Fit fürs dritte Jahrtausend? Da lachen ja die Hühner!

19451960198020002020

Firmen wappnen sich fürs dritte Jahrtausend, die Politiker wappnen uns, aber wie kommen wir übers nächste Jahrzehnt?

19451960198020002020

Firmen wappnen sich fürs dritte Jahrtausend, die Politiker wappnen uns, aber wie kommen wir übers nächste Jahrzehnt?

Werbung
Werbung
Werbung

Jahrtausende blicken auf euch herab, sagte Napoleon angesichts der Pyramiden zu seinen Soldaten. Ein knappes Jahrtausendfünftel später prasselt das Jahrtausendgelaber unbarmherzig auf uns hernieder. Die Werbetexter, die Kolumnisten und die Sekretäre, die den Politikern ihre Reden schreiben, sind mit dem neuen Jahrtausend auf du und du, so richtig verhabert, eben nicht nur Jahrtausendlaberer, sondern auch echte Jahrtausendhaberer. Dabei werden möglicherweise schon die nächsten zehn Jahre schlimm genug ausfallen.

Der Autokonzern X wappnet sich für das nächste Jahrtausend, als hätten wir schon das ganze letzte Jahrtausend hindurch Parkplätze für seine Autos gesucht. Auch der mittelständische Schuhriemenerzeuger Y trifft zielbewußt seine Vorbereitungen fürs nächste Jahrtausend. Selbstverständlich sichert der Herr Bundeskanzler die Arbeitsplätze für das nächste Jahrtausend, was ihm bei den Arbeitsplätzen der Politiker sogar gelingen könnte, während der Herr von der Gegenseite dafür sorgt, daß auch seine Partei die Herausforderungen des neuen Jahrtausends annimmt. Sie sind damit aber in bester Gesellschaft. Alle Staats- und Ministerpräsidenten blicken mutig auf das nächste Jahrtausend herunter, das sich auf ihren Schreibtischen geradezu putzig ausnimmt, und auch die EU bereitet sich mangels einer Lösung für die Probleme der nächsten zehn Jahre auf jene vor, die im kommenden Jahrtausend auf sie zukommen werden. Die Herrschaften denken eben, entsprechend ihrem Selbstbewußtsein, in ganz schön großen Perspektiven.

Vor tausend Jahren, also praktisch gestern, wenn wir uns diese ihre großen Perspektiven zu eigen machen, war Papst Silvester II. gerade dabei, sich auf das neue Jahrtausend vorzubereiten, während sich das christliche Abendland fit machte, die Steigerung des Bruttonationalprodukts von 0,1 Prozent jährlich (im Schnitt des vorangegangenen Jahrtausends) auf drei Prozent in Angriff zu nehmen. Die Briten, die damals noch auf den Bäumen lebten und die es eigentlich auch noch gar nicht gab, hatten lächerliche 800 Jahre später das volle Prozent erreicht. Vor allem aber hatte die Christenheit schon beim Eintritt ins zweite Jahrtausend eine Heidenangst. Die Jünger Jesu hatten noch auf das nahe Weltende gehofft, doch inzwischen hatte man sich doch ganz schön wieder in der Welt eingelebt. Bange blickte man auf die göttlichen Zeichen. Uns genügen die Folgen des eigenen Tuns.

Ein Dschungelvolk im tiefsten Hinterindien, von dem die Christenheit noch nie etwas gehört hatte, machte sich damals übrigens schon seit hundert Jahren fit für das zweite Jahrtausend (wenn es das auch nicht wußte, weil es die Jahre ganz anders zählte), indem es gigantische Becken baute, um die Wassermassen des Monsunregens aufzufangen. Seine Technik, mit kleinen Erdbewegungen große Effekte zu erzielen, war hoch entwickelt, und die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts bescherte den Khmer einen Wachstumsschub und den Aufstieg zur Großmacht. Leider war es damit lang vor der Mitte des Jahrtausends, für das sie sich fit gemacht hatten, auch schon wieder vorbei. Blöd, wenn uns das auch passiert, wo wir es doch so energisch anpacken, das Sich-fit-machen für das nächste Jahrtausend, und wo unser Sich-fit-machen doch dem der alten Kambodschaner so ähnlich sieht.

