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SOS: Großstadtkind!

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Welcher Frau ist es in der heutigen Zeit gegönnt, sich ausschließlich dem Wohle ihrer Familie widmen zu können? Zu Großmutters Zeiten noch war hier überdies eine Hilfskraft in jedem Mittelstandshaushalt eine Selbstverständlichkeit. Wer kann sich heute eine solche leisten? Aber selbst wenn diese Schwierigkeiten überbrückt werden können — wo findet die Großstadtmutter heute freies Gelände in der Nähe ihrer Wohnung, auf dem sich die Kinder nach Herzenslust tummeln können? Die Verbauung schreitet mit Riesenschritten fort, die Parkanlagen sind nahezu tabu; zarte Kindertritte stempelt man zu Elefantenhufen, jedes Berühren des Rasens, auch nur mit den Zehenspitzen, wird von „Organen“ bestraft. Rowdies machen sich auf dem knappen, zugewiesenen Gelände breit: das Faustrecht herrscht. Selbst die sonst so beflissenen Ordner weichen diesem Treiben in weitem Bogen aus. Nicht viel anders geht es im Sommer in den so viel gerühmten Kinderfreibädern, im Winter auf den Skiwiesen und den wenigen Rodelhängen zu.

Aus eigener Erfahrung kenne ich die Verhältnisse um den Südbahnhof. Der Belvedere-park ist wohl eine Attraktion, die auf den Beschauer Eindruck mächen und der darum geschont werden soll; doch seitlich von ihm, gegen den Botanischen Garten zu, sind sieben große Rasenflächen, in Sternform angelegt, vorhanden, auf denen Kinder keinesfalls störten, im Gegenteil, einen belebenden Anblick böten. An den Kosten des Durchbruches einer einzigen Mauer scheiterte, wie mir ein Aufsichtsorgan erzählte, das Eröffnen eines weiteren Spielplatzes in nächster Nähe. Im daneben liegenden, ausgedehnten Schweizer Park gibt es eine — Schulen und Vereinen vorbehaltene — Spielwiese und einen frei zugänglichen Tummelplatz, der ständig in eine Staubwolke gehüllt ist. Von den vorhandenen Teichen darf einer im Winter als Rodelgelände benützt werden. Was sich da abspielt, spottet jeder Beschreibung! Von allen Seiten rodeln die Kinder hinein und in schneller Fahrt aufeinander zu; Unfälle am laufenden Band und weit und breit niemand zu sehen, der für Ordnung sorgt. Auf allen nicht-bestreuten Gehwegen steht eine Warnungstafel: „Bei Glatteis auf eigene Gefahr I“ Hier gestattet man, ohne Warnung, ohne Vorsorge. Wer wäre hierfür zuständig? Was sollen die Mütter tun: dem Drängen ihrer Kleinen nachgeben oder — schweren Herzens — der Stätte des Grauens den Rücken kehren? Im weiten Arsenalgelände wurden uns zur Zeit der Planung Spielwiesen, ein Sportplatz, Tennisplätze usw. versprochen. Was wurde geschaffen? Ganze zwei Kinderplantschbecken. Die Post hat den Raum okkupiert und durch Stacheldraht selbst den Durchgang für „Fremde“ gesperrt.

So ist es um die kinderfreundliche Haltung der Erwachsenen und Behörden bestellt. Das Geld regiert, und die Gesundheit der Bürger hat das Nachsehen. Nimmt es da, angesichts dieser Tatsachen, wunder, wenn die weniger behüteten Kinder nach einem Ventil für ihre natürlichen Triebe suchen und es in absurden Handlungen finden? Es ist etwas faul in der Regelung des Jügendproblems. Mit dem Reden, dem Abstellen und Bestrafen allein ist es nicht getan: man muß handeln, den Dingen auf den Grund gehen und hier Abhilfe schaffen. Die Vernichtung selbst allen Schmutzes und Schundes würde nur die Entlüftungsklappe dichten, die sich, vorher kaum beachtet, finden ließe. Die Frage steht und fällt mit dem Zurverfügungstellen vorhandener und dem Ausbau neuer Spiel- und Sportanlagen, die allgemein zugänglich, doch streng beaufsichtigt sein .müßten. Drei Fliegen wären damit mit einem Schlag getroffen: der Körperausbildung der Kinder gedient, die Mütter entlastet und die beschäftigungslose Jugend abreagiert.

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