überhaupt nicht, ob wir Zeitsklaven ein neues Jahrtausend ansagen. Und außer uns menschlichen Zweifüßlern kümmern unsere Projekte 2000 weder die Regenwürmer noch die Nashörner.

Aber wir und nur wir werden es erleben. Wie werden wir denn unseren EURO liebevoll nennen? EURERL? Und unser Kleingeld Centerl? Zu dumm, daß wir seit Einführung der Taschenrechner die Grundrechnungsarten verlernt haben! Ein halber Liter Bier wird sich für zwei EURERL halbwegs ausgehen. Aber sonst wird das eine Centerlwirtschaft, daß uns die Hirne und die Geldtaschen rauchen.

Andererseits hat die Vereinheitlichung auch ihre Vorteile. Die Rank Austria hat bis dahin ohnehin alle anderen Ranken aufgekauft. Das erleichtert die Vergleiche und Transaktionen. Mit den Verkaufserlösen haben die aufgekauften Banken dafür sämtliche Hotels, Gast- und Landwirtschaften Österreichs erworben und zu einer Agrar- und Tourismus-Kette vereinigt. Die längst privatisierten Bundesbahnen sind besonders dank des Semmering-Schnelltunnels finanziell so saniert, daß sie sich nicht nur die Wiener Verkehrsbetriebe, sondern auch die AUA und die Lau-da-Air einverleibt haben und unter dem Titel Verkehrsmittel auch die Fahrrad- und Rollerblade-Produktion besitzen. Ob Fahren, Fliegen oder Rollen, alles hat einen einheitlichen EURO-Preis. Dazu gibt es als virtuelle Alternative den Volks-Computer mit der Homepage Austro-Press anstelle der heute verwirrenden Zeitungsvielfalt.

Die Krankenkassen haben das Chip-System endlich ausgebaut. Wer sich irgendwie krank fühlt, steckt seine Chip-Karte in einen Schlitz an jeder Hausecke und erhält sogleich einen Ausdruck mit der Diagnose und dem Kontostand seiner Krankheitsberechtigung.

Das Bundesheer ist privatisiert und automatisiert. Die Draken wurden in geheimen Waffenlagern deponiert. Die internationale Kommandozentrale der NATO überwacht den Frieden. Unbotmäßige Wirtshaus-Raufer oder gewalttätige Ehemänner werden zu monatelangen Techno-Parties verdonnert, wo sie von emanzipierten Teenagern bewußtlos getanzt werden.

Und wie ist das mit der Regierung 2000? Selbstverständlich Koalition der Allparteien-Einheitsfront mit permanentem Entertainment-Wahlkampf. Das Parlament und der Musikantenstadl sind fusioniert und bilden das Dauerprogramm des ORF, des österreichischen Privatrundfunks.

Soweit einige Auszüge aus dem Papier VISION 2000. Es ist mit einem Abschnitt verbunden, mit dem Interessenten vom vollen Wortlaut abrufen und weitere Vorschläge einbringen können.

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