Aber die Herrschaften Werbetexter, Kolumnisten und redenschreibenden Sekretäre schauen ja nicht nach hinten. Sie schauen ja nach vorne. Und was sehen sie da? Nichts. Leere pur. Mega-Leere. Raum ohne Materie, Zeit ohne was. Gerade das macht ja das Jahrtausendgelaber so angenehm, wenn man die ganze Zeit reden muß und nichts zu sagen hat. Natürlich könnten sie in der Zukunft schon auch etwas sehen. Während man zu Papst Silvesters Zeiten über unsere Errungenschaften gar nichts wußte, wissen wir immerhin, daß die Reste Tschernobyls, was immer man mit ihnen tut, noch genauso gefährlich sein werden, wenn sie so alt sein werden wie heute die Ruinen des alten Troja. Und daß das Plutonium aus den Kernkraftwerken fast dieselbe Bedrohung darstellen wird wie heute, wenn es so alt geworden sein wird wie heute die Höhlenbilder von Lascaux und Altamira. Aber das ist ja kein Problem des dritten Jahrtausends, sondern das eines ganzen Jahrzehntausends, weshalb sich die Jahrtausendlaberer hier bescheiden zurückhalten.

Zwischendurch vielleicht doch ein Wort über das Wort Gelaber. So mancher Sprachpolizist könnte mir ja sonst den Vorwurf machen, daß ich einen Prussizismus verwende statt eines der österreichischen Wörter mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung. Geplapper zum Beispiel würde sich zwanglos anbieten. Jahrtausendgeplapper. Aber Geplapper hat doch immer auch einen Beiklang von Unterhaltsamkeit. Jahrtausendgeplapper klingt lang nicht so hohl und dabei tödlich fad wie Jahrtausendgelaber. Bleiben wir also dabei: Sie labern vom bevorstehenden dritten Jahrtausend.

Vielleicht sollten sie alle also doch einmal ein bisserl nach hinten schauen. Nur so über die Schulter. Damit sie begreifen, wie lang so ein Jahrtausend ist. Ein bisserl zu lang, um damit so mir nix, dir nix auf du zu sein. Und damit sie der Schwindel erfaßt bei ihrem Gelaber. Als Silvester, der erste Papst aus Frankreich und größte Gelehrte seiner Zeit, die Christen in das zweite Jahrtausend führte, das er sich als christliche Neuauflage des Römischen Imperiums vorstellte (ähnliche Vorstellungen hegt noch immer so mancher), stand von allen Bauwerken, die wir heute bewundern, fast nichts. Die Pyramiden, die römischen Ruinen, die Chinesische Mauer. Ein paar romanische Kirchen, von denen fast nichts mehr so aussieht wie damals. Als in Wien die ältesten Fundamente des ältesten Vorgängerkirchleins der heutigen Stephanskirche gelegt wurden, war das Jahrtausend schon ein gutes Jahrhundert alt. Und als sich Europa fit machte, die von den Franzosen erfundene gotische Kirchenbauweise zu übernehmen, war fast schon wieder ein Drittel des Jahrtausends herum.

Auch die echte Jahrtausend-Innovation der Kambodschaner kam etwa um diese Zeit schon wieder ins Trudeln. Dabei hatte die Sache jahrhundertelang so schön funktioniert. Die Gottkönige nahmen überschüssige Arbeitskraft aus dem Markt, ernährten die Arbeitskräfte mit den Reisüberschüssen und ließen sie großartige Tempel bauen, die gegenüber unseren heutigen Entsorgungsaggregaten für Produktivkraft den Vorteil hatten, die Menschheit zu bereichern, statt sie zu gefährden und die Umwelt zu verpesten, wie es Atomsprengköpfe, Interkontinentalraketen und Autos tun. Angkor war, ähnlich unserer in den seligen Zeiten der Vollbeschäftigung, eine Wohlstandsgesellschaft mit Aufstiegschancen, zugleich aber auch eine ökologische Gesellschaft, folglich fitter als wir für das neue Jahrtausend, doch das nützte gar nix. Der hocheffiziente Mechanismus war nämlich nicht krisenfest. So wie wir konnten sich auch die Khmer nicht einfach auf ein niedrigeres Niveau herunterfahren. Die erste größere innere Krise führte zum Zusammenbruch der Bewässerungssysteme, und der Dschungel überwucherte die Reste der Kultur, die sich für das zweite Jahrtausend so fit gemacht hatte.

Wir dagegen müssen uns gleich für ein ganzes Jahrtausend fit machen, weil wir leider noch nicht wissen, wie wir die nächsten ein, zwei Jahrzehnte überstehen. Deshalb kann das ganze Gelaber nur mit einem schönen jüdischen, aber leider wohl auch noch kaum ein Jahrtausend alten Wort quittiert werden: Nebbich. Machen wir uns also ganz schnell fit für eine Achterbahn, von der wir nicht einmal das erste Zehntel überblicken können. Wir sehen gerade um die erste von vielen hundert Kurven, in den ersten Abgrund, in den das Wägelchen gleich sausen wird, und wenn wir nach den tieferen Gründen des Jahrtausendgelabers fragen: Vielleicht gerade darum. Vielleicht, um von dem abzulenken, was die wehrlosen Passagiere da sehen.

Sie labern halt gleich vom ganzen neuen Jahrtausend und von der albernen Forderung, fit zu sein für dieses, weil sie über die nächsten zehn Jahre beim besten Willen nichts zu sagen wissen. Jedenfalls nichts Erfreuliches. Da genügt ja wirklich schon die Prognose der ebenso ratlosen Wirtschaftsforscher fürs nächste Jahr, die Wirtschaft werde ganz schön wachsen, die Arbeitslosigkeit aber trotzdem auch. Es ist wohl wirklich leichter, vom Fitmachen fürs nächste Jahrtausend zu reden als über die unangenehmen Realitäten der nächsten zehn Jahre. Nächstes Jahrhundert ginge natürlich auch. Aber "bereit sein fürs nächste Jahrhundert" - das klingt ja wirklich ein bißchen ärmlich, wenn man ein Jahrtausend griffbereit im rhetorischen Kleingeld hat. Und wenn alle anderen damit klimpern.

Auch ist, genau betrachtet, ein Jahrhundert keine Zeiteinheit, über die es sich so leicht daherlabern läßt. Ein Jahrhundert ist zwar lang, aber es wird halt doch schnell alt. Zwei, drei Jahre, und das Hochgefühl der Zeitenwende hat sich verbraucht. Das Jahrtausendgefühl hält vielleicht doch noch ein Jahr länger. Und kaum ist man drin in so einem Jahrhundert, merkt man auch schon, wie schief alles läuft. Das Wachstum der Weltbevölkerung ist bis über die Jahrhundertmitte hinaus fest programmiert, der Prognose-Spielraum plus oder minus schmilzt rasant dahin, was können die armen Politiker also schon groß machen. Auch könnten ihnen die Wähler ins Gesicht lachen, wenn sie den unterentwickelten Ländern Wohlstand noch im nächsten Jahrhundert versprechen. Erstens ist es dafür längst zu spät, und zweitens könnte der Wähler ja glauben, er müsse dafür aufkommen.

Und wenn dem Hasen schon aus dem allerersten Jahrhundert des neuen Jahrtausends der Igel Jörgl entgegengrinst, i bin scho da, dann labern wir doch lieber von den restlichen neun. Da kann ja noch so viel geschehen, was uns überhaupt nicht juckt. Vielleicht können wir vom Jahrtausendgelaber also doch mit etwas mehr Milde weghören, wenn wir bedenken, daß die Politikersekretäre damit ihre eigene Angst weglabern. Was die Werbetexter betrifft, die müssen ja jedes Wort aufklauben, das gerade in den Kanal rollt. Die Kolumnisten hingegen spüren, was schon wieder out ist und lassen das Jahrtausendgelaber bereits diskret auslaufen, was uns mit der kühnen Hoffnung erfüllt, auch die Redenschreiber könnten uns noch vor der Jahrtausendwende mit einem Ende des Jahrtausendgelabers beglücken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung